Späte Rache |
21.06.1999 00:00 Uhr |
DOPING
Auf der Ziellinie bricht der italienische Marathonläufer Dorando Pietri zusammen. Doch wie sich später herausstellt, streckt nicht nur die Erschöpfung, sondern auch eine ordentliche Portion Strychnin den Sportler nieder. Das war 1908, während den Olympischen Spielen in Rom. Pietri war gedopt. Inzwischen gilt Strychnin als obsolet. Heute bedienen sich Spitzensportler der unterschiedlichsten Disziplinen aber auch zahlreiche Fitneßstudiobesucher ganz anderer Methoden.
Ob EPO, Perfluorcarbon, Andriol oder ACTH immer mehr Substanzen ergänzen die Palette der Dopingmittel. Die Kreativität professioneller Doper kennt keine Grenzen. Und Doping-Kontrolleure tun sich immer schwerer, die Flut der neuen Wundermittel in Blut und Harn aufzuspüren.
Schon 1977 isolierten Forscher humanes Erythropoietin (EPO) aus dem Urin von Patienten mit aplastischer Anämie. Seit Ende der achtziger Jahre kann rekombinantes EPO gentechnisch hergestellt werden. 1989 wurde der Arzneistoff in den USA zur Behandlung von Anämien bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen zugelassen. Die europäische Genehmigung folgte kurz darauf. In Deutschland befinden sich derzeit zwei Fertigarzneimittel auf dem Markt: Epoetin alpha als Erypo®-Injektionslösung von Janssen-Cilag und Epoetin beta als NeoRecormon®-Injektionslösung oder Trockensubstanz von Roche.
Natürliches EPO wird im Organismus in Nieren und Leber gebildet. Es stimuliert die Bildung der Erythrozyten. Daher wird die EPO-Freisetzung auch durch eine verminderte Zahl roter Blutkörperchen (Anämie) oder eine erniedrigte Sauerstoffsättigung der Erythrozyten angeregt. Zusätzlich regulieren Androgene und Wachstumshormone die EPO-Produktion.
Erythropoietin besitzt die Struktur eines Glykoproteins und setzt sich aus 166 Aminosäuren und einem Kohlehydratanteil von 40 Prozent zusammen.
Die Vorteile einer EPO-Kur für dopingwillige Leistungssportler liegen auf der Hand. Nach Injektion steigt die Zahl der Erythrozyten und damit die Sauerstoffsättigungskapazität des Blutes. So gelangt mehr O2 in die Muskelzellen.
Das Beispiel Erythropoietin zeigt, welche labortechnischen Klimmzüge nötig sind, um einen Sportler zweifelsfrei des Dopings zu überführen. Bislang können Wissenschaftler nicht direkt nachweisen, ob sich ein Athlet mit der Substanz manipulierte. Als Kontrolle wird daher der Hämatorkritwert, der Volumenanteil roter Blutkörperchen im Plasma, herangezogen. Sportler mit Hämoglobinwerten über 11,5 mmol pro Liter Blut oder einem Hämatokrit über 50 Prozent gelten als Doping-verdächtig. Bei Frauen liegt der Hämatokrit normalerweise zwischen 37 und 45 Prozent, bei Männern zwischen 43 und 49 Prozent.
Auch die Hämatokritbestimmung hat ihre Nachteile: Einerseits steigt die Erythrozytenzahl auch physiologisch, zum Beispiel wenn die Sportler sich längere Zeit in großer Höhe aufhalten, andererseits läßt sich der Hämatokrit durch reichlich Flüssigkeitszufuhr - parenteral oder peroral - rasch nach unten korrigieren.
Eine Lösung dieses Nachweisproblems scheint allerdings in Sicht. Dem Münchener Endokrinologen Dr. Christian Strasburger ist es inzwischen gelungen, für das Wachstumshormon HGH, das auch auf der internationalen Dopingliste steht, einen spezifischen Test zu entwickeln. Strasburger und sein Team produzierten einen Immunoassay, mit dessen Hilfe das Verhältnis verschiedener Isoformen des Wachstumshormons im Plasma bestimmt werden kann. Das Ergebnis des Assays gibt ihnen dann Aufschluß darüber, ob die untersuchte Blutprobe auch gentechnisch hergestelltes HGH enthält.
Nach Meinung der Forscher könnten solche spezifischen Nachweismethoden in zwei bis drei Jahren auch für EPO entwickelt werden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) zeigte laut Strasburger jedoch wenig Interesse für die neuen Dopingtests.
Neben Erythropoetin und weiteren Peptid- und Glykoproteinhormone wie Choriongonadotropin (HCG), Corticotropin (ACTH) und Somatotropin (HGH) schlucken oder spritzen internationale Spitzensportler weitere zum Teil exotische Substanzen. Die Betreuer entwickeln dabei ein große Kreativität, um immer wieder neue Stoffe zu finden, die noch nicht auf den internationalen Dopinglisten stehen.
Zum Beispiel sorgten fluorierte Kohlenwasserstoffe (FKWs), auch als Perfluorcarbone bezeichnet, im letzten Jahr für negative Schlagzeilen. Radsportler hatten sich bei der Tour de France der FKWs bedient, wurden jedoch überführt. Mediziner versuchten mit Stoffe wie Perfluordecalin oder Perfluoroctylbromid in den 70er Jahren, Organe zu konservieren oder kurzfristig das Blutvolumen zu ergänzen.
Perfluorcarbone sind ausgesprochen stabil und inert. Zudem gelten sie als potente O2-Träger, denn in den FKWs lösen sich große Mengen Sauerstoff. Die Kohlenwasserstoffe diffundieren bis in kleinste Kapillargefäße und versorgen das Gewebe zuverlässig mit dem Gas. Aufgrund dieser Eigenschaften versprechen sich Mediziner einen Vorteil von den Substanzen. Mit Perfluorcarbonen könnten sie Hämoglobin- und Fremdbluttransfusionen einsparen, kurzfristig starke Blutverluste substituieren sowie die Sauerstoffversorgung von schlecht durchbluteten Gewebe verbessern.
Einige Hersteller erproben derzeit die künstlichen Sauerstofftransporter. Da sich Perfluorcarbone jedoch schlecht im Blut lösen, müssen Emulgatoren zugesetzt werden. Ob und welche Nebenwirkungen diese Emulsionen auslösen, ist kaum erforscht. Athleten, die sich mit den Kohlenwasserstoffen dopen, riskieren also nicht nur Sanktionen, sondern auch ihre Gesundheit.
Die bleibt beim Spitzensport immer mehr auf der Strecke. Zwar sind Zusammenbrüche auf der Zielgeraden, wie einst der vom Marathonläufer Dorando Pierti, heute noch die Ausnahme. Aber Doping rächt sich manchmal erst nach Jahrzehnten.
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