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Anakinra, Bimatoprost und Fondaparinux Natrium

29.04.2002  00:00 Uhr

Neu auf dem Markt

Anakinra, Bimatoprost und Fondaparinux Natrium

von Ulrich Brunner, Eschborn, und Brigitte M. Gensthaler, München

Seit März stehen in Deutschland erstmals ein Interleukin-1-Antagonist und ein synthetisches Antithrombotikum, das selektiv nur den Gerinnungsfaktor Xa hemmt, zur Verfügung. Zudem kam das Ophthalmikum Bimatoprost auf den Markt.

Anakinra

Dem Zytokin Interleukin-1 kommt eine Schlüsselfunktion in der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis zu. Der Entzündungsmediator vermittelt die Rekrutierung neutrophiler Granulozyten im Gelenk, aktiviert Makrophagen und fördert die Differenzierung von T- und B-Lymphozyten. Damit ist IL-1 mit für die Zerstörung von Knochen und Knorpel sowie Schwellungen und Schmerzen im Gelenk verantwortlich.

IL-1 bindet an den membranständigen IL-1-Rezeptor vom Typ 1. Beide bilden dann einen heterodimeren Komplex mit dem akzessorischen Protein IL-1RacP. Durch diesen Komplex wird in der Zelle eine Signalkaskade ausgelöst.

Im gesunden Gelenk verhindert ein endogener IL-1-Rezeptorantagonist, dass IL-1 an den Rezeptor bindet. In der Folge kann sich auch IL-1RacP nicht mehr anlagern. Bei der rheumatoiden Arthritis stehen IL-1 und der endogene Rezeptorantagonist jedoch im Ungleichgewicht. Die IL-1-vermittelte Wirkung überwiegt.

Die Forscher des US-amerikanischen Biotech-Unternehmens Amgen entwickelten daher einen rekombinanten humanen IL-1-Rezeptorantagonisten. Das Protein soll das Gleichgewicht zugunsten des endogenen IL-1-Antagonisten verschieben. Anakinra wird durch rekombinante DNA-Technologie mit Hilfe eines Escherichia-coli-Expressionssystems hergestellt und gleicht dem nativen, humanen IL-1-Rezeptorantagonisten mit Ausnahme der zusätzlichen Aminosäure Methionin am N-Terminus und der fehlenden Glykosylierung des Proteins.

Anakinra (Kineret®) ist zur symptomatischen Therapie der rheumatoiden Arthritis bei Patienten zugelassen, die nicht ausreichend auf Methotrexat ansprechen. Täglich müssen 100 mg des Arzneistoffs (eine 1-ml-Fertigspritze) subkutan injiziert werden. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollten nicht behandelt werden, da bislang keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen. Das Medikament ist zudem bei Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen kontraindiziert. Die absolute Bioverfügbarkeit nach subkutaner Bolusinjektion liegt bei 95 Prozent. Die terminale Halbwertszeit beträgt vier bis sechs Stunden.

Die klinische Wirksamkeit von Anakinra wurde in zwei randomisierten placebokontrollierten Doppelblind-Studien an 920 Probanden überprüft. In einer Dosisfindungsstudie erhielten 419 Patienten mit aktivierter rheumatoider Arthritis entweder täglich 0,04 bis 2,0 mg Anakinra pro kg Körpergewicht oder Placebo. Zusätzlich behandelte man die Studienteilnehmer mit Methotrexat. Die Ansprechrate wurde nach 12 beziehungsweise 24 Wochen anhand der ACR-Kriterien bestimmt.

Die Anteile der Patienten, deren ACR-Kriterien sich um mindestens 20 Prozent verbesserten, waren nach 12 Wochen in allen Verumgruppen signifikant höher als unter Methotrexat plus Placebo. In einer zweiten Untersuchung, bei der die Patienten 100 mg Anakinra oder Placebo pro Tag plus Methotrexat erhielten, bestätigten sich die positiven Ansprechraten sowohl nach 12 als auch nach 24 Wochen. Nach 24 Wochen besserten sich die nach dem ACR-Schema definierten Symptome unter Anakinra bei 38 Prozent um mindestens ein Fünftel, bei 17 Prozent um die Hälfte und bei 6 Prozent sogar um knapp zwei Drittel. Unter Placebo waren es 22, 8 beziehungsweise 2 Prozent.

In beiden Studien senkte der IL-1-Antagonist zudem typische Entzündungsparameter. Dieser Effekt hielt während des gesamten Studienzeitraums an. Zudem bewerteten sowohl die Ärzte als auch die Patienten den Therapieerfolg von Anakinra anhand eines Fragebogens signifikant besser als den des Scheinmedikaments.

