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Neue Strategien gegen Alzheimer-Demenz

20.10.2003  00:00 Uhr

Neue Strategien gegen Alzheimer-Demenz

von Brigitte M. Gensthaler, Würzburg

Knapp 100 Jahre nach der Erstbeschreibung der Alzheimer-Demenz ist die Therapie dieser neurodegenerativen Störung nicht wesentlich vorangekommen. Die Krankheit ist bislang nicht heilbar, allenfalls kann die Progression für einige Monate aufgehalten werden. Trotz intensiver Forschung ist kein Arzneistoff in Sicht, der Aussicht auf Heilung verspricht.

1906 beschrieb der Arzt Alois Alzheimer im „Neurologischen Centralblatt“ das klinische Bild der „fortschreitenden Demenz“ und neuropathologische Befunde, die heute als b-Amyloid-Plaques und Neurofibrilläre Tangles (NFT) identifiziert sind. Wie diese Ablagerungen entstehen und welche pathologischen Prozesse sie im Gehirn auslösen, ist relativ gut erforscht, erklärte Professor Dr. Tanja Schirmeister, Würzburg, bei einer Fortbildung für Offizinapotheker im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Würzburg (DPhG). Die molekularbiologischen Erkenntnisse eröffnen einen Fundus an Zielmolekülen (targets) für neue Arzneistoffe.

Sekretasen schneiden falsch

Das Plaquematerial stammt aus dem Amyloid Precursor Protein (APP), das in der Membran verschiedener Zelltypen vorkommt. Das Enzym a-Sekretase zerschneidet es zu löslichen Fragmenten. Wird es allerdings durch b- und g-Sekretasen geschnitten, entstehen 40 bis 42 Aminosäuren lange Teilstücke, die zu unlöslichen Aggregaten verklumpen können. Auf Grund ihrer b-Faltblattstruktur neigen vor allem die Amyloid-b42-Sequenzen zur Plaquebildung, erklärte die Pharmazeutische Chemikerin.

Sowohl b- als auch g-Sekretasen sind membranständige Aspartatproteasen. Mäuse ohne das b-Enzym, das auch BACE-1 (b-site APP cleaving enzyme) oder Memapsin-2 genannt wird, sind gesund. Ganz anders wirkt sich der Mangel an g-Sekretase aus: Knockout-Mäuse sind nicht lebensfähig. Das hoch komplexe Enzym spaltet nicht nur APP, sondern ist wahrscheinlich auch an lebenswichtigen Prozessen wie der Hämatopoese essenziell beteiligt. Der nahe liegende Ansatz, die Sekretasen zu inhibieren, hat noch nicht zu klinisch einsetzbaren Wirkstoffen geführt.

Aggregation verhindern

Als Aggregationshemmer werden Metallchelatoren untersucht. Kupfer- und Zinkionen modulieren die APP-Spaltung; außerdem hat man in den Plaques erhöhte Konzentrationen an Kupfer, Zink und Eisen gefunden, die eine oxidative Stresskaskade in Gang halten. Intrazellulärer oxidativer Stress schädigt jedoch die Funktion von Mitochondrien, was letztlich zum programmierten Zelltod führt (siehe PZ 25/03). Derzeit wird eine Kombination von Clioquinol, einem als Desinfektionsmittel eingesetzten 8-Hydroxychinolin und Metallchelator, und Vitamin B12 in klinischer Phase II geprüft, berichtete Schirmeister. Allerdings scheint weniger ein Überangebot an Metallionen als vielmehr die Fähigkeit von APP oder Ab, Metallionen zu binden, der Hauptfaktor in der Pathogenese zu sein.

In die Pathologie des oxidativen Stresses will man mit Antioxidantien wie Vitamin E eingreifen. Die American Academy of Neurology empfiehlt, den Patienten zweimal täglich 1000 Internationale Einheiten Vitamin E zu geben. Die Gabe von Vitamin B12, B6 und Folsäure soll einer Hyperhomocysteinämie entgegenwirken, die als Risikofaktor für Gefäßschäden, Schlaganfall, Herzinfarkt und Demenz gilt. Diese Vitamine fungieren als Cofaktoren bei der Entgiftung von Homocystein. Ginkgo-Extrakte sind eher in frühen Demenzstadien nützlich, wobei Dosierung und Wirkmechanismen noch unklar sind.

