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Lebensnahe Beratungstipps

25.04.2005  00:00 Uhr
Arzneimittel und Alkohol

Lebensnahe Beratungstipps

von Brigitte M. Gensthaler, München

Wer Arzneimittel einnimmt, darf keinen Alkohol trinken. Diese Faustregel ist aber keinesfalls ein Pauschalverbot. Bei welchen Arzneimitteln ist Alkohol grundsätzlich verboten und wann ist ein Glas Bier, Wein oder Sekt durchaus erlaubt?

Mehr als die Hälfte aller Bundesbürger trinkt regelmäßig Alkohol. Aber auch wer sich nur gelegentlich einen guten Tropfen oder ein Helles gönnt, sollte wissen, ob sich dies mit seiner Arzneimitteltherapie verträgt. »Alkohol und Arzneistoffe können auf pharmakokinetischem und -dynamischem Weg interagieren«, erklärte Dr. Nina Griese vom Zentrum für Arzneimittelinformation und pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA beim 4. Suchtforum der Bayerischen Landesärzte- und Landesapothekerkammer sowie der Bayerischen Akademie für Suchtfragen Anfang April in München. Der Apotheker sei gefordert, lebensnahe und im Alltag umsetzbare Ratschläge zu geben. Dabei könne die ABDA-Datenbank wertvolle Hilfen leisten.

Ethanol wird nach oraler Aufnahme fast vollständig resorbiert. Der weitaus größte Teil wird in der Leber durch die Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd oxidiert. Nur ein kleiner Teil ­ bis zu 10 Prozent ­ wird schon im Magen durch die gastralen Vertreter dieser Enzymfamilie umgebaut. Aldehyddehydrogenasen katalysieren den weiteren Abbau zu Acetyl-Coenzym A.

Bei höheren Blutspiegeln wird Ethanol auch durch induzierbare mischfunktionelle Oxidasen abgebaut. Wesentlicher Bestandteil des MEOS (mikrosomales Ethanol-oxidierendes System) ist das Cytochrom-Isoenzym CYP2E1, das ebenfalls am Metabolismus von Arzneistoffen beteiligt ist.

Strikt kontraindiziert

Akuter Alkoholkonsum hemmt CYP2E1 und verlangsamt damit den Abbau einiger Wirkstoffe. Prominentestes Beispiel ist Clomethiazol (Distraneurin®), dessen ausgeprägter First-pass-Effekt durch akute Alkoholzufuhr gebremst wird. Zudem addieren sich die zentral sedierenden Effekte beider Stoffe. Die Kombination kann lebensbedrohlich sein! Insofern müssen die Betroffenen Alkohol strikt meiden.

Ebenfalls streng verboten ist Alkohol während einer Therapie mit Disulfiram (Antabus®), das beim Alkoholentzug eingesetzt wird. Der Arzneistoff hemmt die Aldehyddehydrogenase, sodass Acetaldehyd kumuliert. Dies führt zu schweren, teils lebensbedrohlichen Intoxikationen mit Flush, Übelkeit, Kopfschmerzen, Atemnot, Tachykardie, Blutdruckabfall oder -anstieg. Sehr viel schwächer ausgeprägt ist die Enzymhemmung durch Metronidazol, Griseofulvin und Ketoconazol. In Einzelfällen wurde über leichtere »Disulfiram-Effekte« berichtet, die den Patienten normalerweise nicht gefährden, aber ängstigen können. Die Patienten sollten wissen, dass sie möglicherweise Alkohol nicht vertragen und diesen am besten meiden, empfahl die Referentin.

Vorsicht beim Autofahren

Chronischer Alkoholkonsum induziert die mischfunktionellen Oxidasen. Dies kann die Metabolisierung einiger Pharmaka, zum Beispiel von Phenytoin, Desipramin, Imipramin oder Doxycyclin, beschleunigen. Regelmäßiges Trinken kann zudem die Hepatotoxizität von Isoniazid verstärken (vermutlich über vermehrte Bildung toxischer Metabolite), das seinerseits den Alkoholabbau hemmen kann.