Unter Anakinra erkrankten die Patienten etwas häufiger an einer schweren Infektionen als unter Placebo (1, 8 versus 0,7 Prozent). Der Hersteller empfiehlt daher, die Behandelten sorgfältig zu überwachen. Bei 2,4 Prozent der Studienteilnehmer, die den IL-1-Antagonisten erhielten, diagnostizierten die Mediziner zudem eine Neutropenie (unter Placebo 0,4 Prozent).

Bislang gibt es keine klinischen Studien, die die Wechselwirkungen von Anakinra mit anderen Arzneistoffen untersuchen. Zudem liegen keine Erfahrungen über die Kombination von Anakinra mit TNF-a-Antagonisten vor. Wechselwirkungen zwischen Anakinra und nicht steroidalen Antirheumatika, Kortikoiden und Basistherapeutika wurden bislang nicht beobachtet.

Bislang sprechen die Daten dafür, dass mit dem Interleukin-Antagonisten Anakinra eine wirksame neue Waffe gegen rheumatoide Arthrtitis zur Verfügung steht. Zudem verfügt der Arzneistoff über einen völlig neuen Wirkmechanismus. Ob sich Anakinra langfristig in der Rheumatherapie bewährt, müssen allerdings noch Langzeitstudien zeigen.

Bimatoprost

Fünf Jahre nach dem Prostaglandin-F2a-Analogon Latanoprost (Xalatan®) wurde jetzt Bimatoprost als Ophthalmikum eingeführt (Lumigan® 0,3 mg/ml Augentropfen; Allergan). Es ist zugelassen zur Senkung eines erhöhten Augeninnendrucks (IOD) bei Offenwinkelglaukom und okulärer Hypertension als Monotherapie oder in Kombination mit einem Betablocker.

Die Strukturen der beiden Stoffe ähneln sich stark. Bimatoprost leitet sich jedoch nicht - wie Latanoprost - von der PGF2a-Säure ab, sondern gehört zu den Prostamiden. Die Fettsäureamide entstehen im Körper unter Vermittlung von Cyclooxigenase-2 (COX-2) aus Anandamid. Bimatoprost wirkt nicht über die bekannten PG-Rezeptoren, sondern ahmt die Wirkung körpereigener Prostamide nach, die den Augeninnendruck senken. Die Struktur des Prostamid-Rezeptors ist noch nicht bekannt. Im Gegensatz zu Latanoprost ist der neue Wirkstoff kein Prodrug und wird nicht in die freie Säure umgewandelt. Der vermutete Säuremetabolit (17-phenyl-PGF2a) wurde in Studien mit menschlichen Augengewebshomogenaten nicht nachgewiesen.

Bimatoprost verringert den Abflusswiderstand am Auge und verstärkt damit den druckempfindlichen Kammerwasserabfluss über das Trabekelwerk. Außerdem nimmt der druckunabhängige (uveosklerale) Abfluss zu und der Druck in den peripheren Gefäßen (episkleraler Venendruck) ab. Die Senkung des IOD beginnt etwa vier Stunden nach der Applikation und hält mindestens 24 Stunden an.

Die einmal tägliche Applikation von Bimatoprost 0,03 Prozent ist wirksamer als eine zweimal tägliche Anwendung. In einer Vergleichsstudie über sechs Monate mit Timolol 0,5 Prozent-Augentropfen (zweimal täglich) senkte der neue Wirkstoff den mittleren IOD stärker als Timolol (um 33 versus 23 Prozent). Fast 64 Prozent der Patienten erreichten einen Zieldruck unter 17 mm Hg im Vergleich zu rund 37 Prozent der mit Timolol-behandelten. Im Drei-Monats-Vergleich mit Latanoprost 0,005 Prozent (jeweils einmal täglich abends getropft) waren beide Medikamente wirksam und sicher in der Monotherapie. Bimatoprost erreichte einen niedrigeren mittleren IOD, wobei der Unterschied nicht bei jeden Messzeitpunkt signifikant war. Einen Zieldruck unter 17 mm Hg erreichten 53 Prozent der mir Bimatoprost behandelten Patienten (versus 43 Prozent). Ob der neue Wirkstoff langfristig Vorteile bietet, kann nur ein Langzeitvergleich zeigen.

