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Agalsidase-alfa, Dexibuprofen, Linezolid und Telithromycin

29.10.2001  00:00 Uhr
NEU AUF DEM MARKT

Agalsidase-alfa, Dexibuprofen, Linezolid und Telithromycin

von Brigitte M. Gensthaler, München

Die Antibiotika-Palette hat im Oktober wichtigen Zuwachs bekommen. Zwei neue Substanzen aus zwei neuen Stoffklassen sagen auch resistenten Keimen den Kampf an. Linezolid stoppt die bakterielle Proteinbiosynthese in einer sehr frühen Phase; Telithromycin dockt an zwei Stellen des Ribosoms an und blockiert ebenfalls die Eiweißsynthese. Für Patienten mit Morbus Fabry kam das Orphan Drug Agalsidase alfa auf den Markt. Weniger spektakulär ist das nichtsteroidale Antirheumatikum (NSAR) Dexibuprofen.

Agalsidase alfa

Für Patienten mit Morbus Fabry stehen jetzt zwei Präparate zur langfristigen Enzymsubstitution zur Verfügung. Nach Agalsidase beta (Fabrazyme®) kam Mitte Oktober auch Agalsidase alfa in den Handel (Replagal® 1mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung; TKT Europe-5S). Die Durchstechflasche enthält 3,5 mg Wirkstoff.

Beide Proteine wurden zeitgleich von der EMEA als Orphan Drug zugelassen. Agalsidase alfa wird in einer menschlichen Zelllinie produziert, um ein menschliches Glykosylierungsmuster zu erzielen. Die empfohlene Dosis beträgt 0,2 mg pro kg Körpergewicht in einer 40-minütigen intravenösen Infusion alle 14 Tage.

Die Präparate ersetzen das Enzym a-Galaktosidase A (auch Ceramid-Trihexosidase genannt), das am Abbau von neutralen Glykosphingolipiden mit terminalen a-Galaktosyl-Ketten beteiligt ist. Das Enzym wird bei der x-chromosomal rezessiv vererbten Erkrankung Morbus Fabry fehlerhaft oder gar nicht produziert. Daher sammeln sich Stoffwechselzwischenprodukte in den Lysosomen. Überwiegend wird GL-3 (Ceramid-Trihexosid) in der Niere, im Herzen und im Nervensystem angehäuft. Viele Patienten sterben an Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenversagen.

Agalsidase-alfa wurde in zwei Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien über sechs Monate und offenen Erweiterungsstudien bei 40 männlichen Fabry-Patienten getestet. In einer Studie nahmen bei allen 25 Patienten die Schmerzen signifikant ab, die Glykosphingolipid-Spiegel im Plasma sanken auf die Hälfte und die Nierenfunktion stabilisierte sich. Nierenbiopsieproben zeigten eine signifikante Zunahme normaler Glomeruli. In der zweiten Studie mit 15 Patienten mit vergrößerter linker Herzkammer verringerte das Verum die Herzmasse und besserte die myokardiale Kontraktilität. Die Ablagerungen von Glykosphingolipiden gingen in beiden Studien deutlich zurück. Der Nutzen blieb in der 12- bis 18-monatigen Erhaltungstherapie bestehen.

Antikörper gegen das Protein, die bei mehr als der Hälfte der Patienten auftraten, scheinen die Wirksamkeit nicht zu beeinträchtigen. Etwa 10 Prozent litten an Beschwerden in Zusammenhang mit der Infusion (Schüttelfrost, Gesichtsrötung), Muskelstarre, Fieber, Schmerzen im Brustkorb und Rücken.

Dexibuprofen

Das rechtsdrehende, pharmakologisch aktive Enantiomer von Ibuprofen ist zugelassen zur Behandlung von Schmerzen im Bewegungsapparat, bei aktivierter Arthrose und Dysmenorrhoe (Deltaran® 200, 300 und 400 mg Filmtabletten, Strathmann AG). Wie das Racemat wirkt auch Dexibuprofen über eine Hemmung der Prostaglandin-Synthese. Üblich sind Tagesdosen von 600 bis 900 mg; die maximale Tagesdosis beträgt 1200 mg (bei Dysmenorrhoe 900 mg). Neben- und Wechselwirkungen entsprechen jenen von Ibuprofen und anderen NSAR.

