Sirolimus bewahrt Nierenfunktion |
21.06.2004 00:00 Uhr |
Die Einführung von Ciclosporin A zur Immunsuppression hat die Transplantationsmedizin revolutioniert. Akute Abstoßungen des neuen Organs gingen drastisch zurück, mehr Patienten überlebten länger. Heute rücken oft Langzeitprobleme wie Nierenschäden und Tumorerkrankungen infolge der Immunsuppression in den Vordergrund. Sirolimus könnte Vorteile bringen.
Nach einer Organtransplantation müssen die Patienten lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, um eine Abstoßung des fremden Organs durch das körpereigene Immunsystem zu verhindern. Dazu werden seit Beginn der Transplantationsmedizin Corticosteroide eingesetzt. Den Durchbruch brachte Anfang der 80er-Jahre das stärker wirksame Ciclosporin A (CsA). Heute ergänzen Immunsuppressiva wie Tacrolimus, Mycophenolat-Mofetil und Sirolimus (1) das Therapiespektrum. Meist werden die Wirkstoffe kombiniert eingesetzt.
Eine gute, dauerhafte Funktion des Transplantats und das Langzeitüberleben der Patienten scheitern in vielen Fällen an chronischem Funktionsverlust oder Abstoßung des fremden Organs, an vermehrten Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder malignen Tumoren des Patienten. Gerade bei Nierentransplantierten belasten nephrotoxische Effekte von Calcineurin-Inhibitoren (CNI) wie CsA oder Tacrolimus die Prognose. Sirolimus selbst schädigt die Nieren nicht, kann aber auf lange Sicht die Nephrotoxizität anderer Stoffe verstärken.
Nierenfunktion zeigt Prognose an
Wichtige Faktoren für das Transplantatüberleben sind die Nierenfunktion im ersten Jahr sowie kardiovaskuläre Risiken des Patienten, sagte Privatdozent Dr. Markus Ketteler, Oberarzt an der Universitätsklinik Aachen, bei einer Pressekonferenz der Wyeth Pharma in München. Betrachtet man die Verlustrate von Nierentransplantaten innerhalb eines Jahres, so geht die Hälfte auf das Konto eines vorzeitigen Todes des Patienten (bei funktionsfähigem Fremdorgan), meist verursacht durch koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und andere Gefäßerkrankungen. Etwa 30 bis 40 Prozent der Verluste entstehen durch chronische Abstoßung, die restlichen 10 bis 20 Prozent durch akute Abstoßung, CNI-Toxizität oder andere Ursachen.
Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann zur renalen Hypertonie führen, die ebenso wie ein essenzieller Hochdruck das neue Organ schädigt, erklärte der Internist und Nephrologe. Durch Untergang von Nephronen werden die verbleibenden Funktionseinheiten überlastet. Potenziell nephrotoxische Substanzen fördern zudem die renale Verkalkung und Vernarbung und drosseln damit die Nierenfunktion (Abbildung). Daher seien niedrige Serumkreatininwerte im ersten Jahr (unter 1,5 mg/dl) ein wichtiges Kriterium für das Transplantatüberleben. Ein langsamer Anstieg der Werte („creeping creatinine“) signalisiere oft ein drohendes Organversagen. Dem könne man möglicherweise durch frühzeitige Umstellung auf ein CNI-freies Therapieschema und Einsatz von Sirolimus vorbeugen.
Günstige Langzeitdaten
Die Dreijahresdaten der Zulassungsstudie 310 zeigen die Langzeiteffekte des makrozyklischen Lactons (2). Nach der Nierentransplantation erhielten die Patienten für drei Monate Sirolimus plus CsA plus Steroide. Bei 215 Patienten wurde das Schema beibehalten, bei weiteren 215 Ciclosporin abgesetzt. Nach 36 Monaten hatten tendenziell mehr Patienten unter der CNI-freien Zweiertherapie ein funktionstüchtiges Transplantat (91 versus 85 Prozent). Signifikant besser war die Nierenfunktion, gemessen an der glomerulären Filtrationsrate; ebenso war der Blutdruck signifikant niedriger. Die Vierjahresdaten, die beim American Transplantation Congress im Mai in Boston vorgestellt wurden, fielen ähnlich gut aus, berichtete der Arzt. Inzwischen habe die Studienleitung den Dreifacharm abgebrochen.
