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Aripiprazol, Melagatran und Ximelagatran

28.06.2004  00:00 Uhr

Neu auf dem Markt

Aripiprazol, Melagatran und Ximelagatran

von Brigitte M. Gensthaler, München, und Kerstin A. Gräfe, Eschborn

Im Juni sind drei neue Arzneistoffe auf den Markt gekommen: Der partielle D2-Agonist Aripiprazol erhielt die Zulassung zur Behandlung der Schizophrenie und mit Ximelagatran, dem Prodrug vom Melagatran, steht der erste orale direkte Thrombininhibitor zur Verfügung.

Aripiprazol

Seit Anfang Juni ist mit Aripiprazol ein neues atypisches Antipsychotikum zur Therapie der Schizophrenie bei Erwachsenen auf dem deutschen Markt erhältlich (Abilify® 10, 15 und 30 mg Tabletten; Bristol-Myers Squibb, Otsuka Pharmaceuticals).

Während die bisher verfügbaren Atypika wie Clozapin, Risperidon, Olanzapin, Quetiapin und Ziprasidon als volle Antagonisten am Dopamin-D2-Rezeptor wirken, handelt es sich bei dem Neuling um einen partiellen Agonisten am D2- und Serotonin-5HT1A-Rezeptor. Das bedeutet, dass der Arzneistoff Dopamin-agonistisch wirkt, wenn der natürliche Botenstoff fehlt, bei einer erhöhten Neurotransmission jedoch antagonistisch. Im Tiermodell zeigten sich antagonistische Effekte bei dopaminerger Hyperaktivität und agonistische Eigenschaften bei Hypoaktivität. Wie die anderen Atypika blockiert auch Aripiprazol den Serotonin-5HT2A-Rezeptor.

Atypische Antipsychotika beeinflussen die Positiv- (zum Beispiel Halluzinationen) und Negativsymptome (zum Beispiel Apathie, sozialer Rückzug) einer Schizophrenie und haben im Vergleich zu Neuroleptika ein geringeres Risiko, extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) und Spätdyskinesien auszulösen. Dass dies auch für Aripiprazol gilt, zeigte eine randomisierte, doppelblinde 52-Wochen-Studie mit 1294 Patienten. 433 erhielten täglich 10 mg Haloperidol, 861 nahmen 30 mg Aripiprazol ein. Die Symptome besserten sich in beiden Gruppen vergleichbar gut. Deutlich überlegen war Aripiprazol jedoch bei negativer und depressiver Symptomatik. Die Responderraten waren vergleichbar (72 versus 69 Prozent), die Zeit bis zum Therapieversagen war unter Aripiprazol länger.

Insgesamt beendeten nur 495 Patienten (38 Prozent) die gesamte Studie, doch auch hier schnitt der Neuling signifikant besser ab: 43 Prozent der Patienten gegenüber 30 Prozent unter Haloperidol befolgten die Medikation 52 Wochen lang. Rund ein Drittel aller Patienten berichtete über EPS; erwartungsgemäß traten diese Nebeneffekte unter Haloperidol signifikant häufiger auf (58 versus 27 Prozent der Patienten).

In einer 26-Wochen-Studie mit 310 stabilisierten, schizophrenen Patienten wirkte Aripiprazol (15 mg) signifikant besser als Placebo und reduzierte Rückfälle signifikant besser (34 Prozent Rückfallrate versus 57 Prozent).

Häufigste Nebenwirkungen in Studien waren Benommenheit, Schläfrigkeit, Akathisie, Tremor, verschwommenes Sehen, Kopfschmerzen und gastrointestinale Symptome. Eine klinisch relevante Gewichtszunahme – ein häufiger Begleiteffekt einer antipsychotischen Therapie – trat unter Aripiprazol nicht oder deutlich seltener als unter Olanzapin auf.

Als Anfangs- und Erhaltungsdosis werden 15 mg Aripiprazol einmal täglich empfohlen. Der Wirkstoff wird nach peroraler Gabe gut resorbiert und intensiv in der Leber über die Cytochrom-Enzyme CYP3A4 und 2D6 verstoffwechselt. Daraus ergibt sich ein erhebliches Wechselwirkungspotenzial. Wird Aripiprazol gemeinsam mit potenten CYP2D6-Hemmstoffen, zum Beispiel Chinidin, Fluoxetin oder Paroxetin gegeben, muss die Dosis etwa halbiert werden. Gleiches gilt bei paralleler Gabe von Ketoconazol oder HIV-Protease-Inhibitoren, die CYP3A4 blockieren. Bei Gabe von 3A4-Induktoren wie Carbamazepin, Rifampicin, Phenytoin oder Johanniskraut wird die Dosis erhöht bis verdoppelt.

Melagatran und Ximelagatran

Ximelagatran, das im Körper zum aktiven Metaboliten Melagatran verstoffwechselt wird, ist der erste Vertreter der oralen direkten Thrombininhibitoren (ODTI), die zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse bei Patienten nach einer Hüftersatz- oder Kniegelenkersatz-Operation zugelassen sind. Die Arzneistoffe werden als Injektionslösung (Melagatran Astra Zeneca 3 mg/0,3 ml Injektionslösung) und Tabletten (Exanta®, 24 mg Ximelagatran, Astra Zeneca) angeboten. Die empfohlene Behandlungsdauer beträgt maximal elf Tage, danach sollte auf eine Therapie umgestellt werden, für die bereits Langzeitdaten vorliegen.