In einer doppelblinden randomisierten Studie erhielten 178 Patienten mit Coxarthrose (Hüftgelenksarthrose) 15 Tage lang entweder 600 mg oder 1200 mg Dexibuprofen oder 2400 mg Ibuprofen. Das reine Enantiomer in höherer Dosierung wirkte ebenso gut wie das Racemat; 600 mg hatte eine deutlich schwächere Wirkung. Die Rate an Nebenwirkungen war vergleichbar (15,2 Prozent der Patienten in der 1200-mg-Gruppe versus 16,9 Prozent der Racemat-Gruppe). Im Vordergrund standen Magen-Darm-Beschwerden. 18 Patienten schieden wegen unerwünschter Wirkungen aus, neun davon aus der 1200-mg-Dexibuprofen- und vier aus der Ibuprofen-Gruppe.

Ebenfalls nur über 15 Tage lief eine Studie mit 110 Patienten mit Kniegelenks-(Gon-)arthrose und starken Schmerzen. Dreimal täglich 300 mg Dexibuprofen linderte die Schmerzen ebenso gut wie dreimal 50 mg Diclofenac-Natrium. 7,3 Prozent brachen die Dexibuprofen-Therapie wegen Nebenwirkungen ab; unter Diclofenac waren es fast doppelt so viele (14,5 Prozent). Ärzte und Patienten beurteilten die Verträglichkeit des Enantiomers tendenziell etwas besser.

Auch wenn der Trend zu begrüßen ist, Enantiomeren-reine Wirkstoffe auf den Markt zu bringen: In puncto Verträglichkeit bringt Dexibuprofen keine Vorteile im Vergleich zu seinem racemischen Vorläufer.

Linezolid

Linezolid ist der erste Vertreter der Oxazolidinone. Der Wirkstoff ist zugelassen zur Behandlung nosokomialer und ambulant erworbener Pneumonien und bei schweren Haut- und Weichteilinfektionen, wenn diese durch grampositive Erreger hervorgerufen sind (Zyvoxid® 600 mg Filmtabletten, 2 mg/ml Infusionslösung und 100 mg/5 ml Granulat zur Herstellung einer Suspension; Pharmacia GmbH).

Die neue Antibiotika-Klasse weist einen neuen Wirkmechanismus auf. Bevor die Proteinbiosynthese in der Zelle startet, müssen sich mehrere Faktoren zu einem Komplex zusammenfinden: die Ribosomen-Untereinheiten 30S und 50 S, mRNA, Formylmethionin-Transfer-RNA (fmet-tRNA) und Initiationsfaktoren. Linezolid bindet spezifisch an die 23S-rRNA der 50S-Untereinheit und verändert die fmet-tRNA-Bindestelle. Dadurch kann sich der 70S-Initiationskomplex nicht mehr bilden. Linezolid blockiert die Proteinsynthese also schon vor der Elongationsphase, in der zum Beispiel Makrolide, Tetrazykline, Chloramphenicol oder Aminoglykoside angreifen. Kreuzresistenzen sind daher unwahrscheinlich.

Das Oxazolidinon wirkt bakteriostatisch gegen aerobe grampositive Keime wie Enterokokken, Staphylokokken und Streptokokken sowie gegen grampositive Anaerobier wie Clostridien und Peptostreptokokken-Spezies. Gramnegative Erreger werden nicht erfasst. In vitro und in klinischen Studien wirkt Linezolid gegen Methicillin-resistente Staphylokoken (MRSA), Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) sowie Penicillin- und Erythromycin-resistente Streptokokken.

Bei Haut- und Weichteilinfektionen war Linezolid ebenso wirksam wie Standardtherapeutika (Clarithromycin, Oxacillin, Dicloxacillin). Gleiches gilt für ambulant erworbene Pneumonien (Vergleich mit Cefpodoxim und Ceftriaxon). Bei im Krankenhaus erworbenen Pneumonien und Infektionen mit MRSA war Linezolid (zweimal täglich 600 mg) ebenso gut wirksam wie 1 g Vancomycin. Bei VRE-Infektionen erzielte Linezolid (zweimal 600 mg) Heilungsraten von über 85 Prozent.

