Medikamente vom Acker |
12.11.2001 00:00 Uhr |
Bananen produzieren Impfstoffe, Reis Krebsmedikamente, Tabak liefert Blutersatz und die Kartoffel das Antibiotikum. Die Forscher vom Fraunhofer-Institut in Aachen benutzen Pflanzen als Biofabriken, um Wirkstoffe wirtschaftlich, schnell und sicher herzustellen. Genetisch veränderter Reis, Weizen und Tabak produziert bereits 150 verschiedene Proteine, darunter zahlreiche therapeutisch wirksame Substanzen.
Über ein Viertel der heute verfügbaren Medikamente wird bereits gentechnisch hergestellt. Paradebeispiel ist das seit 1983 von genetisch veränderten Bakterien hergestellte Insulin. In der Folgezeit wurden menschliche Gene auch in das Erbgut von Kühen, Schweinen, Schafen, Ziegen, Kaninchen und Hühnern eingeschleust, um aus deren Milch, Urin, Sperma und Eiern Medikamente, Nahrungsergänzungsstoffe und therapeutisch und technisch wirksame Proteine und Substanzen zu gewinnen.
Der Begriff "Molecular Farming" macht seither die Runde. Doch nicht immer ist das Vorgehen von Erfolg gekrönt. "Viele der Embryos sterben oder werden nach der Geburt getötet, weil das eingebaute menschliche Gen nicht funktioniert", kritisiert Dr. Stefan Schillberg vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) in Aachen und wirft die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit auf. Hinzu kommt, dass die Aufzucht der Tiere und die komplizierte Nachreinigung ihrer Produkte von Bakteriengiften, Viruspartikeln und Krankheitserregern hohe Kosten verursacht.
Zehn- bis fünfzigmal günstiger und obendrein sicherer könnten Pflanzen diese Arbeit verrichten, denn ihre Zellen enthalten alle Komponenten, die für den Zusammenbau komplexer Proteine - einschließlich der menschlichen - erforderlich sind, sagt Schillberg. Die in Frage kommenden menschlichen Gene oder Genabschnitte, die den Bauplan für das gewünschte Protein liefern, werden dazu in Viren oder Bakterien eingebaut und die Pflanzen damit infiziert. Die winzigen Helfer schleusen ihre genetische Fracht in das Erbgut der Pflanze ein, welche - so umprogrammiert - in der Folge das Protein produziert.
Eleganter geht es durch den Beschuss mit Goldpartikeln, deren Oberfläche mit den entsprechenden DNA-Abschnitten versehen werden. So präparierte Pflanzen benötigen im Gewächshaus oder auf dem Acker lediglich Licht und Wasser, um in nahezu unbegrenztem Umfang die erwünschten Substanzen zu liefern. Sie müssen lediglich nach der Ernte zerkleinert und verflüssigt werden, damit man die Proteine abtrennen kann. Schon 1986 stellte man so Interferon her. In klinischen Studien prüfen Forscher bereits von Pflanzen hergestelltes Serumalbumin und ein Antikörper gegen den Karieserreger Streptococcus mutans.
Nach vielen Vorversuchen favorisieren die Aachener den Tabak als effektivste "Fabrik". "Die Pflanze ist gentechnisch leicht zu verändern, preiswert zu kultivieren und produziert die meiste Biomasse und damit große Proteinmengen", informiert der Biologe. Die Gesetzeslage verbietet jedoch in Deutschland den kommerziellen Anbau der so genannten transgenen Pflanzen. Schillberg müsste sich also auf das Labor beschränken. Das tut er zwar, um Proteine aus Zellkulturen zu gewinnen. Weil aber die meisten Wirkstoffe in Größenordnungen jenseits der 100 Kilogramm benötigt werden, komme man um den Ackeranbau nicht herum. Das IME hat deshalb im nordamerikanischen Delaware ein Tochterinstitut gegründet, das mit Tabak-Landwirten kooperiert, die nach neuen Vermarktungsmöglichkeiten suchen, seit die Zigarettenindustrie ihre Produktion zurückgefahren hat.
Aktuell arbeiten die Fraunhofer-Forscher an einem Antikörper gegen gängige Krebsarten. Ähnliche Projekte verfolgt auch die MPB Cologne GmbH in Köln, die ebenfalls nach Nordamerika flüchtete, um ihre transgenen Kartoffeln anzubauen. "Während man in Europa noch über das Für und Wider der grünen Gentechnologie streitet, entwickeln die Amerikaner bereits einheitliche Sicherheitsstandards, um zu verhindern, dass Biofabriken auf den Tisch kommen", sagt Geschäftsführer Dr. Klaus Düring. "Wir Europäer verfügen zwar über die Technologien, doch müssen wir aufpassen, dass wir die Entwicklung nicht verschlafen", warnt er. Denn bis 2010 wächst nach Meinung von Fachleuten der Antikörper-Markt auf ein Volumen von 24 Milliarden Mark an. Spätestens dann spiele auch "Molecular Farming" eine große Rolle.
Hinzu kommt ein steigender Bedarf an pflanzlichen Wirkstoffe. Deshalb suchen Forscher wie Schillberg nach Möglichkeiten, den Stoffwechsel von Pflanzen so zu verändern, dass sie mehr der gewünschten Inhaltsstoffe produzieren. Diese Technik bezeichnen Experten als "Metabolic Engineering".
Für Düring hat die derzeitige Kritik an genetisch veränderten
Pflanzen Berechtigung, solange es um Produkte wie die Antimatsch-Tomate
geht. Von Pflanzen, die Arzneimittel produzieren, habe man jedoch einen
effektiven Nutzen und deshalb sei ein Umdenken erforderlich. Auch
Schillberg sieht das so und verweist unter anderem auf von Obst
produzierte Impfstoffe für Entwicklungsländer. Diese könnten dann
vielleicht einmal ohne aufwändige Kühlung transportiert und ohne Nadel
verabreicht werden.
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