Pharmazie
Die Substanz ist
nicht neu, im Gegenteil. Verwendet wurde sie bereits zu
Zeiten Hippocrates´ im 5. Jahrhundert vor Christus -
damals allerdings noch nicht in isolierter Form, sondern
in Form ihrer Ausgangsdroge, der Weidenrinde. Welcher
Inhaltsstoff es ist, der die schmerzstillende,
entzündungshemmende und blutungsfördernde Wirkung der
Pflanze ausmacht, wußte zu der Zeit niemand. Heute weiß
man es: Es ist die Acetylsalicylsäure, auch ASS oder ASA
(Acetyl salicylic acid).
Seit ihrer erstmaligen Isolation 1897 hat sich einiges
getan und tut sich noch, was die Wirkprinzipien und
Einsatzgebiete angeht. Schon lange ist die
Acetylsalicylsäure nicht mehr "nur"
Schmerzmittel und Antiphlogistikum. In den Mittelpunkt
des Interesses rückt auch ihr Einsatz zur Prävention
von kardiovaskulären Erkrankungen, Herzinfarkt oder
Schlaganfall. Auch im Rahmen des Wissenschaftskongresses
der American Heart Association (AHA) Ende vergangenen
Jahres in New Orleans war der Oldie Gegenstand
zahlreicher Beiträge:
Diskutiert wurden unter anderem mögliche neue
Angriffsorte und Wirkmechanismen der ASS, ihr Stellenwert
im Vergleich zu neueren plättchenhemmenden Wirkstoffen
wie den GP-IIb/IIIa-Antagonisten und ihre Effizienz in
der Sekundärprophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall
- für die Primärprävention gibt es bislang keine
Zulassung. Letztere sei eine Frage der individuellen
klinischen Entscheidung bei Vorliegen mehrerer
Risikofaktoren, betonte Professor Dr. Charles H.
Hennekens aus Boston.
Wieviel darf`s denn sein?
Ein Diskussionsschwerpunkt war die Höhe der effektiven
ASS-Dosierung bei kardiovaskulären Erkrankungen: 30, 75,
100 oder über 300 mg täglich? In diesem Punkt herrscht
bis heute keine Einigkeit, und auch in New Orleans kam
man zu keinem übereinstimmenden Ergebnis. Der Trend
scheint jedoch in Richtung höherer Einzelgaben zu gehen.
"Die derzeit übliche Anwendung von 75 mg ASS/d ist
unter Annahme der Tatsache richtig, daß die Wirkung
ausschließlich auf einer Hemmung der
Plättchenaggregation beruht", betonte Professor Dr.
Karsten Schroer, Düsseldorf, bei einer von Bayer
initiierten Expertenrunde am Rande des Kongresses. Gehe
man allerdings davon aus, daß auch andere
Wirkmechanismen im Spiel sind, sei eine Hochdosistherapie
sinnvoller. Schroer: "Hohe Dosen scheinen
beispielsweise in der Schlaganfallprophylaxe mehr als
doppelt so viel zu erreichen wie niedrige".
Effizienz bei Schlaganfall
Bei rund jedem vierten Patienten läßt sich durch
Sekundärprophylaxe mit ASS das Risiko eines erneuten
Schlaganfalls reduzieren, faßte Dr. William M. Feinberg
aus Tucson die Ergebnisse verschiedener Studien zusammen.
Weniger vielversprechend sind nach seiner Einschätzung
die Ergebnisse zur Senkung der Todesraten, die offenbar
nur schwer zu beeinflussen sind. Er berichtete von einer
internationalen Studie an 19000 Schlaganfallpatienten,
die innerhalb von 48 Stunden nach dem Akutereignis in die
Untersuchung einbezogen worden waren.
Vergleichsmedikationen waren subcutanes Heparin und ASS.
Im Hinblick auf die Zahl der Todesfälle seien beide
vergleichbar gewesen, so Feinberg.
Prävention von Herz- und Gefäßerkrankungen
Daß die kardiovaskulären Effekte von
Acetylsalicylsäure auf eine Hemmung der Plättchen-
(Thrombozyten)-Aggregation zurückgehen, ist seit langem
bekannt, betonte Professor Carlo Patrono aus Chieti,
Italien in New Orleans. Zellulärer Angriffspunkt ist
dabei die Prostaglandin H-Synthase, besser bekannt als
Cyclooxigenase. Weitere derzeit diskutierte Angriffsziele
des Wirkstoffs sind unter anderem Fibrinogen, Prothrombin
und auch zentrale Mediatoren. In diesen Fällen sei es
schwer, eine konkrete Dosis-Wirkungsbeziehung
festzustellen, räumte Patrono ein; die erforderlichen
Mindestdosen lägen aber in jedem Fall über 100 mg/d.
Frühe Gabe nach Herz-OP
Die Effekte von Thrombozyten-hemmenden Therapien nach
Herz- oder Gefäßoperationen sind variabel, betonte
Stephen E. Fremes aus Toronto in New Orleans. Mit der
Gabe von ASS bis 6h nach der Operation lasse sich eine
Reduktion des absoluten Risikos um rund 7 Prozent
erreichen; bereits 24 h nach dem Eingriff sei kein Effekt
mehr erzielbar. Bei präoperativer Gabe sei mit
verstärkten Blutungen nach dem Eingriff zu rechnen,
warnte er. Die nach chirurgischen Herz- und
Gefäßeingriffen diskutierten ASS-Dosierungen liegen
deutlich höher als in der Sekundärprophylaxe und
schwanken zwischen 150 und über 350 mg. Fremes gibt
dabei der höheren Dosis den Vorzug. Sein optimistischer
Ausblick: Durch lebenslange Anwendung von bis zu 325 mg
ASS ließe sich bei Risikopatienten ein chirurgischer
Eingriff an den peripheren Blutgefäßen verhindern.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Eschborn
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