Auch die Wirkung von Phenprocoumon und Warfarin kann bei chronischem Alkoholkonsum verringert sein. Zudem besteht gerade bei alkoholabhängigen Patienten mit Leberinsuffizienz die Gefahr von Fluktuationen in der Blutgerinnung. Bei mäßigem Konsum treten keine Interaktionen zwischen oralen Antikoagulantien und Alkohol auf. Es sei denn, es besteht eine Leberschädigung.

Eine mögliche Erhöhung der Blutalkoholkonzentration durch Hemmung der gastralen Alkoholdehydrogenase nach Einnahme von H2-Rezeptorantagonisten wird seit mehr als zwanzig Jahren diskutiert. Umfangreiche Reviews der Literatur kommen allerdings zu dem Schluss, dass diese Interaktion klinisch nicht relevant und ein genereller Warnhinweis nicht gerechtfertigt sei. Allerdings sollten Patienten mit gastrointestinalen Ulcera und Sodbrennen ohnehin möglichst wenig Alkohol trinken.

Information und Beratung brauchen auch Patienten, die zentral dämpfende Pharmaka einnehmen. Wer dazu Alkohol trinkt, muss mit stärkerer Sedierung, Beeinträchtigung der psychomotorischen Leistung und einer verringerten Verkehrstüchtigkeit rechnen, mahnte die Apothekerin. Die Wechselwirkung könne schon bei geringen Ethanolmengen auftreten und betreffe unter anderem Benzodiazepine (auch Tetrazepam), Barbiturate, Zolpidem und Zopiclon, sedierende Antihistaminika und Opioidanalgetika.

Innerhalb einer Stoffgruppe haben nicht alle Arzneistoffe das gleiche Wechselwirkungspotenzial. Dies zeigt sich bei den trizyklischen Antidepressiva. Warnen müsse der Apotheker vor der Kombination von Amitriptylin mit Alkohol. Für Doxepin ist die Interaktion zwar nicht so gut nachgewiesen, sollte aber dennoch beachtet werden. Desipramin, Imipramin und Clomipramin scheinen nur geringfügig mit Alkohol zu interagieren. Trotzdem kann der Apotheker den Patienten darauf hinweisen, zumal viele trizyklische Antidepressiva gerade in den ersten Wochen der Therapie die Verkehrstüchtigkeit verringern können. Größere Alkoholmengen sind bei Einnahme zentral dämpfender Arzneistoffe in jedem Fall tabu.

Achtung, Hypoglykämie!

Diabetiker müssen nicht grundsätzlich auf Alkohol verzichten. Jedoch sollte die tägliche Zufuhr 15 g bei Frauen und 30 g bei Männern nicht überschreiten (Tabelle). Diabetiker sollten Alkohol nur zu einer Mahlzeit trinken, riet die Referentin. Grund ist die erhöhte Hypoglykämiegefahr. Was viele Diabetiker nicht wissen: Ethanol hemmt die hepatische Gluconeogenese und senkt damit den Blutzuckerspiegel. Dies birgt die Gefahr einer längeren Unterzuckerung, vor allem nachts. Außerdem können die Wahrnehmung der Hypoglykämie gestört und deren Warnsymptome kaschiert sein. Kohlenhydratarme Getränke sind kohlenhydratreichen vorzuziehen.

 

Alkoholgehalt verschiedener Getränke

GetränkAlkoholgehalt
(Volumenprozent)
Menge
(Liter)
Gehalt an reinem Alkohol (g) Bier 5 0,2 8,0 Wein, Sekt 10 0,1 8,0 Wermut 18 0,1 14,4 Eierlikör 20 0,02 3,2 Kräuterlikör 33 0,02 5,2 Obstler 35 0,02 5,6 Weinbrand 40 0,02 6,4 Calvados 55 0,02 8,8

ungefähre Angaben; Quelle: DHS

 

Zusätzlich steigt bei Metformin-Einnahme die Gefahr einer Lactatazidose, die sich durch Magen-Darm-Beschwerden bemerkbar macht und zu Muskelschmerzen, Hyperventilation, Lethargie bis hin zum Koma führen kann. Bei Alkoholismus ist Metformin kontraindiziert.