Als Aggregationshemmer sollen auch so genannte b-Faltblattbrecher wirken. Mögliche Peptidwirkstoffe leiten sich von der Aminosäurensequenz 17 bis 21 des b-Amyloids ab, enthalten aber nur D-Aminosäuren. Derzeit gilt eine Substanz als Kandidat für die klinische Prüfung.

Entzündung bekämpfen

Auch Statine und nicht steroidale Antirheumatika könnten eine neue Karriere beginnen. Dies beruht auf epidemiologischen Beobachtungen, dass Menschen, die Statine oder NSAR einnahmen, ein geringeres Risiko für eine Demenz hatten. Möglicherweise modulieren Statine die Aktivität der Sekretasen oder beeinflussen das Cholesterol im Gehirn (siehe Kasten).

 

Statine gegen Alzheimer-Demenz Senken Statine das Alzheimer-Risiko? Die retrospektive Auswertung epidemiologischer Studien deutet darauf hin, dass Lovastatin oder Pravastatin das Risiko für eine Demenz verringern können.

Interessant ist, dass die Cholesterolspiegel in Gehirnzellen in vitro gut mit der Amyloid-Produktion korrelieren. Jedoch kann man die günstigen Effekte der Statine kaum über eine zerebrale Cholesterolsenkung erklären, sagte Professor Dr. Walter E. Müller vom Biozentrum der Uni Frankfurt bei einem Vorsymposium der DPhG-Fachgruppe Pharmakologie und Toxikologie. Die Cholesterolbildung im Gehirn sei nämlich unabhängig von der Synthese in der Peripherie. Nur hoch dosiertes Lovastatin und Simvastatin könnten die zerebralen Spiegel bei Mäusen senken. Das hydrophile Pravastatin scheitere dagegen an der Blut-Hirn-Schranke.

Statine verändern jedoch die Verteilung von Cholesterol in den Lipidschichten der Zellmembranen, konnte Müllers Arbeitsgruppe nachweisen. Cholesterol ist im Membran-Bilayer normalerweise ungleich verteilt. Es reichert sich an der inneren Seite deutlich stärker an als auf der Außenseite. Lovastatin und Pravastatin, nicht aber Simvastatin, reduzierten in Versuchen den Cholesterolanteil auf der exofacialen Seite der Membran. Auch andere Mechanismen wie ein Einfluss auf die NO-Synthese, sind denkbar. Müllers Fazit: Noch sei es „verfrüht und verantwortungslos“, den Einsatz von Statinen gegen die Alzheimer-Demenz zu propagieren.

 

NSAR sind zur Alzheimer-Therapie nicht geeignet, könnten aber prophylaktisch wirken, differenzierte die Referentin. Ibuprofen, Indometacin und Sulindac scheinen das Demenzrisiko zu senken, während COX-2-Hemmer und Diclofenac nicht wirksam sind. Man weiß zwar, dass die Plaquebildung im ZNS auch von Entzündungsreaktionen begleitet wird, aber der genaue Wirkmechanismus der NSAR ist bislang unklar.

Hoffnung auf eine Vakzine

Viel Hoffnung hat man auf die Anregung des Immunsystems gesetzt. Die aktive Immunisierung mit synthetischem Ab42-Protein war in Mäusen Erfolg versprechend. Eine Phase-II-Studie am Menschen musste jedoch abgebrochen werden, da Fälle von aseptischer Meningoencephalitis auftraten. Eine passive Immunisierung mit monoklonalen Antikörpern gegen Ab42 verbesserte die kognitiven Leistungen in Mäusen. Dennoch: Die erste Euphorie ist vorbei, und viele Fragen sind offen.

Ein aussichtsreicher Kandidat ist das Hypoxanthin-Derivat Leteprinim (Neotrofin®), das die Biosynthese und Freisetzung von Neurotrophinen wie dem NGF (nerve growth factor) im Gehirn stimuliert. Damit könnte man Gehirnzellen zur Regeneration anregen. In Österreich ist ein Präparat aus Schweinehirn (Porcine-brain derived peptide preparation; Cerebrolysin®) im Handel, das als NGF-Mimetikum wirken soll. Österreichische Fachärzte rieten jedoch von der Gabe des wenig spezifizierten Peptidgemischs ab, schränkte Schirmeister ein. Top

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