Hoffnung auf Revival |
06.06.2005 00:00 Uhr |
Seit Ende Mai ist der Proteaseinhibitor Saquinavir in einer neuen Formulierung (Invirase®500 mg Filmtabletten) zur Behandlung HIV-1-infizierter Erwachsener im Handel. Diese müssen jetzt nur noch vier Tabletten statt zehn Kapseln einnehmen, was die Compliance und damit den Therapieerfolg erhöhen soll.
Saquinavir (SQV), das 1995 als erster Protease-Inhibitor (PI) auf den Markt kam, soll im neuen Gewandt wieder überzeugen. Erhältlich war es bislang als Invirase® Hartkapseln, die jedoch eine schlechte Bioverfügbarkeit aufweisen, und als Fortovase® Weichkapseln, die bei verbesserter Bioverfügbarkeit mehr gastrointestinale Nebenwirkungen hervorrufen jeweils mit 200 mg Wirkstoff.
Nachdem die gesamte Substanzgruppe Ende der 90er-Jahre auf Grund der hohen Tablettenzahl und dem Auftreten von Lipodystrophien an Stellenwert in der HAART (highly active antiretroviral therapy) verloren hatte, sorgt die PI-Kombination mit niedrig dosiertem Ritonavir® seit dem Jahr 2000 für ihr Revival. Dabei spielt das wegen Nebenwirkungen in Verruf geratene Ritonavir weniger als Protease-Inhibitor eine Rolle. Vielmehr wird ein Nebeneffekt genutzt: So ist die Substanz ein potenter Inhibitor des Cytochroms P450 3A4, über das die meisten anderen PIs hauptsächlich abgebaut werden (Ausnahme: Nelfinavir). In subtherapeutischen und damit gut verträglichen Dosen kann sie daher die Plasmakonzentrationen sowie die Halbwertszeit anderer PIs erhöhen und darüber hinaus sogar die Resistenzbildung senken.
Die schlechte Bioverfügbarkeit der Saquinavir-Hartkapseln war nun mit der Kombination SQV/r 1000/100 mg (zweimal täglich) behoben, die gastrointestinalen Nebenwirkungen spielten keine große Rolle, aber die Patienten mussten täglich zwölf Kapseln schlucken, zuzüglich der Reverse-Transkriptase-Hemmer. Ein Umstand, der die für die HIV-Therapie besonders nötige Compliance gefährdet.
Tablettenzahl halbiert
»Studien haben gezeigt, dass Invirase 500 mg bioäquivalent zu Invirase 200 mg ist«, sagte Professor Dr. Michael Kurowski auf der Einführungspressekonferenz von Hoffmann-La Roche in Berlin. Das heißt, die AUC sowie die maximalen Plasmakonzentrationen bei einer Kombitherapie SQV/r 1000/100 mg waren zwischen den herkömmlichen Hartkapseln und den neuen Filmtabletten vergleichbar. Auch die Nebenwirkungsprofile wichen kaum voneinander ab, so dass die neue Formulierung am 27. Mai die europäische Zulassung erhielt. Mit Saquinavir-Mesilat, entsprechend 500 mg Saquinavir, als Wirkstoff ist das Medikament zur Behandlung HIV-1-infizierter erwachsener Patienten angezeigt, wobei es mit Ritonavir und anderen antiretroviralen Arzneimitteln kombiniert werden muss. Bei der empfohlenen Dosierung von SQV/r 1000/100 mg zweimal täglich muss der Patient nun nur noch halb so viele Tabletten schlucken wie zuvor, wodurch »Saquinavir ebenbürtig zu anderen PI wird und dem Bedürfnis der Patienten nach einer einfacheren Therapie entgegenkommt«, sagte Professor Dr. Schlomo Staszewski von der Johann-Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Möglich ist laut Studien auch die einmal tägliche Gabe (2000/100 mg). Da mit der zweimaligen Einnahme jedoch höhere Talspiegel erreicht werden, sei diese vorzuziehen.
Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI) Proteaseinhibitoren (PI)
Was die Wirksamkeit betrifft, haben die Studien MaxCmin 1 und 2 gezeigt, dass Saquinavir vergleichbar mit Indenavir beziehungsweise Lopinavir ist. Dabei war es aber in Bezug auf die Lipidwerte überlegen: Verglichen mit Indenavir stiegen Gesamtcholesterol, LDL-Cholesterol und Triglyceride weniger an. In der MaxCmin-2-Studie waren die Triglyceridwerte nicht nur niedriger als unter Lopinavir, sondern auch gegenüber dem Ausgangswert gesenkt. Demnach sei der ungünstige Lipideffekt bei Saquinavir nur moderat, aber dennoch vorhanden wie bei allen PI, so Staszewski. Als Ausnahme gilt hier nur der noch junge Vertreter Atazanavir, der äußerst günstig auf die Serumlipide wirkt, aber häufig Hyperbilirubinämien hervorruft.
In der anwenderfreundlicheren Formulierung von Saquinavir sieht Staszewski eine Renaissance der Proteaseinhibitoren in der First-line-Therapie. Die alte Substanz werde hinsichtlich ihrer Neben- und Wechselwirkungen nicht mehr überraschen, habe geboostet eine hohe Wirksamkeit und deutlich weniger Primärresistenzen als Reverse-Transkriptase-Hemmer. Zudem könne es auch bei problematischen Patientengruppen wie Patienten mit Hepatitis B oder C oder schwangeren Frauen angewandt werden. Ausgenommen seien aber Patienten mit Tuberkulose.
Was heißt »doppelt geboostet«? Niedrig dosiertes Ritonavir kann auch die Spiegel zweier Protease-Inhibitoren gleichzeitig anheben - eine Strategie, die aber erst bei Patienten mit Resistenzen oder Unverträglichkeiten gegenüber Reverse-Transkriptase-Hemmern angewendet wird. Bislang am besten untersucht ist die Kombination Saquinavir/Lopinavir/r mit 1000/400/100 mg zweimal täglich. Hier beeinflusst die gemeinsame Gabe die Spiegel der einzelnen PIs nicht, was bei anderen Lopinavir-Kombinationen möglich ist. Saquinavir kann zudem auch mit Fosamprenavir kombiniert werden, sagte Kurowski. Gibt man dagegen Atazanavir als dritten PI, kommt es zu einem weiteren synergistischen Effekt: Jetzt »boostet« nicht nur Ritonavir die beiden anderen PIs, auch Azatanavir hebt den Saquinavir-Spiegel an. Denn die Substanz lässt in der Doppel-PI-Behandlung den Ritonavir-Spiegel um etwa 20 Prozent ansteigen, was sich auf die Saquinavir-Konzentration auswirkt. Dabei wird laut Staszewski auch der günstige Lipideffekt von Atazanavir nicht aufgehoben, so dass das neue Präparat ein »idealer Partner« für die doppelt geboostete PI-Therapie sei.
© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de