Widerlegt ist heute die weit verbreitete Annahme, dass Antibiotika und Alkohol sich nicht vertragen. Es gebe keinen Grund zum generellen Verbot, dennoch sei ein kurzzeitiger Verzicht auf Alkohol bei Infektionskrankheiten durchaus zu empfehlen. Zu beachten sind mögliche »Disulfiram-Effekte« durch Metronidazol und Ketoconazol sowie die Isoniazid-Toxizität.

Wie viel ist vertretbar?

Griese riet den Kollegen, in der Apotheke besonders auf multimorbide ältere Patienten zu achten, da diese häufig mehrere Pharmaka einnehmen und möglicherweise an Leber- oder Nierenschäden leiden. Besonderes Augenmerk sollte der Apotheker auch auf Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen und Diabetes richten.

Ihr Fazit: »Sprechen Sie mit den Menschen über mögliche Wechselwirkungen.« Ein generelles Alkoholverbot sei nur selten gerechtfertigt. Für viele Arzneitherapien gilt: Gelegentlicher Konsum von einem oder zwei Gläsern Bier, Wein oder Sekt am Tag ist erlaubt. Auf keinen Fall ist es sinnvoll, Tabletten wegzulassen, wenn man Alkohol trinken möchte.

Tabu für Autofahrer und Schwangere

Grundsätzlich ist ein täglicher Alkoholkonsum wegen der Gewohnheitsbildung bedenkenswert, gab Privatdozent Dr. Felix Tretter, Chefarzt Sucht des Krankenhauses Haar bei München, zu bedenken. Er empfiehlt, nicht täglich und möglichst nur abends zum Essen Alkohol zu trinken und den Durst nicht mit Bier zu löschen. Um eine Gewohnheitsbildung zu vermeiden, seien sechswöchige Abstinenzphasen geeignet. Völlig tabu ist Alkohol in der Schwangerschaft, beim Autofahren und während der Arbeit.

 

Alkohol als Gegenwartsproblem Deutschland gehört in Europa zu den Spitzenreitern beim jährlichen Alkoholverbrauch pro Kopf. Durchschnittlich jeder fünfte Mann und jede zehnte Frau betreibt riskanten Konsum, berichtete Privatdozent Dr. Norbert Wodarz von der Klinik für Psychiatrie der Universität Regensburg beim Suchtforum. Darunter versteht man das Trinken von mehr als 40 g reinem Alkohol pro Tag ­ ein Liter Bier oder ein halber Liter Wein oder Sekt ­ für Männer und 20 g für Frauen. Wer als Mann täglich 60 bis 120 g reinen Alkohol trinkt, betreibt einen gefährlichen Konsum. Statistisch gesehen trinkt jeder Deutsche 12,45 Liter reinen Alkohol oder knapp 500 Halbe Bier pro Jahr (WHO-Daten 2005).

Die Auswirkungen sind erschreckend. Wodarz nannte Zahlen: Jeder 35. Bundesbürger ist alkoholabhängig, ein Drittel davon sind Frauen, jeder zehnte Abhängige ist jünger als 21 Jahre. Jede zehnte Familie hat mindestens ein betroffenes Mitglied. Jedes 300. Baby kommt mit einer Alkoholembryopathie zur Welt. Jeder fünfte Patient im Krankenhaus hat Alkoholschäden.

Besonders gefährdet sind Jugendliche, machte der Psychiater klar. Durchschnittlich mit 12,7 Jahren, in der neuesten Studie schon mit 11,9 Jahren, trinkt ein Jugendlicher erstmals Alkohol. Mit 17 bis 18 Jahren hat ihn praktisch jeder schon probiert. Aus neurobiologischer Sicht ist der Konsum von Suchtstoffen während der hoch empfindlichen, pubertären Umbauphasen im Zentralnervensystem besonders gefährlich, sagte Wodarz. So zeigte eine Studie des Max-Planck-Instituts, dass jeder zehnte jugendliche Alkoholkonsument später von diesem Suchtstoff abhängig wird. Bei jugendlichen Rauchern ist es sogar jeder Dritte, der nicht mehr vom Glimmstängel wegkommt.

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