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Wenn Kindern die Haare ausfallen

24.02.2003  00:00 Uhr
Dermatologie

Wenn Kindern die Haare ausfallen

von Ulrike Blume-Peytavi und Kristina Zappel, Berlin

Haarausfall bei Kindern kann vielfältige Ursachen haben und ist häufig schwierig zu diagnostizieren und zu behandeln. Genetische, metabolische oder endokrinologische Störungen können zu Grunde liegen. Diese frühzeitig zu erkennen, kann wichtig für die weitere normale körperliche und geistige Entwicklung der kleinen Patienten sein.

Zunächst muss man zwischen umschriebenem und generalisiertem Haarverlust unterscheiden. Die umschriebene Form kann vernarbend oder nicht vernarbend verlaufen. Ein generalisierter Haarausfall kann sich als diffuses Effluvium (Ausfall) im Sinne einer Verminderung der Haardichte manifestieren. Es können jedoch auch Haarschaftanomalien verantwortlich sein.

Zur Gruppe des umschriebenen, nicht vernarbenden Haarausfalls werden Alopecia areata, artifizielle Alopezien wie Trichotillomanie und Trichotemnomanie sowie Pilzinfektionen der Kopfhaut (Tinea capitis) gezählt.

Alopecia areata

Die Alopecia areata äußert sich in meist plötzlich auftretendem, umschriebenem, kreisförmigem, nicht vernarbendem Haarausfall, der schubweise rasch progredient verlaufen kann. Die Alopecia areata circumscripta führt zu einzelnen, umschriebenen Herden auf der Kopfhaut, an Augenbrauen, Wimpern oder anderen Körperhaaren; dagegen fehlen bei der Alopecia areata totalis die Kopfhaare fast komplett. Erstreckt sich das Symptom auf die gesamte Körperbehaarung, spricht man von einer Alopecia universalis.

Die Inzidenz wird auf 0,03 bis 0,1 Prozent geschätzt. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. Der Haarverlust an der Kopfhaut findet ohne klinisch sichtbare Entzündung statt; es ist lediglich eine teigige, ödematöse Schwellung zu tasten. Typisch sind so genannte Ausrufezeichen-Haare am Rand.

Neben Lymphknotenschwellungen können sich auch die Nägel verändern (Tüpfelnägel, rote Lunula, Sandpapiernägel). Häufig sind eine atopische Diathese (10 bis 20 Prozent), Vitiligo (1 bis 4 Prozent), Schilddrüsenerkrankungen (1 bis 2 Prozent). Eine Assoziation mit dem Down-Syndrom ist ebenfalls bekannt. Mögliche Triggerfaktoren können chronische Infekte vor allem im Hals-Nasen-Ohrenbereich und an den Zähnen sein.

30 bis 40 Prozent der kleinen Patienten erleben eine Spontanremission innerhalb der ersten sechs Monate. Allerdings ist die Rezidivquote hoch. Verschiedene Kriterien gelten als prognostisch ungünstig: Erstmanifestation vor der Pubertät, Bestandsdauer länger als ein Jahr, positive Familienanamnese, Neigung zu Allergien, Nagelveränderungen, assoziierte Autoimmunerkrankungen und Haarausfall im Nacken (Ophiasis-Typ).

Diagnostisch zeigt sich klinisch ein positiver Zupftest oder ein erhöhter Anteil an Telogenhaaren im Trichogramm (Haarwurzelstatus). Liegt eine histologische Untersuchung vor, sind perifollikuläre Entzündungszeichen um den Haarbulbus zu erkennen.

Vor Therapiebeginn sollten infektiöse Herde saniert und metabolische Störungen (Schilddrüse, Diabetes mellitus) ausgeschlossen werden. Abhängig von Krankheitsaktivität und -progression ist ein stadienorientiertes therapeutisches Vorgehen zu empfehlen.

In der akuten Phase kann zunächst vier bis sechs Wochen lang eine Corticoid-haltige Lösung lokal aufgetragen werden. Bleibt der Haarausfall bestehen oder schreitet langsam fort, ist eine lokale Therapie beispielsweise mit Dithranol möglich. Auch Immunmodulatoren werden eingesetzt. Dies ist jedoch eine experimentelle Therapie, der eine Ethikkommission zustimmen muss und die je nach Bundesland mit unterschiedlichen Altersgrenzen eingesetzt wird. In einigen Fällen mit gering ausgeprägtem Befall und guten prognostischen Kriterien ist abwartendes Verhalten angezeigt.

Unterstützend kann man bei Eisenmangel eine drei- bis sechsmonatige orale Eisensubstitution erwägen. Mitunter hilft eine psychotherapeutische Betreuung, zum Beispiel eine Spieltherapie, die Krankheit zu bewältigen.

Haarausfall selbst verursacht

Bei den artifiziellen Alopezien sind als häufigste Diagnosen die Trichotillomanie, die Trichotemnomanie und die Traktionsalopezie zu nennen.

