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Herzinfarkt-Risiko erkennen

07.07.2003  00:00 Uhr
PZ-Akademie Kongress

Herzinfarkt-Risiko erkennen

Die Chancen eines Patienten, seinen ersten Herzinfarkt zu überleben, sind in Deutschland noch immer erschreckend gering: Die Gesamtsterblichkeit beträgt 50 Prozent. Diese Tatsache macht deutlich, wie wichtig es ist, die Risikoträger innerhalb der Bevölkerung möglichst frühzeitig zu erkennen und falls erforderlich medikamentös zu behandeln.

Um die gefährdeten Personen zu identifizieren, kommt daher der Bestimmung der Blutfettwerte in der Apotheke eine wichtige Funktion zu. Aus diesem Grund lautete das Thema eines Workshops “Herzinfarkt-Risiko: sichere Erkennung und Bestimmung“. Apothekerin Elisabeth Thesing-Bleck aus Aachen und Dr. Horst-Günter Klar aus Essen stellten den Seminarteilnehmern eine einfache Methode vor, wie aus nur acht Faktoren das Risiko berechnet werden kann, innerhalb der nächsten zehn Jahre ein schweres Herz-Kreislauf-Ereignis wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Nach ihrer Bedeutung geordnet sind das: Alter, LDL-Cholesterol, Rauchen, HDL-Cholesterol, systolischer Blutdruck, Diabetes mellitus, Triglyceride und eine familiäre Disposition. Vier lassen sich erfragen, die anderen vier können in der Apotheke bestimmt werden.

PROCAM-Studie für Europa

Die Grundlage für diese einfache Risikoabschätzung bildet die so genannte prospektive kardiovaskuläre Münster (PROCAM) Studie der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Gerd Assmann vom Institut für Arterioskleroseforschung der Universität Münster. Die Studie begann 1979. Wissenschaftler befragten Mitarbeiter von insgesamt 52 Firmen und Behörden in Westfalen, im näheren Umfeld der Stadt Münster. Damals war die Tatsache sehr ungewöhnlich, dass ein Drittel der insgesamt 40.000 gesunden Probanden im Alter zwischen 16 bis 65 Jahren weiblich waren, da Frauen zu dieser Zeit üblicherweise nicht in Studien eingebunden wurden. Nach ihrer Einverständniserklärung wurden die Männer und Frauen ärztlich untersucht und mussten einen standardisierten Fragebogen ausfüllen. Erfasst wurde vor allem der Blutdruck sowie 30 weitere Laborparameter. Die Datenauswertung erfolgte nur bei solchen Teilnehmern, die noch keinen Infarkt, Schlaganfall oder ein anderes koronares Ereignis erlitten hatten. Nach zehn Jahren werteten die Forscher die Ergebnisse von 5333 Männern und 2926 Frauen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren aus. In dieser Zeit hatten 345 Männer einen Herzinfarkt erlitten, jedoch nur 31 Frauen. Die geringe Zahl bei den weiblichen Probanden reichte als Datenlage noch nicht aus, um für Frauen eine statistisch gesicherte Aussage zu machen.

Der für Europa relativ zentrale Studienort Münster erwies sich für alle Mitteleuropäer als signifikant. Die Ergebnisse der häufig zitierten Framingham-Studie lassen sich nicht auf Mitteleuropa übertragen, bemerkte Klar, sondern gelten nur für Nordamerika. Errechnet man das Herzinfarkt-Risiko für Deutsche nach den Framingham-Kriterien, so ergibt sich ein doppelt so hoher Wert wie auf der Grundlage der PROCAM-Studie.

Mittels Lipid-Triade Risiko abschätzen

Die entscheidende Frage, der die Wissenschaftler nachgingen, lautete: Wie wirken sich die einzelnen Parameter auf das Gesamtrisiko aus? Die einfachste Methode zur Risikoabschätzung ist die so genannte Lipid-Triade. Hierzu teilten die Wissenschaflter die Studienteilnehmer in zwei etwa gleich große Gruppen ein. Die eine Gruppe bildeten die Männer, bei denen das Verhältnis aus Gesamtcholesterol zum HDL-Wert unter oder gleich 5 war (Anteil am Gesamtkollektiv = 47,4 Prozent), die Männer mit einem Quotienten über 5 ordneten sie der zweiten Gruppe zu (Anteil am Gesamtkollektiv = 52,6 Prozent). Die Einbeziehung der HDL- und Triglycerid-Werte machte deutlich, dass zur Beurteilung des Risikos alle drei Werte differenziert betrachtet werden müssen.

Ist der Quotient größer als 5, liegen die HDL-Werte unter 35 mg/dl und die Triglycerid-Werte über 200, dann erhöht sich die Inzidenz bereits auf 15,7 Prozent. Bei HDL-Werten über 35 mg/dl spielt der Triglycerid-Wert dagegen kaum eine Rolle. Als Konsequenz für die Beratung in der Apotheke ergibt sich daraus: Ein erhöhter Gesamtcholesterol-Wert sollte als Warnsignal angesehen werden, auf jeden Fall muss anschließend eine genauere Analyse der einzelnen Lipidwerte erfolgen. Die Münsteraner Mediziner begrüßen das Screening in Apotheken, da diese Messung hilft, Menschen mit einem Risiko frühzeitig zu erkennen und sie dann an den Arzt zu verweisen.

Welche Werte gelten als Warnsignal? Aktuell gilt: ein Triglycerid-Wert zwischen 150 bis 400 mg/dl, ein Gesamtcholesterol-Wert über 200 mg/dl, ein LDL-Wert über 135 mg/dl, ein HDL-Wert unter 40 mg/dl und ein Quotient aus Gesamtcholesterol/HDL über 5. Als Faustregel gilt: Der Quotient aus LDL/HDL sollte kleiner sein als 4. Mit Hilfe mathematisch-statistischer Verfahren wurden die Studiendaten bearbeitet und Methoden entwickelt, wie das individuelle Risiko berechnet werden kann. Das kann nach einem relativ einfachen Punktesystem, dem so genannten PROCAM-Score, oder auch durch den PROCAM-Algorithmus erfolgen. Beide Methoden ergeben das selbe prozentuale Risiko, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. In diese Berechnung fließen die verschiedenen Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung ein. So lässt sich beispielhaft zeigen, dass Diabetes das Risiko um denselben Faktor erhöht wie ein bereits erfolgter Herzinfarkt. Die Empfehlungen für den Patienten orientieren sich an der Höhe seines prozentualen Risikos. Liegt der Wert niedrig, das heißt unter 5, dann sollten die Betroffenen ihren Lebensstil ändern, das heißt sich mehr bewegen, mediterran ernähren, eventuell ihr Gewicht reduzieren und aufhören zu rauchen. Bei einem Risiko zwischen 5 und 20 Prozent, das als mäßig erhöht gilt, sind erhebliche Veränderungen der Lebensgewohnheiten erforderlich, auch sollte eine medikamentöse Therapie in Erwägung gezogen werden. Werte über 20 Prozent gelten als hohes Risiko, die Betroffenen müssen unbedingt medikamentös therapiert werden.

 

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