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Die Pille danach zur Selbstmedikation

09.12.2002  00:00 Uhr
Notfallkontrazeption

Die Pille danach zur Selbstmedikation

von Hartmut Morck, Eschborn

Im August 2000 wurde zur Notfallkontrazeption neben der kombinierten Pille mit 50 μg Ethinylestradiol und 250 μg Levonorgestrel (Tetragynon®) und Mifepriston (RU 486) eine reine Gestagen-Pille für dieselbe Indikation mit 750 μg Levonorgestrel unter dem Namen duofem® in den deutschen Markt eingeführt.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die reine Gestagen-Pille wesentlich verträglicher ist als die beiden anderen Präparate. Folgerichtig hat der Hersteller den Antrag auf Entlassung der Levonorgestrel-Pille aus der Verschreibungspflicht gestellt, zumal sie in acht europäischen Ländern bereits ohne Rezept in den Apotheken zur Notfallkontrazeption erhältlich ist.

Als Notfallkontrazeption wird eine Verhütungsmethode definiert, die nach ungeschütztem Sexualverkehr, also postkoital, aber vor der Einnistung der Blastozyte in die Gebärmutter angewandt wird. Nach Meinung von Experten ist eine solche Methode nicht mit einem Abort gleichzusetzen, zumal auch ohne Notfallkontrazeption nur jede zweite befruchtete Eizelle zur Nidation kommt.

Kombi-Pille und Mifepriston

Zur Befruchtung der Eizelle beziehungsweise zu einer Schwangerschaft kann es erfahrungsgemäß dann kommen, wenn der Geschlechtsverkehr bis zu fünf Tage vor und einen Tag nach der Ovulation stattfindet. Für die Wirkung einer Notfallkontrazeption ist es von Bedeutung, ob diese vor oder nach der Ovulation erfolgt.

Die Estrogen-Gestagen-Kombination und Mifepriston wirken wahrscheinlich in erster Linie präovulatorisch. Die Kombination unterdrückt oder verzögert die Ovulation. Mifepriston unterdrückt das Wachstum des Follikels. Ob diese beiden Kontrazeptiva auch postovulatorisch wirken, ist noch nicht geklärt. Bei Mifepriston geht man davon aus, dass es zusätzlich die Funktionen des sekretorischen Endometriums negativ beeinflusst.

Levonorgestrel dagegen verhindert nicht die Ovulation, sondern beeinflusst die Motilität der Spermien, die Nidation und wahrscheinlich auch den Tonus der Tuben.

Bereits 1977 veröffentlichte der kanadische Mediziner Yuzpe die Ergebnisse einer klinischen Studie, in der Schwangerschaften mit der Ethinylestradiol-Levonorgestrel-Kombination als Notfallkontrazeptivum verhindert werden konnten. Drei von vier Schwangerschaften wurden vermieden, wenn die Einnahme bis zu 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr erfolgte (Fertil. Steril. 28 (1977) 932 – 936). Allerdings ist diese Methode, die inzwischen als Yuzpe-Methode in der Literatur eingegangen ist, mit Übelkeit und Erbrechen verbunden. Die Originalpackung enthält vier Tabletten, von denen zwei möglichst bald, spätestens aber 72 Stunden nach dem Koitus eingenommen werden. Die nächsten beiden Tabletten folgen zwölf Stunden später, was die Zuverlässigkeit der Methode deutlich einschränkt.

Beim Mifepriston sind die Verhältnisse etwas anders, weil die Dosierung mit 600 mg, die normalerweise gegeben wird, als abtreibend gilt. Zur postkoitalen Verhütung ist eine wesentlich geringere Dosis nötig. Bereits 10 mg reichen aus, um eine Schwangerschaft zuverlässig und nebenwirkungsarm zu verhindern, wie eine WHO-Studie mit 1700 Frauen 1999 gezeigt hat. Die Frauen erhielten Mifepriston, entweder 600 mg, 50 mg oder 10 mg innerhalb von fünf Tagen nach einer ungewollten Insemination. In dieser Studie waren 10 mg Mifepriston genauso wirksam wie 600 oder 50 mg. 85 Prozent der möglichen Schwangerschaften konnten verhindert werden. Hauptnebenwirkung war eine Blutungsverzögerung, deren Häufigkeit mit der Dosis korrelierte (Lancet 353 (1999) 697 - 702).

In einer weltweiten Vergleichsstudie von 1998, an der circa 2000 Frauen an 21 Krankenhäuser teilnahmen, wurde die Yuzpe-Methode mit der 750 μg-Levonorgestrel-Pille verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Gestagen-Pille gegenüber der Kombination signifikant verträglicher war und besser vor einer möglichen Schwangerschaft schützte. Unter Levonorgestrel wurden nur 1,1 Prozent der behandelten Frauen schwanger, nach der Yuzpe-Methode 3,2 Prozent (Lancet 352 (1998) 428 – 433). Auch Levonorgestrel wird bei der Notfallkontrazeption möglichst bald nach dem Geschlechtsverkehr, spätestens aber 72 Stunden danach genommen. Nach zwölf Stunden wird die Einnahme wiederholt.

