Adefovirdipivoxil, Dutasterid und Miglustat |
28.04.2003 00:00 Uhr |
Drei neue Arzneistoffe kamen im April auf den deutschen Pharmamarkt. Adefovirdipivoxil eröffnet neue Chancen für Menschen mit einer chronischen Hepatitis-B-Infektion. Dutasterid ist zugelassen zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie. Miglustat dient der Behandlung der erblichen Fettstoffwechselstörung Morbus Gaucher des Typ 1.
Adefovirdipivoxil
Seit Mitte April steht für erwachsene Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Infektion ein neues Nukleotidanalogon zur Verfügung. 10 mg Adefovirdipivoxil werden einmal täglich zu oder unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen (Hepsera® 10 mg Tabletten; Gilead).
Der Arzneistoff ist ein Dipivaloyloxymethylester-Prodrug von Adefovir, einem Analogon von Adenosinmonophosphat. Nach peroraler Gabe des Prodrugs (Bioverfügbarkeit 59 Prozent) wird Adefovir rasch durch Esterspaltung freigesetzt. Die höchsten Konzentrationen wurden in Leber, Niere und Magen-Darm-Trakt gefunden. In der Wirtszelle wird der Arzneistoff zur Wirkform Adefovirdiphosphat umgewandelt. Diese hemmt – als Konkurrent zum natürlichen Substrat - die Polymerasen des Hepatitis-B-Virus (HBV) und führt nach Einbau in die Virus-DNA zum Kettenabbruch. Damit kann sich das Virus nicht mehr vermehren. Die HBV-DNA-Polymerasen werden in wesentlich niedrigeren Dosen inhibiert als die humanen Polymerasen.
In zwei doppelblinden Studien erhielten chronisch HBV-infizierte Patienten mit kompensierter Lebererkrankung 48 Wochen lang entweder Verum (10 oder 30 mg) oder Placebo. Eingeschlossen waren 515 Patienten, die das Hepatitis-B-e-Antigen (HBeAg) trugen, das als Marker für eine hohe virale Replikation gilt (siehe PZ 13/02), sowie 185 HBeAg-negative Patienten. Zielparameter war jeweils die Veränderung des Leberhistologie, die ein Aufhalten der Leberentzündung und -zerstörung anzeigen kann.
Unter 10 mg Verum erreichten signifikant mehr Patienten eine histologische Verbesserung (53 und 64 Prozent versus 25 und 33 Prozent unter Placebo). Deutlich größer war auch der Anteil der Patienten, bei denen die Virus-DNA-Spiegel im Serum sanken und sich die Werte des Enzyms Alanin-Aminotransferase normalisierten. Bei jedem fünften HBeAg-positiven und jedem zweiten HBeAg-negativen Patienten, der 10 mg Verum einnahm, sanken die viralen DNA-Spiegel unter die Nachweisgrenze (weniger als 400 Kopien pro ml), während kein Patient aus den Placebogruppen diesen Wert erreichte. Bei einigen Patienten scheint auch eine Ausheilung der Infektion möglich zu sein: 12 bis 14 Prozent unter Verum und 6 Prozent aus der Placebogruppe zeigten nach 48 Wochen eine HBeAg-Serokonversion. Resistenzmutationen wurden nicht beobachtet.
Schwere Nebenwirkungen traten bei 9 bis 10 Prozent der Patienten unter Verum und bei 8 Prozent unter Placebo auf. Abgesehen von Asthenie und Durchfall, die in den Adefovir-Gruppen häufiger waren, wurde die 10-mg-Dosis ähnlich gut vertragen wie Placebo. Anorexie und Pharyngitis (Entzündung der Rachenschleimhaut) traten jedoch in der 30-mg-Gruppe deutlich häufiger auf; außerdem stiegen die Serumkreatininwerte. Da die Nutzen-Risiko-Abschätzung für die 10-mg-Dosis günstiger ausfiel, ist nur diese zugelassen.
In einer kleinen Studie mit 58 Lamivudin-resistenten Patienten senkte das neue Medikament die Virus-DNA-Spiegel im Serum. Gleiches gilt für 324 Lamivudin-resistente Patienten, die vor oder nach einer Lebertransplantation das neue Medikament erhielten.
Dutasterid
Das Azasteroid Dutasterid blockiert das Enzym 5a-Reduktase und damit die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT), das das wichtigste Hormon in der Prostata und essenziell für deren Funktion ist. Der Arzneistoff ist zugelassen für Männer mit benigner Prostatahyperplasie (BPH); die Therapie kann Symptome lindern und das Risiko von akutem Harnverhalt und Operationen im Zusammenhang mit der BPH reduzieren (Avodart® 0,5 mg Weichkapseln; GlaxoSmithKline).
Dieses Therapieprinzip ist nicht neu. Seit 1994 wird Finasterid bei BPH eingesetzt. Der Hauptunterschied: In therapeutischen Konzentrationen hemmt Finasterid vor allem das Isoenzym 2 der 5a-Reduktase, das überwiegend im genitalen Gewebe vorkommt. Dagegen blockiert Dutasterid auch den Subtyp 1, der in den meisten anderen Körpergeweben, vor allem der Haut und Leber, dominiert. Die Substanz wird daher als „dualer Hemmstoff“ vermarktet. Die Inhibition beider Isoenzyme lässt den Serum-DHT-Spiegel nach ein- und zweijähriger Therapie im Mittel um 93 Prozent abfallen. Unter Finasterid sinkt DHT im Serum um etwa 70 Prozent und in der Prostata um 80 bis 90 Prozent. Inwieweit diese Unterschiede klinisch relevant sind, können erst direkte Vergleichsstudien der beiden Stoffe zeigen.
