Per Magnet durch den Magen |
22.01.2001 00:00 Uhr |
Mit einer faszinierenden Technik ist es dem Forscherteam um Professor Dr. Werner Weitschies von der Universität Greifswald gelungen, das Schicksal von Arzneiformen im Magen-Darm-Trakt genauer unter die Lupe zu nehmen. Bislang konnten Mediziner mit der Szintigraphie nur eindimensionale und zudem zeitversetzte Aufnahmen machen. Der größte Nachteil: die Präparate mussten zuvor radioaktiv markiert werden. Solche Untersuchungen an Patienten seien aber in Deutschland untersagt, erklärte der Technologe in Davos. Er entwickelte daher ein neues ferromagnetisches Verfahren.
Dazu arbeiten die Wissenschaftler zunächst eine Eisenverbindung in die Arzneiform ein die sie anschließend magnetisieren. Schluckt der Patient dann das manipulierte Präparat, können die Forscher mit einem extrem empfindlichen Messgerät die Magnetfelder von außen lokalisieren. Der Computer berechnet anschließend ein dreidimensionales Bild. Die Feldstärke sei allerdings unglaublich schwach, erklärte der Forscher. Deshalb brauche man eine sehr aufwändige Messapparatur. Weitschies: "Die Verhältnisse sind etwa so, als ob sie die Feldstärke eines Autoanlassers, der auf dem Mond steht, hier auf der Erde messen."
Aufrecht und mit viel Flüssigkeit
Die Wissenschaftler beobachteten mit ihrem Verfahren, dass feste Arzneiformen gerne in der Speiseröhre hängenbleiben. Zwar transportiert die Muskulatur mit ihren peristaltischen Kontraktionen den Speisebrei durch den Ösophagus. Für die Passage von Kapseln oder Tabletten sei aber hauptsächlich die Schwerkraft entscheidend, erklärte Weitschies. In einer US-amerikanischen Untersuchung blieben 91 Prozent der Probanden die Tabletten im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken, weil sie weder aufrecht saßen noch etwas dazu tranken. Der Patient müsse seine Medikamente also unbedingt mit mindestens 60 bis 100 ml Flüssigkeit schlucken und den Oberkörper mindestens um 45 Grad aufrichten, betonte der Referent.
Sind die Tabletten oder Kapseln erst im Magen angekommen, entscheiden diverse andere Parameter über ihr weiteres Schicksal. Am stärksten hängt die Passagezeit vom Füllungszustand des Magens und der Größe der Arzneiform ab. Nach nüchterner Einnahme entleere der Magen das Präparat meist innerhalb eines motorischen Zyklus, erklärte Weitschies. Dieser besteht aus drei Phasen und dauert bis zu zwei Stunden. Arzneiformen, die nicht zerfallen, können also bis zu 120 Minuten im Magen liegenbleiben.
Den gefüllten Magen passieren im Gegensatz dazu kleine oder sich auflösende Partikel relativ rasch. Nicht zerfallende Retardtabletten oder magensaftresistente Präparate blieben dagegen solange im vollen Magen, bis der Speisebrei entleert sei und der motorische Zyklus wieder einsetzt, erklärte der Referent. Das könne je nach Speiseart bis zu vier Stunden dauern. Daraus ergeben sich laut Weitschies für die Apothekenpraxis folgende Empfehlungen: Magensaftresistente Single-dose-Arzneiformen müssen nüchtern, das heißt möglichst eine oder besser zwei Stunden vor der Mahlzeit, eingenommen werden.
Dünndarmpassage zu beeinflussen, ist schwieriger
Viele Wirkstoffe werden aus dem oberen Teil des Dünndarms resorbiert. Hier sei es wesentlich schwieriger, die Passagezeiten vorauszusagen, geschweige denn zu beeinflussen, so der Technologe. Die Bioverfügbarkeit von entsprechenden Wirkstoffen lasse sich in der Regel erhöhen, indem man die Präparate mit oder nach der Mahlzeit schluckt und sich so die verzögerte Magenentleerung zu nutze macht. Die Arzneiform soll also möglichst im Magen verweilen, und kontinuierlich Wirkstoff freigeben, der dann weiter in den Dünndarm diffundiert.
Inzwischen sei es Technologen mit verschiedenen Tricks gelungen, die Verweildauer der Präparate im Magen zu verlängern. Als Beispiel nannte Weitschies die sogenannten gastroretentiven Arzneiformen wie Madopar® depot. Die Kapseln quellen im Magen zu einem Pfropf auf und sollen auf Grund ihres hohen lipophilen Anteils länger im Magen schwimmen. Von dort gibt das Präparat dann kontinuierlich den Wirkstoff frei.
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