Zunehmend resistent |
01.10.2001 00:00 Uhr |
Bei einem EU-weiten Antibiotikaverbrauch von rund 7650 Tonnen pro Jahr und einer Auswahlmöglichkeit unter etwa 110 wirksamen Substanzen wird der kunstgerechte Umgang mit diesen unverzichtbaren Arzneimitteln immer schwieriger. Interaktionen mit zum Teil tödlichem Ausgang, immer mehr Resistenzen und Nebenwirkungen - die Behandlung mit Antibiotika birgt einige Gefahren. Diese standen im Mittelpunkt der diesjährigen Rostocker Antibiotikatage vom 6. bis 8. September.
Grundsätzlich können alle Organe durch unerwünschte Wirkungen von Antibiotika geschädigt werden. Von besonderer Bedeutung sind vor allem die Effekte auf Haut, Gastrointestinaltrakt, Niere, Leber, ZNS, Knochenmark und Bindegewebe. Der Umgang mit diesen Problemen hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich gebessert. Noch 1965 schätzten Fachleute die Zahn- und Knochenschädigung durch Tetrazykline als wenig ernst zu nehmende Nebenwirkung ein, die keinesfalls den Verzicht auf den Einsatz bei Kindern rechtfertigt. Der Verfärbung der Zähne könne man mit Jacket-Kronen aus Porzellan abhelfen.
Inzwischen geht man mit substanzspezifischen Toxizitäten sehr viel erfolgreicher um. So muss beispielsweise auf den Einsatz von Aminoglykosiden trotz ihrer hohen nephro- und ototoxischen Potenziale nicht verzichtet werden, wenn man bestimmte Faktoren berücksichtigt: Alter, Adipositas, Vorerkrankungen von Nieren und Leber, kürzlich vorangegangene Aminoglykosidtherapie, Hypokaliämie, Hydratationszustand und geplante Therapiedauer müssen in die Therapieentscheidung und Dosisfindung mit einfließen. Außerdem sollte die Schwellenkonzentration nicht überschritten werden, oberhalb der sich zeitabhängig die toxischen Effekte einstellen.
Eine ganz andere Lösung erfordert das seit langem bekannte Problem der gastrointestinalen Unverträglichkeit des Makrolids Erythromycin. Heute macht man dafür die Aktivierung der Motilin-Rezeptoren verantwortlich. Motilin ist ein Peptidhormon im Magen-Darm-Trakt, das die Magenmotilität beeinflusst. Hier kann durch neuerer Makrolide, die sich graduell in ihrer Affinität zum Rezeptor unterscheiden, schonender behandelt werden.
Die Beispiele zeigen, dass jede Substanz in ihrer spezifischen Problematik gesehen werden muss, wenn vermeidbare direkte Organschädigungen ausbleiben sollen.
Resistenz gleich Nebenwirkung
Auch die Resistenzentwicklung von Mikroorganismen unter Antibiotika-Therapie ist als "unerwünschte Arzneimittelwirkung" zu werten. Als wichtige Mechanismen der Resistenzentwicklung gelten die Selektion einer resistenten Subpopulation und der Gentransfer zwischen zwei - meist nahe verwandten - Bakterienarten, bei dem Resistenzgene ausgetauscht werden.
Ob eine Antibiotikaresistenz auftritt, kann zwar nach bisherigem Kenntnisstand im Einzelfall nicht vorausgesagt werden, aber durch optimierten Einsatz der Arzneimittel lässt es sich insgesamt effizienter arbeiten. Je nach klinischer Indikation sollte der behandelnde Arzt möglichst entweder Schmalspektrum- oder Kombinationstherapien einsetzen. Außerdem sollte die Dosis ausreichend hoch sein und über einen sicheren Therapiezeitraum hinweg gegeben werden. Des Weiteren sollte mit einer Antibiotikaprophylaxe und einer selektiven Darmdekontamination überaus sparsam umgegangen werden. Insgesamt ist die antibiotische Therapie im ambulanten wie im stationären Bereich kritischer zu betrachten und wenn möglich einzuschränken. Denn man nimmt an, dass resistente Mikroorganismen gegenüber nicht resistenten Artgenossen ohne Selektionsdruck durch Antibiotika einen Wachstumsnachteil besitzen, so dass sich die Resistenzlage durch eingeschränkten Gebrauch der Medikamente langfristig verbessern könnte.