Bei der Trichotillomanie reißen sich die Patienten zwanghaft selbst Haare aus und mindern so ihre Haardichte. Im Kindesalter sind häufiger Jungen, später häufiger weibliche Jugendliche betroffen. Klinisch sieht man unscharf begrenzte Areale mit abgebrochenen, unterschiedlich langen Haaren und Einblutungen ohne Entzündungszeichen. Der Zupftest ist negativ, im Trichogramm finden sich kaum Haare in der Ruhephase (Telogen). Die histologische Aufarbeitung zeigt eine Trichomalazie (Erweichung der Kopfhaare innerhalb der Follikel) und Einblutungen. Als Ursache kommen psychologische Konflikte, häufig bei einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung, in Frage.

Bei der Trichotemnomanie ist die Haardichte in scharf umschriebenen Arealen künstlich reduziert. Auffällig ist, dass die Haare anormal kurz sind. Der Patienten schneidet sie heimlich selbst mit einer Schere ab, klagt dann aber über Haarausfall. Das Trichogramm weist ausschließlich eine Normalverteilung auf. Auch hier liegen häufig psychologische Konflikte und das Verlangen, Aufmerksamkeit und Beachtung zu erhalten, zu Grunde. Psychotherapeutische Ansätze helfen, die Konfliktsituation zu beherrschen.

Eine wichtige Differenzialdiagnose bei meist am vorderen Haaransatz lokalisiertem, bandförmigen Haarausfall ist die Traktionsalopezie. Dieses Krankheitsbild ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Typisch sind kurze abgebrochene Haare und Follikelentzündungen sowie umschriebene, vernarbende Areale vor allem an den Rändern des behaarten Kopfes. Dieser Haarausfall tritt häufig bei Kindern mit Pferdeschwanzfrisur auf oder bei negroiden Patienten, die zum Glätten ihrer gekräuselten Haare einen straffen Zug ausüben oder an die Kopfhaare schwere Kunsthaare oder Zöpfe anknüpfen. Eine Änderung der Frisiergewohnheiten wirkt sich positiv aus.

Pilze auf der Kopfhaut

Die meisten infektiösen Erkrankungen der Kopfhaut werden durch Pilze ausgelöst, seltener sind Follikelentzündungen oder virale Infektionen. Die häufigste Infektion ist die Tinea capitis. Sie äußert sich in umschriebenen, geröteten, schuppigen Kopfhautveränderungen mit fehlenden oder typischerweise abgebrochenen Haaren.

Als Erreger werden meist Microsporum und Trichophyton in Nativpräparaten oder in Kultur nachgewiesen. Als Ursache kommt häufig ein Haustier oder Aufenthalt in ländlicher Umgebung in Frage. Als Lokaltherapeutika eignen sich Präparate mit Ciclopirox oder Imidazole. Bei ausgedehntem Befall muss systemisch mit Griseofulvin, Ketoconazol oder Itraconazol behandelt werden. Ketoconazol sollte nur bei Kindern ab zwei Jahren verwendet werden, Itraconazol ist erst ab 18 Jahren zugelassen.

Haarausfall mit Narben

Ursache eines umschriebenen, vernarbenden Haarausfalls können tiefe Pilzinfektionen der Kopfhaut, Blasen bildende Hauterkrankungen wie Epidermolysis bullosa, seltener Lichen ruber follicularis oder Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes sein. Differenzialdiagnostisch muss eine kongenitale Aplasia cutis abgegrenzt werden.

Die Aplasia cutis congenita ist ein angeborener Hautdefekt, der in 85 Prozent der Fälle am Kopf lokalisiert ist. Nach der Geburt erscheint ein scharf begrenztes Ulkus mit rötlichem Grund, das meist rasch abheilt und eine atrophische Narbe, häufig im Bereich des Hinterkopfwirbels, hinterlässt. Der Befall einzelner oder mehrerer Areale sowie eine familiäre Häufung wurden beschrieben. Dabei handelt es sich meist um einen autosomal dominanten Erbgang.

Die Aplasia cutis congenita ist mit vielen Merkmalen in Verbindung gebracht worden, beispielsweise der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Extremitätenfehlbildungen oder ektodermalen Dysplasien.

Generalisierter Haarausfall

Liegt ein generalisierter Haarausfall mit diffus verminderter Haardichte vor, spricht man von einem diffusen Effluvium. Auch bei der Alopecia areata gibt es Verlaufsformen mit diffusem Haarverlust (Alopecia areata diffusa, totalis oder universalis). Bei blonden Mädchen im Vorschulalter findet sich häufiger ein loses Anagenhaar-Syndrom. Differenzialdiagnostisch sind Infektionen, metabolische Störungen oder Intoxikationen auszuschließen.

Typisch für ein loses Anagenhaar-Syndrom ist ein schmerzlos ausziehbares, blondes, feines und glanzloses Haar. Meist sind vier- bis sechsjährige Mädchen betroffen. Im Lichtmikroskop betrachtet, befinden sich fast alle ausgezogenen Haare in der Anagenphase. Die Erkrankung scheint durch eine fehlerhafte Differenzierung in der inneren Wurzelscheide bedingt zu sein. Mit Beginn der Pubertät normalisiert sich der Defekt; es kommt zu einer festen Verankerung der Haarwurzeln.

