Weniger Pillen und besser verträglich |
22.11.1999 00:00 Uhr |
Die HIV-Forschung ist wie eine manisch depressive Erkrankung. Nach emotionalen Hochflügen folgt die Ernüchterung. So das Zitat des amerikanische Wissenschaftler Richard T. Schooley auf einem Internationalen HIV-Kongress in San Francisco. Zur Zeit befindet sich die wissenschaftliche Gemeinde wieder in einer eher nachdenklichen Phase. Seit mehr als drei Jahren stehen zwar hochpotente Therapieregime zur Verfügung, doch mit ihnen sind auch neue Probleme aufgetaucht.
Die HIV-Infektion hat durch die neuen Therapieoptionen inzwischen fast den Stellenwert einer chronischen Erkrankung. Patienten schlucken ihre Medikamente teilweise über mehrere Jahrzehnte und müssen das Einnahmeregime in ihren Arbeitsalltag integrieren. Daher ändern sich die Ansprüche, die an die antiretroviralen Substanzen gestellt werden. Sie müssen nicht nur hochwirksam, sondern auch einfach einzunehmen und über einen langen Zeitraum verträglich sein; Eigenschaften, die viele der Medikamente bisher nur begrenzt aufweisen.
Auch Resistenzen und Kreuzresistenzen erschweren die Therapie. Bislang fehlt bei der Behandlung von HIV-Patienten eine einheitliche Strategie. Sobald das erste Regime versagt, wird jede weitere Behandlung schwierig. Daher beschäftigen sich immer mehr Studien mit der Frage, mit welcher der zahlreichen Therapiemöglichkeiten am besten begonnen werden sollte, um für später möglichst viele Optionen offen zu halten. Nur so könnte ein Therapieversagen auch bei vielfach vorbehandelten Patienten möglichst weit hinausgezögert werden.
Erst Nelfinavir, dann Saquinavir plus Ritonavir In San Francisco stellten Wissenschaftler zwei Studien vor, die dafür sprechen, erst den Proteaseinhibitor (PI) Nelfinavir einzusetzen und anschließend bei dessen Versagen mit Saquinavir oder einer Kombination aus Saquinavir und Ritonavir weiter zu behandeln. Richard Haubrich von der University of California in San Diego, USA, präsentierte erste Ergebnisse einer noch nicht abgeschlossenen Studie, die Resistenzmuster von Patienten untersucht, bei denen eine erste PI-haltige Therapie versagte.
Haubrich wertete die Daten von 116 Patienten aus, die zu Studienbeginn eine mittlere CD4-Zellzahl von 295 Zellen/µl hatten. 96 der Studienteilnehmer hatten zuvor einen Proteaseinhibitor erhalten; 59 Nelfinavir, 23 Prozent Indinavir und die restliche Saquinavir, Ritonavir oder Amprenavir. Die Sensitivität war in dieser überwiegend mit Nelfinavir vorbehandelten Patientengruppe gegenüber Saquinavir und Amprenavir am größten. Während bei 82 Prozent der Patienten diese Proteaseinhibitoren noch wirkten, zeigten nur noch 67, 68 beziehungsweise 28 Prozent eine Sensitivität gegenüber Indinavir, Ritonavir oder Nelfinavir.
Aufgeschlüsselt nach der Vorbehandlung ergab sich folgendes Bild: Während unter Nelfinavir nur 29 Prozent der Patienten eine Resistenz gegenüber zwei oder mehr Proteaseinhibitoren entwickelten, betraf dies unter Indinavir 70 Prozent. Nelfinavir selektiert weniger Kreuzresistenzen als die anderen Proteaseinhibitoren, fasste Haubrich seine Ergebnisse zusammen.
Der Einsatz von Nelfinavir als ersten Proteaseinhibitor und die nachfolgende Therapie mit der Kombination Saquinavir/Ritonavir wurde von Andrew R. Zolopa von der Stanford University, USA, detailliert im medizinischen Alltag untersucht. Die multizentrische, retrospektive Kohortenstudie basiert auf Daten von 88 Patienten, die zunächst mit Nelfinavir über mindestens 12 Wochen behandelt worden waren, und die nach Versagen dieser Therapie auf eine Kombination aus Saquinavir und Ritonavir umgestellt wurden.
Zum Zeitpunkt des Therapieswitches lag die mittlere Viruslast bei 33 000 Kopien/ml und die mittlere CD4-Zellzahl bei 259 Zellen/µl. Unter den Patienten, die nicht zusätzlich mit einem nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) behandelt worden waren, fand Zolopa nach 24 Wochen bei etwas mehr als der Hälfte wieder eine Viruslast unter der Nachweisgrenze von 500 Kopien/ml. Nach neusten Daten scheint dieser Effekt bis zur 52. Woche anzuhalten. Die CD4-Zellzahl stieg bei den Patienten im Mittel um 100 Zellen/µl an. Bei Patienten, die zusätzlich einen NNRTI erhalten hatten, lag die Ansprechrate sogar bei 70 bis 85 Prozent.
Bessere Vertäglichkeit bedeutet mehr Compliance
Patienten, die ein einfaches und gut verträgliche Therapieregime erhalten, bleiben diesem länger treu. Das bestätigte eine Untersuchung der Arbeitsgruppe vom Hospital General in Castellon, Spanien. Die Wissenschaftler verabreichten 112 antiretroviral vorbehandelten Patienten Nelfinavir oder Indinavir, jeweils in Kombination mit Lamivudin und Stavudin. In einem Abstand von drei Monaten wurden die Studienteilnehmer untersucht und zu ihrer Compliance befragt.
Die Erfolge der Therapie waren in beiden Gruppen sowohl immunologisch, klinisch als auch virologisch vergleichbar. In Sachen Compliance war das besser verträgliche Nelfinavir, das im Gegensatz zu Indinavir auch nicht auf nüchternen Magen eingenommen werden muss, jedoch überlegen: Aufgrund der Nebenwirkungen, die die Wissenschaftler in beiden Gruppen beobachtet, brachen 34 Prozent der Indinavir-Patienten die Therapie ab; unter Nelfinavir waren es dagegen nur 12 Prozent.
Calcium hilft gegen Diarrhöe Diarrhöe, eine Nebenwirkung der Proteaseinhibitoren, kann einfach und effektiv mit Calcium behandelt werden. So das Ergebnis einer Studie unter Federführung von E. Perez-Rodriguez von Agouron Pharmaceuticals in La Jolla, USA. Die Wissenschaftler untersuchten 24 Patienten mit HIV, die eine durch Proteasehemmer induzierte Diarrhöe hatten und deshalb in den meisten Fällen bereits mindestens einmal erfolglos medikamentös behandelt worden waren. Sie sollten anhand eines Fragenkataloges ihre Symptome beschreiben, bekamen ihre nächsten Arzneimitteldosen zusammen mit 500 mg Calcium und mussten nach frühestens 48 Stunden erneut einen Fragebogen ausfüllen.
Alle Patienten hatten eine Viruslast unter 400 Kopien/ml und die mittlere CD4-Zellzahl
lag bei 516 Zellen/µl. Vor der Einnahme des Calciums gab die Hälfte der
Studienteilnehmer an, unter mildem Durchfall (Grad 1) zu leiden. 42 Prozent empfanden die
Beschwerden als moderat (Grad 2) und 8 Prozent als schwer (Grad 3). Nach der
Calcium-Therapie hatten 67 Prozent der Patienten normalen Stuhl und 33 Prozent milde
Diarrhöe (Grad 1).
© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de