Levonorgestrel als OTC-Arzneimittel

In einigen europäischen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen, Portugal, Belgien, Frankreich und England) wurde die Sicherheit der Notfallkontrazeption mit der 750 μg-Levonorgestrel-Pille anerkannt, wobei keine medizinischen Kontraindikationen und keine gravierenden Nebenwirkungen festgestellt wurden. Zudem sah man es als notwendig an, die Einnahme möglichst rasch nach dem Geschlechtsverkehr zu ermöglichen, da diese Pille bei frühzeitiger Anwendung wirksamer ist.

Eine Verschreibungspflicht würde die Verfügbarkeit bürokratisch verzögern, zumal am Wochenende häufig kein Arzt erreichbar ist. Außerdem ist für viele Jugendliche der Weg zum Arzt eine zusätzliche Hemmschwelle, auf eine ungewollte Insemination rasch zu reagieren. Die diensthabende Apotheke ist dagegen auch nachts und an den Wochenenden erreichbar und kann das Arzneimittel sofort mit der entsprechenden Beratung aushändigen.

Die Erfahrungen in den genannten Ländern sind insgesamt positiv. In Schweden wurde Levonorgestrel im Mai 2000 für diese Indikation zugelassen und im April 2001 aus der Verschreibungspflicht entlassen. Seit dieser Zeit ist die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche bei Teenagern rückläufig.

Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland seit 1996 bei Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren von 365 um 91 Prozent auf 696 im Jahr 2001 und bei Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren von 11 131 um 48 Prozent auf 16 453 im Jahr 2001 gestiegen. Dieser Anstieg muss als dramatisch bezeichnet werden. Die Abbruchzahlen sind in diesem Zeitraum insgesamt nur um 3,1 Prozent gestiegen.

Die Erfahrungen aus Schweden lassen vermuten, dass auch in Deutschland die Entlassung der Levonorgestrel-Pille aus der Verschreibungspflicht die Abbruchraten bei Kindern und jugendlichen Mädchen senken könnte.

Beratung in der Apotheke notwendig

Unerlässlich bei der rezeptfreien Abgabe in der Apotheke ist eine professionelle Beratung. Die Royal Pharmaceutical Society in Großbritannien hat für die englischen Apothekerinnen und Apothekern Leitfäden und Lernprogramme erarbeitet sowie Workshops angeboten. Die wichtigsten Punkte aus den Leitfäden:

  • Verständnis der Kundin sicherstellen (Sprache, Intellekt);
  • Alter der Kundin klären (keine Abgabe an Kundinnen unter 16 Jahre);
  • Abgabe nur an die Anwenderin;
  • Zeitabstand zum Geschlechtsverkehr klären;
  • Möglichkeiten einer Schwangerschaft erfragen (wann war die letzte Regel?);
  • erfragen, ob eine Notfallkontrazeption während des letzten Zyklus durchgeführt wurde;
  • die Einnahme anderer Medikamente abklären;
  • Krankheiten der Kundin erfragen;
  • erfragen, ob die Kundin eine Allergie auf Kontrazeptiva hat;
  • Hinweise zur Einnahme geben (die zweite Tablette nach zwölf, maximal 16 Stunden);
  • erklären, was bei Erbrechen zu tun ist;
  • Auswirkungen auf die nächste Regelblutung darstellen;
  • verdeutlichen, dass kein Schutz vor einer Schwangerschaft während des Restes des Zyklus besteht;

Um eine sachgerechte Abgabe zu gewährleisten, sollten elementare Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu zählen:

  • Die Abgabe und Beratung sollten pharmazeutisches Personal leisten, das zu diesem Thema einen Weiterbildungskurs mit entsprechender Zertifizierung absolviert hat.
  • Die Anonymität der Kundin sollte bewahrt bleiben; die Wahrung ihrer Intimsphäre in der Apotheke muss gewährleistet sein.
  • Die Beratung in der Apotheke sollte nach einem vorgegebenen Muster erfolgen.
  • Eine Zusammenarbeit zwischen Apotheken, Beratungsstellen und Gynäkologen sollte unbedingt stattfinden.
  • Die Kundin sollte neben der Beratung mit Informationsmaterial zu Notfallkontrazeption versorgt werden.

DPV unterstützt den Antrag

Inzwischen haben sich neben dem Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) auch die Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e. V. (ÄGGF) und der Deutsche Pharmazeutinnen Verband (DPV) für die Entlassung der 750 μg-Levonorgestrel-Pille aus der Verschreibungspflicht ausgesprochen. In einer ausführlichen Stellungnahme weist der DPV auf die gute Verträglichkeit dieser Pille hin, die sich in den anderen europäischen Ländern gezeigt habe. Gleichzeitig fordert der Verband eine Schulung der abgebenden Apotheken, eine Dokumentation jeder Abgabe sowie einen Erfahrungsbericht nach zwei Jahren. Top

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