Erster Fusionshemmer für HIV-Patienten zugelassen |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Seit langem wird er erwartet, seit wenigen Tagen ist er in den USA auf dem Markt: der erste Fusionsinhibitor Enfuvirtide, besser bekannt unter dem Prüfnamen T-20. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat das Protein in einem beschleunigten Verfahren zur Behandlung von HIV-1-infizierten Menschen zugelassen.
Das Protein aus 36 Aminosäuren gehört zur neuen Klasse der Fusionshemmer, die den Eintritt des HI-Virus in gesunde CD4-Immunzellen verhindern sollen. Dies ist ein neuer Ansatz in der Behandlung der HIV-1-Infektion; bisherige Arzneistoffe hemmen die Vermehrung des Virus nach Befall der Zielzellen. Enfuvirtide, das die Firmen Roche und Trimeris als Fuzeon™ vermarkten, wird in Kombination mit anderen antiretroviralen Medikamenten bei Patienten eingesetzt, bei die Viren Resistenzen entwickelt haben. Als Protein wird es nicht peroral gegeben, sondern subkutan injiziert.
Grundlage der Zulassung sind die Daten aus zwei Phase-III-Studien von je 24 Wochen Dauer, an denen rund 1000 Personen teilnahmen. Die TORO-1-Studie lief in Nordamerika und Brasilien, TORO-2 in Europa und Australien. Das Kürzel steht für „T-20 versus Optimized Regimen Only“. Die Daten der TORO-1-Studie wurden jetzt in der Online-Ausgabe des New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Signifikant besser
In diese Studie wurden 501 Patienten aufgenommen, die vorher mindestens sechs Monate lang Medikamente aus drei Wirkstoffklassen (nukleosidische Reverse-Transkriptase-(RT)-Hemmer, nicht-nukleosidische RT-Hemmer, Proteaseinhibitoren) erhalten und deren Viren Resistenzen entwickelt hatten. Die HIV-1-RNA-Spiegel lagen über 5000 Kopien pro Milliliter Plasma. Alle erhielten eine antiretrovirale Therapie mit drei bis fünf Wirkstoffen, die nach dem individuellen Resistenzprofil optimiert worden war. 328 Patienten spritzten zusätzlich zweimal täglich 90 mg Enfuvirtide subkutan. Die meisten Patienten, die nach acht Wochen auf die alleinige optimierte Therapie nicht ansprachen, erhielten zusätzlich das neue Medikament. Außerdem konnte die Basistherapie modifiziert werden.
Primärer Endpunkt der Studie war die Abnahme der HIV-RNA-Plasmaspiegel nach 24 Wochen. Sekundär wurden das Ausmaß der virologischen Antwort, die Zeit bis zum virologischen Therapieversagen und die Änderung der CD4-Zellzahl erfasst. Die Patienten, die den Fusionshemmer bekamen, schnitten bei allen Zielparametern deutlich besser ab als die Kontrollgruppe.
In der Enfuvirtide-Gruppe nahm die Viruslast signifikant stärker ab und mehr Patienten sprachen auf die Behandlung an als in der Kontrollgruppe. Diese Unterschiede waren bereits früh nachweisbar; ein virologisches Therapieversagen nach 24 Wochen trat bei 60 Prozent der Patienten in der Kontrollgruppe im Vergleich zu 40 Prozent in der Enfuvirtide-Gruppe auf. Außerdem dauerte es hier deutlich länger, bis die Viren nicht mehr auf die Medikamente ansprachen. Beim Studienende war die CD4-Zellzahl unter Enfuvirtide signifikant höher als in der Kontrollgruppe.
Dass auch viele der massiv vorbehandelten Patienten in der Kontrollgruppe von der Therapie profitierten, führten die Autoren auf die optimierten Therapieprotokolle und die sehr gute Compliance der Patienten zurück.
