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Benfotiamin – Rettung der Netzhaut in Sicht?

14.04.2003  00:00 Uhr

Diabetische Retinopathie

Benfotiamin – Rettung der Netzhaut in Sicht?

von Gerd Leidig, Köln

Die diabetische Retinopathie ist eine der gefürchteten Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus. Einer Mannheimer Forschergruppe gelang nun der überraschende Nachweis, dass sich mit Benfotiamin, einem synthetischen Vitamin B1, krankhafte Netzhautveränderungen an Ratten völlig vermeiden lassen. Nun müssen klinische Studien zeigen, ob das bisher bei Mangelerkrankungen und Neuropathien indizierte Vitamin auch bei Diabetikern den erhofften Nutzen zeigt.

Bei der Entstehung der mikrovaskulären Folgeschäden des Diabetes mellitus an Augen, Nerven und Niere spielt die Hyperglykämie die zentrale Rolle. Dies ist auch das Ergebnis der letzten großen Studien wie der „Diabetes Control and Complication“ – Studie (DCCT) für den Diabetes-Typ 1 und der „United Kingdom Prospective Diabetes Study“ (UKPS) für den Diabetiker vom Typ 2 (1,2). Bislang blieb allerdings unklar, auf welchem Weg die erhöhten Zuckerwerte die Gewebe schädigen. Folgende Mechanismen werden bisher angenommen:

  • Aktivierung des Aldose-Reduktase-Weges mit der toxischen Ansammlung von Sorbit in Nervenzellen (Polyol Abbau).
  • Gesteigerte nicht enzymatische Glykosilierung mit der vermehrten Ablage von so genannten „Advanced glycosylation End“- Produkten (AGE).
  • Aktivierung von Isoformen der Protein-Kinase C in Blutgefäßen mit einer nachfolgenden Kaskade diabetischer Komplikationen.
  • Induktion von oxidativem Stress

Superoxidradikale hemmen Glykolyse

Wenn die Blutzuckerwerte über das normale Maß steigen, erleidet der Körper oxidativen Stress, und es werden vermehrt freie Sauerstoffradikale gebildet. Diese Superoxidradikale können ein bestimmtes Enzym im Rahmen der Glykolyse, die Glyceraldehyd-phosphat-dehydrogenase (GAPDH), partiell hemmen. Dadurch kommt es innerhalb des Glucoseabbaus zu einem Rückstau von Glyceraldehyd-3-Phosphat und Fructose-6-Phosphat. Diese Intermediärprodukte der Glykolyse können nun über verschiedene Wege abgebaut werden. Allerdings scheint dabei nur ein Stoffwechselweg für den Organismus unschädlich zu sein: Im Pentose-Phosphat-Weg katalysiert die so genannte Transketolase die Umwandlung in Pentose-Phosphat und andere harmlose Zuckerbausteine. Die Transketolase benötigt aber für ihre biochemische Arbeit einen wichtigen Cofaktor: das Vitamin B1.

Verteilerkreis im Zuckerstoffwechsel

Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Diabetiker eine gestörte Transketolaseaktivität innerhalb ihrer Erythrozyten aufweisen (4). Da dieser Stoffwechselweg der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist, werden bei Diabetikern die gestauten glykolytischen Stoffwechselprodukte, Glyceraldehyd-3-Phosphat und Fructose-6-Phosphat, vermehrt zugunsten der schädlichen Wege umgeleitet. So entstehen unter anderem die gefäßschädigenden AGEs, denen auch in der Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen wie des Morbus Alzheimer eine entscheidende Funktion zugeschrieben werden (5).

Professor Hans-Peter Hammes, Leiter der Sektion Endokrinologie an der V. Medizinischen Klinik des Klinikums, und seine Arbeitsgruppe konnten zeigen, dass man bei Ratten eine diabetische Retinopathie vollständig verhindern kann, wenn man den Tieren oral Benfotiamin gab (3). Das synthetische Vitamin B1 ist im Vergleich zu seiner natürlichen Variante wesentlicher lipophiler, und dadurch auch besser bioverfügbar. Benfotiamin steigerte die Transketolaseaktivität bei diabetischen Ratten um das 2,5fache. So gelingt es, die zell- und organschädigenden Stoffwechselzwischenprodukte als Folge erhöhter Zuckerspiegel auf den Pentosephosphatweg „umzuleiten“ und damit unschädlich zu machen. Die drei wesentlichen schädlichen Stoffwechselwege (Hexosamin-, AGE- und Protein-Kinase-C-Weg) wurden nicht mehr beschritten als beim Nichtdiabetiker.

Vorbehaltlich klinischer Überprüfungen prognostiziert Hammes aufgrund der überzeugenden tierexperimentellen Ergebnisse auch für den Humanbereich gute präventive und kurative Ergebnisse. Wenn man die im Tierversuch eingesetzten Mengen auf den Bedarf beim Menschen hochrechnet, ergibt sich eine Benfotiamin-Tagesdosis von 400 bis 600 mg, oder 3 bis 4 Tabletten der handelsüblichen Mittel. Auf Grund der vorliegenden Daten könnte jedem Diabetiker, selbst bei guter Stoffwechselführung mit HbA1c-Werten unter sechs Prozent, ein Benfotiamin-Präparat für die Selbstmedikation empfohlen werden.

 

Literatur:

  1. The Diabetes Control and Complications Trial Research Group. The effect of intensive treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus. N. Engl. J. Med. 329 (1993) 977 - 986.
  2. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 352 (1998) 837 - 853
  3. Hammes, H. P. et al. : Benfotiamine blocks three major pathways of hyperglycemic damage and prevents experimental diabetic retinopathy. Nature Medicine (2003), 9, Nr. 3 (Online-Ausgabe)
  4. Saito,N., Kimura, M., Kuchiba, A., Itokawa, Y.: Blood thiamine levels in outpatients with diabetes mellitus. J. Nutr. Sci. Vitaminol. 33 (1987) 421 - 430.
  5. Weiss, M. F.: Pathogenic role of advanced glycation end-products (AGEs): an overview. Perit. Dial. Int. 19, Suppl 2 (1999) , 47.
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