Pharmaproduktion im Ostkongo |
07.07.2003 00:00 Uhr |
Wohl kaum jemand würde ausgerechnet im Ostkongo eine bedeutende pharmazeutische Produktionsstätte erwarten. Und doch liegt nur wenige 100 Kilometer von den schrecklichen Gräueltaten von Bunia entfernt das weltgrößte Unternehmen zur Gewinnung von Chininsalzen. Es soll in naher Zukunft auch preiswerte Aids-Medikamente produzieren.
In Bukavu, das am Südzipfel des Kivusees direkt an der ruandischen Grenze liegt, leben etwa 700.000 Einwohner. Der größte Arbeitgeber in der lebhaften, aber vom Zerfall gezeichneten Stadt ist die Firma Pharmakina, der Mitarbeiter vom Deutschen Medikamenten-Hilfswerk e. V. action medeor im Mai einen Besuch abstatteten. Das Kerngeschäft des ehemaligen Boehringer-Mannheim Ablegers besteht im Anbau von Chinarindenbäumen, der Extraktion von China-Alkaloiden und ihrer Verarbeitung zu pharmazeutischen Rohstoffen und Malariamedikamenten. Etwa 650 Mitarbeiter sind fest angestellt, die gleiche Anzahl wird saisonal beschäftigt.
Malariamittel aus Chinarinde
Der Chinarindenbaum (Cinchona ledgeriana) stammt ursprünglich aus Peru und Bolivien. Bereits dort wurde aus seiner Rinde Chinin gewonnen beziehungsweise die pulverisierte Rinde als Malariamittel genutzt. Der Wirkstoff ermöglichte letztlich erst die flächendeckende Okkupation von Südamerika, Asien und Afrika durch die Europäer, da er das Überleben der weißen Kolonialherren sicherte. 1925 gelangte das erste Exemplar eines Gelben Chinarindenbaumes, das aus einem belgischen Botanischen Garten stammte, nach Afrika. Seit 1937 gedeiht die Art im Kongo als Kulturpflanze.
HIV/Aids Weltweit sind 42 Millionen Menschen HIV-positiv wobei Afrika mit 30 Millionen Infizierten am stärksten betroffen ist. Während in den Industrienationen alle Betroffenen die Möglichkeit einer Therapie haben, werden in Afrika von geschätzten 4,1 Millionen Therapiebedürftigen nur etwa 50 000 Menschen therapiert. Die WHO empfiehlt auch in Entwicklungsländern eine hoch aktive Antiretrovirale-Therapie (HAART) bei der mindestens drei Arzneistoffe in Kombination genommen werden müssen. Quelle: WHO/UNAIDS
In den 60er-Jahren erlebten diese Plantagen ihre größte Blüte: Die Zahl von insgesamt 19.000 Hektar Anbaufläche in Indonesien und 14.000 Hektar im Kongo wurde seitdem nie wieder erreicht. Die mehrere Quadratkilometer großen Monokulturen führten dazu, dass ein Pilz sich rasant ausbreiten konnte: Phytophthora cinnamomi, der die wasserführenden Bahnen des Chinarindenbaumes zerstört und ihn somit unweigerlich zum Absterben bringt. Durch den enormen Pilzbefall starben in den späten 70er-Jahren 80 Prozent des indonesischen und 50 Prozent des kongolesischen Bestandes ab. Es gab nur zwei Lösungen: den teueren und nicht ökologischen Fungizideinsatz oder die Anzucht pilztoleranter Pflanzen. Die Mitarbeiter der kongolesischen Firma wählten den zweiten Weg.
Ein resistenter Klon
Leiter der Plantagenbewirtung von Pharmakina war zu dieser Zeit Horst Gebbers, der jetzige Direktor des Unternehmens. Auf einem seiner Rundgänge fiel dem Landwirt ein Baum auf, der augenscheinlich von der Pilzerkrankung verschont geblieben war. Im Wettlauf mit der Zeit und bei knappen Ressourcen entwickelten er und seine Kollegen ein Verfahren zur In-vitro-Multiplizierung des Meristems dieses resistenten Exemplars. So konnten aus einem pilztoleranten Baum Tausende von Ablegern gezüchtet werden. Mittlerweile züchten sie auch weitere tolerante Varianten, um für genetische Vielfalt und Robustheit zu sorgen.