Lokale Reaktionen bei allen
Praktisch alle Patienten klagten über lokale Reaktionen an der Injektionsstelle wie Erytheme, Verhärtungen und Knoten. Die meisten Nebenwirkungen traten in der ersten Therapiewoche auf und waren mäßig ausgeprägt. Von den lokalen Reaktionen abgesehen, hatten drei Viertel der Patienten in beiden Therapiegruppen Nebenwirkungen erlebt, am häufigsten Diarrhö, Übelkeit und Fatigue (Erschöpfungssymptome).
Eine Analyse der Verträglichkeitsdaten aus den beiden TORO-Studien bestätigte diese Befunde. Allerdings wurden hier mehr bakteriell bedingte Lungenentzündungen und Sepsisfälle in der Enfuvirtide-Gruppe festgestellt. Zwei Patienten entwickelten systemische Überempfindlichkeitsreaktionen auf das Protein.
Klinischer Erfolg unklar
Die Autoren folgern, dass Enfuvirtide zusammen mit einer optimierten antiretroviralen Therapie das virologische und immunologische Ansprechen bei HIV-1-Infektion deutlich verbessern kann. Eine Verlängerung der Studie und Auswertung nach 48 Wochen soll Langzeiteffekte des neuen Medikaments prüfen.
Wie und ob der Fusionshemmer den klinischen Verlauf der Infektion beeinflussen kann, ist allerdings offen, denn dazu liegen keine gesicherten Erkenntnisse aus kontrollierten Studien vor. Ebenso gibt es keine Studien zum Einsatz von Enfuvirtide bei nicht antiretroviral vorbehandelten Patienten.
Großer Ansturm erwartet
Das Medikament soll noch im März in den USA verfügbar sein, melden Roche und Trimeris. Da die anfängliche Nachfrage die für die Marktzulassung produzierten Mengen übersteigen könnte, haben sie einen gestaffelten Vertriebsplan entwickelt, der den ununterbrochenen Nachschub des Medikaments für die Patienten sicherstellen soll, die mit der Behandlung begonnen haben. Die Zulassung ist auch in Europa beantragt und wird derzeit vom europäischen Ausschuss für Arzneimittelspezialiäten (CPMP) geprüft.
Der zweite Fusionshemmer in der Trimeris-Roche-Pipeline, T-1249, befindet sich derzeit in Phase-I/II-Studien. Auch er soll von der FDA in einem beschleunigten Verfahren beurteilt werden.
Glykoprotein-41-Faltung blockiert Anders als bisherige Anti-HIV-Medikamente verhindern Fusionshemmer den Eintritt des Virus in die gesunde Immunzelle, indem sie die Verschmelzung der Membranen von Virus und Zielzelle blockieren. Dieser Prozess läuft nach heutiger Kenntnis in mehreren Schritten ab. Zentral beteiligt sind oligomere Proteine auf der Virusoberfläche („spikes“), die aus je drei Untereinheiten des extrazellulären Glykoproteins gp120 und drei transmembranären Untereinheiten von gp41 bestehen. Andockstellen auf der Oberfläche der Zielzelle sind CD4-Rezeptoren und die Chemokin-Corezeptoren CXCR4 oder CCR5.
Zunächst bindet gp120 an den CD4-Rezeptor auf der Zelloberfläche; in der Folge ändert sich die Konformation des Glykoproteins. Dies ermöglicht die Bindung von gp120 an die Chemokin-Corezeptoren, die in der Nähe des CD4-Rezeptors auf der Zelle sitzen. Diesen Prozess könnten synthetische Chemokin-Corezeptor-Inhibitoren blockieren.
Nach Bindung an die Zellrezeptoren ändert das virale Glykoprotein vermutlich erneut seine Konformation und gibt damit den Weg frei für den hydrophoben Anteil von gp41, der in die Zellmembran eindringt. Durch Faltung innerhalb des gp41-Moleküls kommen die Membranen von Virus und Zielzelle in Kontakt. Dieser Prozess scheint die Membranen zu destabilisieren, so dass sich eine Pore in der viralen und der zellulären Membran öffnet, durch die das Viruskapsid in das Zytoplasma schlüpft. Fusionsinhibitoren binden an gp41, verhindern dessen Faltung und in der Folge die Zusammenlagerung der Membranen.
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