Dutasterid wird in vitro über die Cytochrom-Isoenzyme 3A4 und 3A5 stark metabolisiert. Die langfristige Kombination mit Arzneistoffen, die diese Enzyme hemmen, lässt die Serumkonzentration von Dutasterid ansteigen und verlängert die ohnehin lange Halbwertszeit von drei bis fünf Wochen (langsamer Eliminationsweg bei therapeutischer wiederholter Einnahme).
In drei multizentrischen Doppelblindstudien erhielten 4325 Männer mit mäßigen bis schweren Beschwerden über 24 Monate einmal täglich entweder Placebo oder 0,5 mg Dutasterid. Das Verum beeinflusste über die Studiendauer alle Zielparameter signifikant besser als Placebo. Der Serum-DHT-Wert sank um 90 Prozent, die Volumina des gesamten Organs und der so genannten Übergangszone nahmen um 25 und 20 Prozent ab. Der maximale Harnfluss stieg schon nach einem Monat, die Beschwerden gingen bereits nach drei Monaten deutlich zurück. Das Risiko für einen akuten Harnverhalt oder eine Operation wurde um 57 und 48 Prozent reduziert. Der Arzneistoff wurde relativ gut vertragen. Die häufigsten Arzneimittel-bezogenen Nebenwirkungen betrafen das Sexualleben: Impotenz (6 Prozent), verringerte Libido (3,7 Prozent), Ejakulationsstörungen und Gynäkomastie (1,8 und 1,3 Prozent).
Beide 5a-Reduktasehemmer senken die Serumkonzentration des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) um etwa 50 Prozent. Dies muss berücksichtigt werden, wenn der PSA-Wert als Marker zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms herangezogen wird.
Miglustat
Seit Anfang April steht Miglustat für die orale Behandlung der leichten bis mittelschweren Form des Morbus Gaucher des Typ 1 zur Verfügung (Zavesca® 100 mg Hartkapseln, Actelion Pharmaceuticals GmbH). Die erbliche Fettstoffwechselstörung beruht auf einem genetisch bedingten Mangel oder auf einer verminderten Aktivität des lysosomalen Enzyms Glucocerebrosidase. Auf Grund des Enzymmangels reichern sich die Glucocerebroside insbesondere in Milz, Leber und Knochenmark an, was zu einer krankhaften Vergrößerung dieser Organe und zu Blutbildveränderungen führt.
Mit Miglustat verfolgt man das Prinzip der Substratverarmung: Miglustat blockiert das an der Synthese der Glucocerebroside beteiligte Enzym Glucosylceramid-Synthase. Somit entstehen weniger Glucocerebroside. Auf Grund des nun geringeren Substrat-Angebots reicht die trotz des genetischen Mangels noch vorhandene Restmenge der körpereigenen Glucocerebrosidase für den Abbau aus.
Derzeitiger Therapiestandard für Gaucher-Patienten ist die Enzymersatztherapie. Obwohl keine vergleichende Studie mit Miglustat zur Enzymtherapie durchgeführt wurde, scheint die Zeitdauer bis zur Erreichung einer Wirkung mit Miglustat länger zu dauern. Eine höhere Wirksamkeit oder Sicherheit gegenüber der Enzymsubstitution konnte nicht nachgewiesen werden. Die amerikanische Zulassungsbehörde (FDA) hat die Zulassung von Miglustat inzwischen grundsätzlich abgelehnt. Hingegen hat die europäische Zulassungsbehörde (EMEA) die eingeschränkte Zulassung erteilt: Miglustat darf nur zur Behandlung des Morbus Gaucher Typ 1 verabreicht werden, wenn eine Enzymersatztherapie nicht angewendet werden kann und auch nur von Ärzten, die über eine ausreichende Erfahrung in der Behandlung der Gaucher-Krankheit verfügen.
Die als ausschlaggebend angesehene Studie wurde an Patienten durchgeführt, die sich einer Enzymersatztherapie nicht unterziehen wollten oder konnten. Achtundzwanzig Patienten mit leichter bis mittelschwerer Gaucher-Krankheit des Typs 1 nahmen an dieser 12-monatigen nicht-komparativen Studie teil, und zweiundzwanzig Patienten schlossen die Studie ab. In der Studie wurde eine Tagesgesamtdosis von 300 mg Zavesca, verteilt auf drei Tagesgaben, verabreicht. Nach 12 Monaten zeigte sich eine mittlere Verringerung des Lebervolumens von 12,1 Prozent und eine mittlere Verringerung des Milzvolumens von 19,0 Prozent. Es wurde eine mittlere Zunahme der Hämoglobinkonzentration von 0,26 g/dl sowie eine mittlere Zunahme der Blutplättchenanzahl von 8,29 x 109/l beobachtet. Achtzehn Patienten erhielten im Anschluss daran freiwillig gemäß einem erweiterten Therapieprotokoll weiterhin Miglustat. Der klinische Nutzen wurde nach 24 und 36 Monaten bei 13 Patienten beurteilt. Nach drei Jahren kontinuierlicher Behandlung mit Zavesca betrug die mittlere Verringerung des Leber- und Milzvolumens 17,5 Prozent bzw. 29,6 Prozent. Es konnte eine mittlere Zunahme der Blutplättchenanzahl von 22,2 x 109/l und eine mittlere Zunahme der Hämoglobinkonzentration von 0,95 g/dl festgestellt werden.
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