Mehr Sicherheit mit Buprenorphin |
20.12.1999 00:00 Uhr |
Nach Methadon und LAAM (Levo-alpha-acetylmethadol) soll im nächsten Jahr ein weiteres Medikament zur Substitution bei Opiatabhängigkeit in Deutschland zugelassen werden: Buprenorphin, das als Temgesic® seit 1980 zur Behandlung starker Schmerzen eingesetzt wird.
In Frankreich wurde Subutex® (mit 0,4, 2 und 8 mg Buprenorphin) bereits 1996 eingeführt, berichtete Dr. Marc Auriacombe aus Bordeaux beim 8. Suchtmedizinischen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Drogen- und Suchtmedizin Anfang Dezember in München. Nach Schätzungen waren 1998 mindestens 150.000 Menschen in Frankreich opiatabhängig, etwa 6000 erhielten Methadon und 50.000 bis 60.000 Buprenorphin. Die Vergabe ist nicht besonders streng geregelt: Jeder Arzt kann auf einem speziellen Rezeptblatt Buprenorphin für maximal 28 Tage auch als Take-home-Dosis verordnen. Jede Apotheke darf das Medikament abgeben.
Partialagonist wirkt lange
Auriacombe schätzt die Effektivität von Buprenorphin hoch ein. In einer eigenen Studie fand er nach einem Jahr nur noch bei 7 Prozent aller Probanden Drogenrückstände im Urin. Zudem besserte sich die Lebensqualität vieler Patienten; sie bekamen psychologische, familiäre, berufliche und gesundheitliche Probleme besser in den Griff. Ein vermehrter Alkoholkonsum wurde nicht festgestellt. Viele Patienten fühlen sich mit Buprenorphin klarer im Kopf als unter Methadon - ein Vorteil für Berufstätige. Grundsätzlich können Nebenwirkungen wie unter Opioiden auftreten, also Obstipation, Schwindel, Kopfschmerzen, Schwitzen oder Erbrechen. Diese sind aber nach Erfahrung des französischen Arztes deutlich geringer ausgeprägt als unter Methadon.
Der Grund liegt im Wirkprofil. Buprenorphin ist ein partieller Agonist am m-Opioid-Rezeptor, der die analgetische und euphorisierende, aber auch die atemdepressive und sedierende Wirkung vermittelt. Zugleich wirkt es antagonistisch am k-Rezeptor, der neben dem s-Rezeptor für dysphorische Effekte verantwortlich gemacht wird.
Als Partialagonist erreicht Buprenorphin auch in sehr hoher Dosis nicht den maximalen Effekt der reinen Agonisten wie Heroin und Methadon. Das heißt: Ab einer gewissen Dosis (8 bis 32 mg) lässt sich der Effekt durch zusätzliche Gaben nicht mehr steigern. Dieses Plateau in der Dosis-Wirkungskurve (ceiling-Effekt) macht eine Überdosierung unwahrscheinlich und schafft einen großen Sicherheitsbereich.
Auch aufgrund seiner Kinetik hat die Substanz Vorteile, wie Privatdozent Dr. Hans-Udo Schneider aus Hannover erläuterte. Buprenorphin ist nur bei sublingualer Gabe ausreichend bioverfügbar (circa 50 Prozent); bei peroraler Gabe unterliegt es einem hohen First-pass-Effekt. Dies mindert die Gefahr einer versehentlichen Vergiftung. Sowohl die Bindung an als auch die Dissoziation vom Rezeptor verläuft langsam. Außerdem wird Buprenorphin im Fettgewebe gespeichert und von dort langsam freigesetzt. Die Wirkung tritt deshalb verzögert ein, hält aber lange an. Höhere Dosen verlängern die Wirkung, was eine dreimal wöchentliche Gabe (der doppelten Tagesdosis) möglich macht.
Kaum zu antagonisieren
Ein Nachteil von Buprenorphin: Aufgrund seiner hohen Affinität zum m-Rezeptor lässt sich die Substanz dort von Opioid-Antagonisten wie Naloxon kaum verdrängen. Im Gegenteil verdrängt der Partialagonist andere Opioide vom Rezeptor und kann bei abhängigen Personen Entzugssymptome auslösen. Daher sollen Methadon-Patienten zunächst nur noch 30 mg/Tag erhalten, bevor sie auf die neue Substanz umgestellt werden, riet Schneider. Die initiale Gabe sollte frühestens vier Stunden nach der letzten Heroin-Injektion oder 24 Stunden nach der letzten Methadon-Einnahme erfolgen. Laut Auriacombe gibt es nur wenige Gründe für den Wechsel: wenn Methadon nicht wirkt oder nicht vertragen wird.
Auf die Darreichungsform achten
In Studien zur Substitution war die Haltequote bei höheren Dosierungen (4, 8 oder 16 mg Buprenorphin) deutlich besser als bei 1 mg täglich. 8 mg Buprenorphin waren hinsichtlich der Haltequote vergleichbar mit 60 mg Methadon über 17 Wochen. Unterschiedliche Ergebnisse in US-amerikanischen und europäischen Studien führte Schneider auf die Darreichungsform zurück. Aus der alkoholischen Lösung, die in den USA üblich ist, wird der Wirkstoff besser resorbiert als bei der in Europa üblichen sublingualen Gabe.
Der Drogenexperte zog ein positives Resümee aus den Studien: 8 mg Buprenorphin in ethanolischer Lösung entsprechen 12 mg sublingual oder 60 mg Methadon. Höhere Dosen (über 12 mg ethanolische Lösung) unterdrücken auch den Beigebrauch von Cocain. Für die Entgiftung mit Buprenorphin gibt es noch kein einheitliches Schema. Auch schwangere Frauen können Buprenorphin bekommen; die Neugeborenen haben keine oder nur geringe Entzugserscheinungen. Gleichwohl sind die Daten für schwangere und stillende Frauen noch unzureichend.
Welches Mittel für wen?
Der Hamburger Arzt Dr. Rainer Ullmann tastete sich an eine Einordnung der verfügbaren Substitutionsmittel heran. Buprenorphin hält er für angezeigt, wenn nur eine kurzzeitige Therapie geplant ist oder der Patienten an Depressionen leidet. Dann sei auch DHC geeignet, das ebenso sozial stabilen Menschen helfen kann, die ein Entzugssyndrom vermeiden wollen. Möglichst gleichmäßige Blutspiegel erziele man mit LAAM. Dieses und Methadon seien angezeigt, wenn eine strenge Einnahmekontrolle nötig ist. Und für Patienten, die noch die Wirkung von Heroin brauchen? Für die gebe es nur Morphin oder "pharmazeutisches" Heroin.
Literatur:
© 1999 GOVI-Verlag
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