Der Wirkstoff kann peroral (Bioverfügbarkeit 100 Prozent) oder intravenös gegeben werden. Die Standarddosis beträgt zweimal täglich 600 mg über 10 bis 14 Tage. Bisher wurde maximal 28 Tage behandelt. Das Antibiotikum wird primär durch Oxidation des Morpholinrings zu unwirksamen Metaboliten verstoffwechselt und vorwiegend renal eliminiert (Halbwertszeit: fünf bis sieben Stunden). Cytochrom-P450-Enzyme sind nicht beteiligt. Jeder fünfte Patient klagte über Nebenwirkungen, vor allem über Kopfschmerzen, Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen.

Linezolid ist ein viel versprechendes neues Antibiotikum, das auch gegen hochresistente Problemkeime im Krankenhaus wirkt. Um dieses Pulver nicht zu früh zu verschießen, sollte es nur im Krankenhaus und bei Kenntnis der aktuellen Resistenzlage eingesetzt werden.

Telithromycin

Mit Telithromycin kam Mitte Oktober der erste Vertreter der Klasse der Ketolide auf den Markt (Ketek® 400 mg; Aventis Pharma). Telithromycin ist für Erwachsene zugelassen zur Behandlung der leichten bis mittelschweren ambulant erworbenen Pneumonie, bei akuten Exazerbationen einer chronischen Bronchitis, bei akuter Sinusitis sowie Tonsillitis und Pharyngitis (diese Indikation gilt auch für Kinder ab zwölf Jahren). Der Patient nimmt einmal täglich 800 mg unabhängig von der Nahrung.

Das Antibiotikum ist ein semisynthetisches Erythromycin-A-Derivat. In Position 3 des Lacton-Ringes enthält es eine Keto-Funktion, die dem Molekül nicht nur seine hohe Säurestabilität, sondern auch der Stoffgruppe ihren Namen verleiht. Sie soll zur mikrobiologischen Aktivität der Substanz beitragen und Resistenzbildung verhindern. Die Seitenkette an C-11 und C-12 soll zur intrazellulären Anreicherung der Substanz und zur hohen antibakteriellen In-vitro-Aktivität beitragen. Telithromycin hemmt die Proteinbiosynthese durch Angriff am Ribosom. Es blockiert die ribosomale Translation durch Bindung an die Domänen V und II der 23S-Untereinheit der ribosomalen RNA. Außerdem kann es die Bildung der ribosomalen 50S- und der 30S-Untereinheiten blockieren.

Empfindlich sind grampositive Keime wie Streptokokken und Staphylokokken, aber auch Legionellen, Chlamydien, Mycoplasmen, Moraxella und Haemophilus. Das Antibiotikum erfasst auch Penicillin- oder Erythromycin-A-resistente Stämme von Streptococcus pneumoniae.

Bei Pneumonie-Patienten war Telithromycin (einmal 800 mg) vergleichbar gut wirksam wie dreimal täglich 1000 mg Amoxicillin. Bei Patienten mit Pharyngitis erzielte die Therapie über fünf Tage die gleichen bakteriologischen und klinischen Erfolge wie die zehntägige Gabe von dreimal täglich 500 mg Penicillin V. Bei akuter Verschlechterung der chronischen Bronchitis entsprach die fünftägige Telithromycin-Therapie einer zehntägigen Gabe von zweimal täglich 500 mg Cefuroxim-Axetil. Die häufigste Nebenwirkung sind gastrointestinale Beschwerden, vor allem Diarrhö.

Als Inhibitor der Cytochrom-Isoenzyme CYP3A4 und in vitro von CYP2D6 interagiert Telithromycin mit zahlreichen Arzneistoffen. Das Antibiotikum darf nicht gleichzeitig mit Lovastatin, Simvastatin und Atorvastatin eingenommen werden, da es deren Blutspiegel erhöht. Kontraindiziert ist auch die gleichzeitige Gabe von Mutterkornalkaloiden (Gefahr starker Vasokonstriktion) sowie von Pimozid, Astemizol und Terfenadin (Gefahr der Verlängerung der QT-Zeit und kardialer Arrythmien). Die Blutspiegel von Ciclosporin, Tacrolimus und Sirolimus müssen sorgfältig überwacht werden.

Die Gabe von CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin, Carbamazepin und Johanniskraut könnte die Plasmaspiegel von Telithromycin senken, da das Antibiotikum unter anderem von diesem Isoenzym metabolisiert wird. Etwa zwei Drittel der Dosis werden als Metaboliten vorwiegend über die Faezes ausgeschieden. Eine Dosisanpassung bei mäßig eingeschränkter Nierenfunktion oder älteren Patienten ist nicht nötig. Top

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