Die tiefe Beinvenenthrombose mit konsekutiver Lungenembolie ist eine der gefürchtetsten Komplikationen im Rahmen eines chirurgisch-orthopädischen Eingriffs. In Deutschland sterben jährlich 25 000 bis 40 000 Menschen an den Folgen einer Thromboembolie. Die medikamentöse Thromboembolieprophylaxe ist heute Standard, wobei zur Thromboseprophylaxe und Antikoagulation bislang niedermolekulare Heparine subkutan und orale Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt werden. Vitamin-K-Antagonisten weisen jedoch nicht nur ein schmales therapeutisches Wirkungsprofil und ein Blutungsrisiko auf, sondern auch klinisch signifikante Interaktionen mit anderen Medikamenten und bestimmten Nahrungsmitteln. Ein weiterer Nachteil der Wirkstoffgruppe liegt darin, dass die Dosis individuell angepasst und Gerinnungswerte kontinuierlich kontrolliert werden müssen.

Melagatran ist ein kompetitiver und reversibler niedermolekularer direkter Inhibitor der Serinprotease a-Thrombin. Insofern unterscheidet er sich in seiner Wirkungsweise von herkömmlichen Antikoagulantien wie Vitamin-K-Antagonisten und Heparinen, die die Blutgerinnung irreversibel hemmen. Melagatran geht mit Thrombin am katalytischen Zentrum eine reversible Bindung ein, während Hirudin hier irreversibel bindet.

Melagatran wird nach subkutaner Gabe schnell und vollständig resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden innerhalb von circa 0,5 Stunden erreicht und die Konzentration nimmt mit einer Halbwertszeit von zwei bis drei Stunden wieder ab. Das Verteilungsvolumen ist mit etwa 20 Liter relativ klein und die Plasmaproteinbindung gering (< 15 Prozent). Daher sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln auf Grund einer Verdrängung aus der Proteinbindung unwahrscheinlich.

Ximelagatran wird nach peroraler Gabe schnell resorbiert und durch Esterspaltung und Reduktion zu Melagatran biotransformiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach etwa zwei Stunden erreicht. Die Halbwertszeit von Melagatran ist nach peroraler Gabe von Ximelagatran länger als nach subkutaner Gabe, da das Verteilungsvolumen von Melagatran ungefähr doppelt so groß ist (circa 30 bis 40 Liter). Dies deutet darauf hin, dass das lipophilere Ximelagatran in Gewebe verteilt wird, in die Melagatran nicht hineingelangt.

Melagatran wird unverändert hauptsächlich über den Urin ausgeschieden, wobei die Ausscheidungsrate der glomerulären Filtrationsrate entspricht. Die Schwankungsbreite der Bioverfügbarkeit von Melagatran korreliert mit der Nierenfunktion.

In der randomisierten METHRO-III-Studie wurde Ximelagatran mit Enoxaparin bei 2874 Patienten mit Hüft- oder Kniegelenksersatz verglichen. Im Gegensatz zu METHRO II (mit präoperativer Melagatran-Gabe) erhielten diese frühestens vier Stunden nach der Operation für ein bis zwei Tage subkutan 3 mg Melagatran. Sobald der Patient in der Lage war, das Arzneimittel peroral einzunehmen, wurde zweimal täglich 24 mg Ximelagatran verabreicht. Die Therapie mit Enoxaparin erfolgte entsprechend den in Europa üblichen Gepflogenheiten (Beginn zwölf Stunden präoperativ, 40 mg subkutan). Die Ergebnisse belegten eine vergleichbare Wirksamkeit beider Substanzen hinsichtlich der Inzidenz von proximalen tiefen Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien. In Relation zum Zeitpunkt der ersten postoperativen Dosis von Ximelagatran zeigten sich jedoch Unterschiede, mit besseren Ergebnissen bei Start innerhalb der ersten acht Stunden nach dem Eingriff. Bezüglich schwerer Blutungskomplikationen war kein signifikanter Unterschied zwischen Ximelagatran (1,4 Prozent) und Enoxaparin (1,4 Prozent) nachzuweisen.

Auch wenn Ximelagatran in METHRO III im Vergleich mit Enoxaparin gut abgeschnitten hat, waren die Ergebnisse nicht ganz zufrieden stellend. In METHRO II, das heißt, bei präoperativer Gabe, war die Inzidenz venöser Thromboembolien unter Ximelagatran deutlich niedriger als mit postoperativer Melagatran-Gabe.

Vor diesem Hintergrund wurde die randomisierte EXPRESS-Studie mit fast 2900 Patienten initiiert, in der 2 mg Melagatran unmittelbar präoperativ gegeben wurde, gefolgt von einer postoperativen Dosis (3 mg). Für die orale Weiterbehandlung mit Ximelagatran wurde wiederum eine Dosis von 24 mg (2 x täglich) gewählt. Als Referenztherapie wurde Enoxaparin (Beginn zwölf Stunden präoperativ, 40 mg subkutan) herangezogen.

Für den primären Studienendpunkt (proximale TVT und Pulmonalembolie) konnte ein hochsignifikanter Vorteil zugunsten von Ximelagatran nachgewiesen werden (2,3 versus 6,3 Prozent, p = 0,0000018), entsprechend einer Risikoreduktion um 63 Prozent. Alle venösen Thromboembolien zusammen betrachtet, reduzierte sich unter Ximelagatran das Risiko ebenfalls hochsignifikant um 24 Prozent (20,3 versus 26,6 Prozent, p = 0,0003). Bezüglich schwerer Blutungskomplikationen und blutungsassoziierter Re-Operationen waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den Therapiegruppen nachzuweisen.

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