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Thalidomid steht vor einem Comeback

28.06.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

Thalidomid steht vor einem Comeback

von Elke Wolf, Rödermark

Wenn sich die Ergebnisse einer kanadischen Arbeitsgruppe bestätigen, kann möglicherweise ein simpler Radikalfänger dem Thalidomid zu einem Comeback verhelfen. Contergan® wurde in den 60er Jahren aufgrund erschreckend vieler Mißbildungen vom Markt genommen. Der Radikalfänger ist nun eventuell in der Lage, die teratogenen Eigenschaften von den therapeutischen Effekten des Thalidomids abzugrenzen.

Die Wissenschaftler um Peter Wells haben zum ersten Mal den Beweis erbracht, daß Radikal-vermittelte Oxidationen embryonale Makromoleküle wie die DNA schädigen und dies die Teratogenität des Thalidomids ausmacht. Obwohl in mütterlichen Organen die DNA teilweise bis zu zehnmal mehr in Mitleidenschaft gezogen werden kann wie in denen des Embryos, ist Thalidomid für die Mutter nicht toxisch. Das läßt für die kanadischen Experten den Schluß zu, daß nicht die DNA-Brüche an sich für die Teratogenität verantwortlich sind, sondern eher die Auswirkungen des oxidativen Stresses während der Organbildung des Fetus.

Wells und seine Kollegen konnten zeigen, daß Thalidomid nicht wie bisher vermutet durch Cytochrom P450 verstoffwechselt wird, sondern durch die embryonale Prostaglandin-H-Synthase. Das entstehende reaktive Stoffwechselprodukt oxidiert die DNA und Glutathion. Versuche mit Kaninchen, bei denen Thalidomid ebenfalls teratogen wirkt, haben ergeben, daß eine Vorbehandlung mit dem Radikalfänger alpha-Phenyl-N-t-butylnitron (PBN) DNA-Schäden und in der Folge verkrüppelte Gliedmaßen verhindert.

Die Ursache für die Teratogenität von Thalidomid wurde in den letzten dreißig Jahren fleißig beforscht und mußte für viele Doktorarbeiten herhalten. Im Kommentar zu der jetzt veröffentlichten Studie in Nature Medicine ist von 24 vermuteten Mechanismen die Rede. Die Hypothesen reichten von einer Beeinflussung des Glutaminsäurestoffwechsels über Chelatbindung von essentiellen bivalenten Kationen bis hin zur Hemmung der Kollagenbiosynthese. Wells und Kollegen scheinen ihre Ergebnisse nun erstmals mit validen Daten untermauern zu können.

Seit Juli 1998 in Nordafrika zur Behandlung der Lepra zugelassen, könnte Thalidomid aufgrund seiner immunmodulierenden Eigenschaften auch ein Anwärter für die Therapie rheumatoider Arthritis, Vaskulitis oder anderer Autoimmunerkrankungen sein. Thalidomid reduziert Entzündungen, indem es selektiv die Expression von Zytokinen herabreguliert. Und auch den Redoxstatus von oxidationsempfindlichen Transkriptionsfaktoren wie NF-kB scheint Thalidomid beeinflussen zu können. Vielleicht ist das neben der oxidativen DNA-Schädigung der Grund für die Teratogenität, vermuten die Wissenschaftler.

Quelle: Parman, T., Nature Medicine Vol 5 (Mai 1999) 582 - 585. Top

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