Pharmazie
Kurz nach Einführung von Famciclovir (Famvir® Zoster 250 mg, Famvir®
125 mg, -250 mg) im Jahr 1994 und Valaciclovir (Valtrex®) im Jahr 1995
kam Anfang 1997 ein weiteres Virustatikum in den Handel: Penciclovir, der
aktive Metabolit von Famciclovir. Während Famciclovir und Valaciclovir
systemisch - zur Behandlung von Herpes zoster und Herpes genitalis -
eingesetzt werden, wird das Penciclovir-haltige Fertigarzneimittel zur
Lokalbehandlung des Herpes labialis angewendet.
Aciclovir (Zovirax® und andere), ein Guanin-Derivat, war das erste
Nukleosid-Analogon, das in den siebziger Jahren für die moderne antivirale Therapie
der Herpes-Erkrankungen (lokal bei Herpes simplex, systemisch bei Herpes zoster)
in den Markt eingeführt wurde. Im Gegensatz zu Aciclovir, das im Fall von Herpes
labialis allenfalls bei Anwendung im frühen Prodromalstadium den Heilungsverlauf
günstig beeinflußt, nimmt Penciclovir für sich in Anspruch, auch noch im
fortgeschrittenen Stadium, wenn bereits Bläschen aufgetreten sind, die Heilung zu
beschleunigen.
Penciclovir [9-(4-Hydroxy-3-hydroxymethylbut-1-yl) guanin] ist der Hauptmetabolit
von Famciclovir. Der Wirkstoff wird in den virusinfizierten Zellen zum eigentlich
virustatisch aktiven Metaboliten, Penciclovirtriphosphat, umgewandelt.
Indikationen und Anwendung
Vectavir® Creme ist zugelassen zur Beschleunigung der Krustenbildung beim
natürlichen Heilungsverlauf von akuten Episoden leichter Formen, des
rezidivierenden Herpes labialis. Die Creme sollte möglichst unmittelbar nach
Auftreten der ersten Symptome (Prodromalstadium) in zweistündigen Abständen
(mindestens sechs- bis achtmal täglich, am zweiten Behandlungstag möglichst zehn-
bis zwölfmal) auf die Lippen aufgetragen werden. Die Behandlungsdauer beträgt vier
bis fünf Tage.
Wirkung und Wirkungsmechanismus/Wirkspektrum
In virusinfizierten Zellen wird Penciclovir (PCV) durch ein virusspezifisches Enzym,
die Thymidinkinase, rasch zum Monophosphat phosphoryliert. Diese Reaktion kann
aufgrund der Abhängigkeit von einem viralen Enzym nur in Zellen erfolgen, in denen
sich das Virus vermehrt. Anschließend katalysieren zelluläre Enzyme die weitere
Umsetzung des Monophosphats über das Diphosphat in das Triphosphat.
Das Triphosphat, die eigentlich virustatisch wirksame Form von Penciclovir
(PCV-TP), verdrängt aufgrund seiner Strukturanalogie zum Guanosin-Triphosphat
kompetitiv das natürliche Substrat Desoxyguanosin-Triphosphat von der viralen
DNS-Polymerase. Zu dieser besitzen die Nukleosid-Analoga eine - verglichen mit
zellulären DNS-Polymerasen - wesentlich stärkere Affinität. Unter Abspaltung von
Diphosphat wird Penciclovir-Triphosphat in die virale DNS eingebaut. Durch den
Einbau des Strukturanalogons in den DNS-Tochterstrang erfolgt dort ein Abbruch
der Synthese, so daß kein neues Virus-Genom gebildet werden kann. Dieser
Abbruch der Virusgenom-Synthese hemmt effektiv die Bildung neuer Viren.
Das Wirkspektrum von Penciclovir umfaßt in vitro die doppelsträngigen DNS-Viren
aus der Familie der Herpesviren. Neben den Herpes-simplex-Viren (HSV) Typ 1
(Erreger von Herpes labialis) und 2 (Erreger von Herpes genitalis) sind dies das
Varizella-Zoster-Virus (VZV) und das Epstein-Barr-Virus (EBV).
Die Auswertung zweier großer, placebokontrollierter klinischer Studien zeigte, daß
Penciclovir nicht nur bei frühzeitigem Behandlungsbeginn wirksam war, sondern auch
dann noch, wenn die Therapie erst im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung
begonnen wurde.
Penciclovir scheint damit einen gewissen "zeitlichen Vorteil" gegenüber Aciclovir zu
besitzen. Frühere Untersuchungen haben nämlich gezeigt, daß Aciclovir allenfalls bei
Anwendung im frühesten Prodromalstadium eine positive Wirkung auf den
Heilungsverlauf besitzt.
Um diesen möglichen Vorteil von Penciclovir gegenüber Aciclovir abzusichern, wäre
allerdings eine direkte Vergleichsstudie mit beiden Substanzen wünschenswert. Trotz
des möglicherweise vorhandenen zeitlichen Vorteils sollte auch Penciclovir zum
Erreichen eines optimalen Behandlungserfolges so früh wie möglich, am besten bei
den ersten Anzeichen einer Herpes-labialis-Infektion und anschließend alle zwei
Stunden auf die betroffenen Stellen aufgetragen werden.
PZ-Artikel von Rolf Thesen, Eschborn

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