Hauptnebenwirkung von Sirolimus sind Störungen des Lipidstoffwechsels. Die Hyperlipidämie erfordert bei den meisten Patienten den Einsatz von Statinen oder Fibraten. In der Studie 310 traten als häufigste Nebeneffekte unter der CNI-freien Therapie Thrombozytopenie, Anstieg der Leberenzymwerte, Hypokaliämie und verzögerte Wundheilung auf. Dagegen litten unter der Dreiertherapie mehr Patienten an Ödemen, Hypertonie, Hyperurikämie, abnehmender Nierenleistung, Hyperkaliämie und Herpes-zoster-Infektionen. Nach drei Jahren befolgte fast die Hälfte der Patienten die Dreifachtherapie nicht mehr, in der Zweiergruppe waren es knapp 38 Prozent.
Eine deutsche Expertenkommission empfiehlt die Umstellung von einer CNI-haltigen Therapie auf Sirolimus bei CNI-assoziierten Nebenwirkungen und chronischer Transplantatdysfunktion, vorzugsweise noch bei Kreatininwerten unter 2,5 mg/dl. Bei jeder Neueinstellung müssen die Blutspiegelwerte mit HPLC-MS engmaschig kontrolliert werden, bis stabile Konzentrationen im Vollblut erreicht sind.
Tumorrisiko steigt
Ein weiteres Langzeitrisiko betrifft die Tumorentstehung. Transplantierte, immunsupprimierte Patienten erkranken im Vergleich zur Normalbevölkerung wesentlich häufiger. Nach Daten aus dem holländischen Krebsregister sind 40 bis 45 Prozent der Patienten innerhalb von 20 Jahren nach der Operation betroffen. Diese Zahl wird für ganz Europa mit 35 bis 50 Prozent angegeben, berichtete Professor Dr. Karl-Walter Jauch, Direktor der Universitätsklinik für Chirurgie in München-Großhadern. In einer eigenen Untersuchung an 2100 Nierentransplantierten habe man bei jedem Vierten innerhalb von zehn Jahren solide Tumoren entdeckt. Dabei dominieren viral, zum Beispiel durch Papilloma- oder Herpesviren, bedingte Krebsarten, da Viren sich bei geschwächter Immunabwehr besser entwickeln können.
Klinische Daten zeigten, dass bei niedrigen CsA-Dosen weniger Malignome auftraten als bei hohen Dosen. Auch bei Patienten, die wegen eines Lebertumors eine neue Leber erhielten, hing die Rezidivfreiheit von der Ciclosporin-Dosis ab. In Europa werden immerhin 10 Prozent der Lebertransplantat-Empfänger wegen eines Leberkrebses operiert, in den USA sind es 30 Prozent.
In der Studie 310 litten nach zwei Jahren 9,8 Prozent der Patienten unter Dreifachtherapie gegenüber 4,2 Prozent unter CNI-freier Immunsuppression an einem Tumor. Nach 36 Monaten lagen die Raten bei 11,2 versus 5,6 Prozent. Ob eine CNI-freie Therapie für Patienten mit Tumoranamnese oder erhöhtem Tumorrisiko vorteilhaft ist, müsse jedoch in größeren Studien über einen längeren Zeitraum abgesichert werden, mahnte Jauch.
Sirolimus hemmt Angiogenese
Sirolimus könnte wegen seiner antiproliferativen Effekte günstig wirken, sagte der Mediziner. In vitro blockiere es – im Gegensatz zu Tacrolimus – das Wachstum von humanen Krebszelllinien sowie die Gefäßneubildung (Angiogenese) an Ratten-Aorten und Tumorzellen. Dabei wirke Sirolimus wahrscheinlich nur auf aktivierte Endothelzellen. Der antiangiogene Effekt wurde auch an Nagern gezeigt, die an Colon- oder Pankreaskrebs oder Melanomen litten. Dafür soll eine Hemmung der Bildung und Wirkung von VEGF (vascular endothelial growth factor) verantwortlich sein.