Anomalien am Haarschaft

Bei Haarausfall durch eine erhöhte Haarschaftbrüchigkeit müssen verschiedene Formen der genetischen Haarbildungsstörungen (Genotrichosen) bedacht werden. Man unterscheidet isolierte Haarschaftanomalien wie Monilethrix, Trichorrhexis nodosa und Pili torti sowie mehrere Syndrome mit assoziierten Haarschaftanomalien. Diese Anomalien können umschrieben oder generalisiert auftreten.

Die Monilethrix ist eine angeborene Haarschaftanomalie mit autosomal dominantem Erbgang und erhöhter Brüchigkeit der Haare. Im Lichtmikroskop sieht man perlschnurartige Verdickungen (Nodi), die sich periodisch abwechseln mit Verschmälerungen (Internodi) des Haarschaftes. Bei der so genannten Pseudomonilethrix folgen knotige Auftreibungen auf Abschnitte von normal dickem Haarschaft. Assoziiert können Nagelveränderungen und ektodermale Dysplasien vorliegen. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt.

Bei der Trichorrhexis nodosa gibt es eine angeborene und eine erworbene Form. Bei Kindern treten in der Regel nur angeborene Formen auf. Die Erkrankung, die in den ersten Lebensmonaten sichtbar wird, ist sehr wahrscheinlich autosomal dominant vererbt. Klinisch und lichtmikroskopisch zeigt sich eine Aufsplitterung des Haarschafts, dessen Bruchstellen an zwei ineinander gedrückte Pinsel erinnern. Bei ausgeprägtem Befall ist die Kopfhaut nur noch von kurzen Stoppeln bedeckt.

Eine Trichorrhexis nodosa bei Kindern mit geistiger Retardierung kann auf die Arginin-Bernsteinsäure-Krankheit hinweisen; dies ist eine seltene Stoffwechselerkrankung mit einem Defekt im Harnstoff-Zyklus. Bei einer Argininsuccinase-Defizienz kann eine eiweißarme, Arginin-supplementierte Diät die Haarschaftqualität verbessern.

Als Pili torti bezeichnet man abgeflachte und um die Längsachse gedrehte Haare, die in Gruppen von drei bis zehn Haaren zusammenstehen. Kinder können diese Besonderheit von Geburt an aufweisen. Sie zeigt gelegentlich eine Assoziation mit Keratosis pilaris und Nagelveränderungen. Die Krankheit kann aber auch erst nach der Pubertät beginnen. Eine erfolgreiche Therapie ist nicht verfügbar. Pili torti können außerdem bei verschiedenen Syndromen, wie beispielsweise dem Menkes-Syndrom, auftreten.

Genetisch bedingte Veränderungen

Das Menkes-Syndrom ist ein x-chromosomal rezessiv vererbter Defekt des Kupferstoffwechsels, der zu schwerem Kupfermangel in Serum, Leber und Gehirn der betroffenen Jungen führt. In den ersten Lebensmonaten entwickeln sich die Kinder normal. Ab dem dritten Monat wird eine psychomotorische Verlangsamung deutlich, und das ursprünglich normale Kopfhaar verändert sich. Die Kleinen haben eine blasse Hautfarbe, einen typischen emotionslosen Gesichtsausdruck und helles, kurzes, brüchiges, Pili-torti-ähnliches Haar, das an Stahlwolle erinnert. Infektneigung, Krampfanfälle und Trinkschwäche mit körperlicher und geistiger Retardierung folgen.

Die parenterale Substitution von Kupferhistidin-Komplexen brachte keinen zufrieden stellenden Erfolg. Häufig versterben die Kinder im ersten oder zweiten Lebensjahr.

Das Netherton-Syndrom ist durch das gemeinsame Auftreten einer Ichthyosis linearis circumflexa, einer Allergieneigung (75 Prozent) und der Trichorrhexis invaginata, den so genannten Bambus-Haaren, charakterisiert. Diese autosomal rezessive Erkrankung betrifft häufiger Mädchen und mehr oder weniger ausgeprägt alle Körperhaare. Das Haar wirkt stumpf, glanzlos und bricht. Wird es vor physikalischen oder chemischen Schäden geschützt, bessert sich in einigen Fällen das klinische Bild. Eine weitgehende Normalisierung der Keratinisierung ist mit der systemischen Gabe von Etretinat erzielt worden.

Bei der Trichothiodystrophie handelt sich um eine sehr seltene autosomal rezessive Erkrankung mit einer gesteigerten Haarschaftbrüchigkeit. Die Patienten sind geistig und physisch retardiert, die Hälfte leidet an Lichtempfindlichkeit und Ichthyose. Die Haare haben einen abnorm niedrigen Schwefelgehalt und zeigen im polarisierten Licht abwechselnd helle und dunkle Zonen, was an ein Tigerschwanz-Muster erinnert.

 

Literatur bei den Verfassern

 

Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. Ulrike Blume-Peytavi
Dr. Kristina Zappel
Kompetenzzentrum Haare und Haarerkrankungen
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Charité
Campus Mitte
Humboldt-Universität
Schumannstraße 20-21
10117 Berlin

ulrike.blume-peytavi@charite.de
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