Die heranwachsenden Kulturpflanzen sind in den Plantagen zwischen schattenspendenden Urwaldriesen und stickstoffspendenden Leguminosen eingebettet, wodurch weitestgehend auf Düngemittel und völlig auf Pestizide verzichtet werden kann. Im Kongo befinden sich mit 6500 Hektar nunmehr 75 Prozent der Weltanbaufläche, wobei Pharmakina mit 33 Prozent der Weltjahresproduktion an Chininsalzen der größte Anbieter ist.
Extraktion des Wirkstoffs
Wenige Jahre nach Pflanzung erreicht die Rinde des Chinarindenbaums ihre maximale Konzentration an Chinaalkaloiden. Ab dann werden die Plantagen gelichtet und die Rinde nach einem traditionellen Verfahren von dem Stamm gelöst: In Handarbeit schlagen Arbeiter – meistens Frauen – sie mit einem kräftigen Holzstück vom Stamm. Die Rinde wird in der Sonne getrocknet und bildet das Ausgangsprodukt für die Chininextraktion.
In großen Plastiksäcken wandert die Rinde auf den Schultern der Angestellten zu den Lastwagen und weiter zu den Extraktionsanlagen der Firma in Bukavu. Sowohl aus eigenen Plantagen als auch von Kooperationen und zahlreichen lokalen Kleinpflanzern erwirbt das Unternehmen das Material. Mit Toluol werden die Alkaloide aus der gemahlenen Rinde extrahiert. Durch wechselnde Behandlung des Extrakts mit Laugen und Säuren und abschließende Raffinierung werden die Chininsalze in Pharmaqualität gewonnen. Der Wirkstoff wird nicht nur exportiert, sondern auch als Chininsulfat und -hydrochlorid unter Beachtung hoher Qualitätsmaßstäbe zu Tabletten und Sirupen für den regionalen Vertrieb verarbeitet.
Lokale Produktion etablieren
Die Mitarbeiter von action medeor besuchten die kongolesische Pharmafirma, weil das Medikamentenhilfswerk einen Partner für sein Projekt sucht, in Afrika die lokale Produktion von Aids-Medikamenten zu etablieren. Im Einklang mit dem internationalen Patentschutzabkommen (TRIPS = Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights) und kongolesischen Patentrecht, dürfen im Kongo bestimmte Antiretroviralia (ARV) generisch hergestellt werden. Die lokale Produktion bietet zahlreiche Vorteile: die Medikamente sind preiswert, vor Ort verfügbar und es lassen sich Kombinationspräparate herstellen, die die Einnahme entscheidend vereinfachen und somit die Compliance verbessern.
Zunächst ist die Produktion von fünf verschiedenen Arzneimitteln geplant. Unter dem Namen Afri-Vir® wird ab Herbst 2003 eine Dreierkombination aus Lamivudin, Stavudin und Nevirapin hergestellt. Pharmakina wird diese Medikamente zum Selbstkostenpreis für die Projektarbeit zur Verfügung stellen. action medeor kann dadurch die Medikamentenkosten einer modernen antiretroviralen Therapie von etwa 1000 Euro auf 25 Euro pro Monat senken und somit Aids von einem Todesurteil zur therapierbaren chronischen Krankheit machen. Des Weiteren wird action medeor mit dem Hersteller nicht nur die Medikamente zur Verfügung stellen, sondern durch engmaschige Überwachung mittels eines Diagnosezentrums auch den Therapieerfolg sichern.
action medeor Das Deutsche Medikamenten-Hilfswerk action medeor e.V. (www.medeor.org) wurde 1964 mit dem Ziel gegründet, bedürftige Menschen in den Entwicklungsländern mit Basismedikamenten und medizinischem Equipment zu versorgen. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst vielen kleinen Initiativen zu helfen, und unterstützt rund 10.000 Gesundheitsstationen und Projekte in 140 Ländern. Um der Bevölkerung von Entwicklungsländern den Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln zu ermöglichen, lässt action medeor Medikamente bei anerkannten pharmazeutischen Herstellern produzieren und ist zentrale Beschaffungsstelle laut §47 AMG. Die Arzneimittel sowie Medizinprodukte werden zum Selbstkostenpreis oder als Spende an Gesundheitsprojekte in aller Welt versandt.
Trotz der hoffnungsvollen Aussichten bleibt ein Wermutstropfen erhalten: die instabile politische Lage im Kongo. „Der Frieden wird kommen, die Menschen der Region sind müde“, äußert sich nachdenklich Horst Gebbers. Zu wünschen ist es den Bewohnern.
Anschrift des Verfassers:
Christoph Bonsmann
Deutsches Medikamenten-Hilfswerk e.V. action medeor
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