Die antiproliferativen Effekte nutzt man bereits beim Einsatz von Sirolimus-imprägnierten Stents nach Koronargefäßerweiterung. Der Wirkstoff unterdrückt das Wachstum der Neointima und damit den gefürchteten Wiederverschluss der aufgedehnten Gefäße. Außerdem gebe es bereits klinische Heilversuche bei (nicht transplantierten) Patienten mit metastasiertem Pankreaskrebs, berichtete Jauch. Hier werde Sirolimus mit einer Chemotherapie kombiniert. /
Tod auf der Warteliste
Die Wartezeit ist lang, für manche zu lang: Fast 12 000 Menschen hoffen derzeit in Deutschland auf ein neues Organ, davon etwa 9300 auf eine Niere und 1340 auf eine Leber.
In der Regel warten sie fünf bis sechs Jahre auf eine neue Niere, jedoch überlebt – statistisch gesehen – nur jeder zweite dialysepflichtige Diabetiker fünf Jahre lang. Andere Patienten müssen wegen zunehmender Co-Morbidität abgemeldet werden. „Für viele kommt die Transplantation zu spät“, beklagte Professor Dr. Günter R. Kirste vom Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) vor Journalisten in München.
Der Bedarf sei nur durch eine erhebliche Förderung der postmortalen Spende und der Lebendspende zu decken. Laut Umfragen sind sieben von zehn Bürgern bereit, Organe zu spenden, aber nahezu jeder würde ein Organ annehmen. Diese Diskrepanz führte der Chirurg auf ein Informationsdefizit zurück. 16 bis 17 Prozent der Menschen tragen den Spenderausweis bei sich. Im Ernstfall könnten aber nur bei zwei Dritteln aller medizinisch geeigneten Spender Organe entnommen werden, weil sie einen Ausweis ausgefüllt haben oder Angehörige zustimmen, erklärte Kirste. Ebenfalls gravierend: 40 Prozent der deutschen Kliniken beteiligen sich nicht am Organspendeprogramm und melden potenzielle Spender nicht.
Die Spenderkriterien wurden in den letzten Jahren erweitert. Obwohl das Risiko des Transplantatverlusts bei älteren Organen steigt, gibt es für den Spender keine Altersgrenze mehr; es zählt nur das biologische Alter. Das Eurotransplant Senior Program sorgt dafür, dass Organe von über 65-Jährigen nur auf Patienten dieser Altersgruppe übertragen werden. Weitere Option ist laut Kirste die En-bloc-Transplantation bei sehr jungen oder alten Spendern: Der Empfänger erhält beide Nieren.
Menschen mit Tumoren können keine Organe spenden. Dies gilt in der Regel auch für Tumoren in der Vorgeschichte. Patienten, die beispielsweise an einem Bronchialkarzinom oder Melanomen litten, sind prinzipiell ausgeschlossen, erklärte Professor Dr. Karl-Walter Jauch vom Klinikum Großhadern, München. Wer ein anderes, im Frühstadium entdecktes und erfolgreich behandeltes Karzinom fünf Jahre überlebt hat, sei unter Umständen noch als Spender geeignet. Bei älteren und alten Organspendern müsse man nach latenten Tumoren, zum Beispiel in Prostata oder Brust, fahnden.
Kirste plädierte für die Lebendspende, die bei Nieren, teilweise auch bei der Leber möglich ist. Wegen der langen Wartezeiten habe ein Patient, der kürzer als sechs Monate an der Dialyse hängt, kaum eine Chance, eine neue Niere zu bekommen. Das Transplantatüberleben nimmt aber mit steigender Dialysezeit ab. Ohnehin seien die Erfolgsaussichten einer Übertragung unter Lebenden besser, berichtete der DSO-Vorstand. Bei entsprechender Vorbehandlung und starker Immunsuppression sei sogar schon eine Blutgruppen-inkompatible Übertragung erfolgreich verlaufen.
Literatur
1. Hofner, A. et al., Sirolimus, ein neues Immunsuppressivum. Pharm. Ztg. 148, Nr. 1 - 2 (2003) 24 - 30.
2. Kreis, H. et al., Long-term benefits with Sirolimus-based therapy after early cyclosporine withdrawal. J. Am. Soc. Nephrol. 15 (2004) 809 - 817.
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