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Wachstum der Augenwimpern, Hyperämie der Bindehaut und Augenjucken. Wie bei Latanoprost kann sich auch bei Bimatoprost die Irispigmentierung verändern (bei 1,1 Prozent der Patienten nach sechs Monaten). Es ist zwar nicht gefährlich, aber störend, wenn die Augen verschieden aussehen.

Fondaparinux Natrium

Das erste synthetische Antithrombotikum, das selektiv nur den Gerinnungsfaktor Xa hemmt, wurde lange erwartet. Ende März erhielt das sulfatierte Pentasaccharid Fondaparinux Natrium die europäische Zulassung und ist seitdem auf dem deutschen Markt verfügbar (Arixtra®, Sanofi-Synthelabo). Es ist zugelassen zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse bei Patienten, die sich größeren orthopädischen Eingriffen, zum Beispiel bei Hüftfrakturen oder Knie- oder Hüftersatzoperationen, unterziehen.

Fondaparinux ist, anders als die niedermolekularen Heparine (NMH) oder Danaparoid, eine definierte Substanz mit einem Molekulargewicht von 1728 Dalton. Es besteht aus der pharmakophoren Sequenz der fünf Zucker im Heparin-Molekül, die für die Interaktion mit Antithrombin (AT-III) verantwortlich sind. Dies ist essentiell für den Wirkmechanismus. Bindet Fondaparinux an ein AT-III-Molekül, ändert sich dessen Konformation und damit steigt dessen Fähigkeit, den Faktor Xa zu neutralisieren. Die Blockade von Xa unterbricht die Blutgerinnungskaskade, da dieser Faktor die Umwandlung von Prothrombin in Thrombin (Faktor IIa) katalysiert. Somit verhindert der neue Wirkstoff die Thrombinbildung und das Thrombuswachstum, bindet aber nicht selbst an Thrombin und beeinflusst nicht die Thrombozyten. Fondaparinux wird - nach "getaner Arbeit" - unverändert aus der Bindung an AT-III freigegeben und kann an das nächste Molekül binden.

Das neue Antithrombotikum wurde in einem umfangreichen klinischen Studienprogramm mit dem NMH Enoxaparin verglichen. In einer multinationalen Phase-IIb-Studie mit 933 Patienten, denen das komplette Hüftgelenk ersetzt wurde, war eine Dosis von 1,5 bis 3 mg Fondaparinux einmal täglich subkutan gespritzt deutlich effektiver als 30 mg Enoxaparin alle 12 Stunden. In der 3,0-mg-Gruppe sank das Risiko für venöse Thromboembolien um 82 Prozent. Die Gabe von 6,0 und 8,0 mg Fondaparinux wurde wegen Blutungskomplikationen gestoppt.

Inzwischen liegen vier doppelblinde randomisierte Phase-III-Studien mit insgesamt 7344 Patienten vor, die die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Fondaparinux mit der von Enoxaparin vergleichen. Die Patienten wurden wegen Hüft- oder Kniegelenksersatz oder wegen einer Hüftfraktur operiert. Zur Prophylaxe erhielten sie entweder einmal täglich 2,5 mg Fondaparinux subkutan (Beginn postoperativ nach 6 bis 8 Stunden) oder Enoxaparin einmal täglich 40 mg (Beginn 12 Stunden präoperativ; europäisches Schema) oder zweimal täglich 30 mg, beginnend 12 bis 24 Stunden nach der Operation (amerikanischer Standard). In allen Studien traten unter Fondaparinux bis zum 11. Tag nach der Operation signifikant weniger venöse Thromboembolien auf als unter Enoxaparin. Die relative Risikoreduktion lag bei 54 Prozent! Die Mortalitätsraten (alle Ursachen) waren vergleichbar, ebenso die Zahl größerer Blutungen.

Fondaparinux muss dank einer langen Halbwertszeit von 17 Stunden nur einmal täglich (2,5 mg) gespritzt werden. Es wird schnell und vollständig resorbiert und unverändert zu 64 bis 77 Prozent über die Nieren ausgeschieden. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen, mit einem Körpergewicht unter 50 kg und bei älteren Menschen, da diese ein höheres Blutungsrisiko haben. Ferner darf es frühestens 6 Stunden nach Operationsende gegeben werden, wenn die Hämostase eingesetzt hat.

Die viel versprechende Substanz wird intensiv weiter untersucht. Derzeit laufen Studien zum Einsatz bei tiefer Venenthrombose, Lungenembolie, akutem Koronarsyndrom und Herzinfarkt sowie in der Abdominalchirurgie und der Inneren Medizin. Top

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