Interaktionen
Die Gefahr von Arzneimittelinteraktionen wächst exponentiell mit der Zahl der gleichzeitig genommenen Medikamente. Häufige Ursache solcher Zwischenfälle sind Wechselwirkungen mit Metabolismus-Enzymen, vor allem CYP 3A4 und CYP 1A2 im Darm oder in der Leber. Zu den Antibiotika, die diese Vorgänge hemmen, gehören die Makrolide. So blockiert Erythromycin die Proteinfunktion stärker als Clarithromycin oder Roxithromycin. Auch Chinolone wie Ciprofloxacin und Levofloxacin hemmen die metabolen Vorgänge. Wenn die Enzymblockade erhebliche Ausmaße annimmt, kommt es zu einem Anstieg der Serumkonzentration von Co-Medikamenten, die den gleichen Biotransformationsweg haben. Dadurch können toxische Effekte entstehen. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für Theophyllin (Herzrhythmusstörungen), perorale Antikoagulantien (Blutungen), Antikonvulsiva (Ataxie, Nystagmus), CSE-Hemmer (Rhabdomyolyse), Antihistaminika und Cisaprid (Herzrhythmusstörungen).
Die Elimination kann auch durch Enzyminduktion beschleunigt werden. Nach Gabe von Rifampicin oder Rifabutin kann die Therapie mit Kombinationspartnern versagen, weil trotz "normaler" Dosierung keine ausreichenden Wirkspiegel erzielt werden. Folgenreiche Beispiele sind die Interaktionen mit Ciclosporin (Transplantatabstoßung) oder Sexualhormonen (Pillenversagen).
Die meisten der bisher bekannten Inhibitoren und Induktoren der Biotransformation beeinflussen auch die Aktivität des P-Glykoproteins. Der Arzneimitteltransporter pumpt seine Substrate zurück in den Darm, in die Galle oder ins Blut. So lassen sich Wechselwirkungen mit Substanzen erklären, die nicht biotransformiert werden wie zum Beispiel Digoxin und Atenolol. Eine besonders hohe Interaktionsgefahr besteht für Arzneimittel mit hohem First-Pass-Effekt, der von Biotransformation plus P-Glukoprotein verursacht wird (Ciclosporin, HIV-Protease-Inhibitoren).
Es gibt noch zahlreiche andere Mechanismen für Wechselwirkungen mit Antibiotika. Schon in einer frühen Entwicklungsphase eines neuen Arzneimittels sollte dessen Interaktionspotenzial abgeklärt werden. Außerdem sollte der verordnende Arzt bei Co-Medikationen immer Wechselwirkungen bedenken und gegebenenfalls die Dosis anpassen oder auf Alternativpräparate ausweichen.
Besonders gefährdet
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen aller Art führen in Deutschland jährlich zu etwa 80.000 bis 120.000 Hospitalisierungen und zu 6000 bis 9000 Todesfällen. Man schätzt den Anteil der Antibiotika-assoziierten Fälle auf 5 bis 7 Prozent. Besonders gefährdet sind Kinder, alte Menschen, Patienten mit gestörter Leber- oder Nierenfunktion und Multimorbide. Auch Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind besonders gefährlich: Bei fieberhaften Infekten und gastrointestinalen Flüssigkeitsverlusten durch Erbrechen und Durchfall kommt es zu Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, was die Pumpfunktion des Herzens schwächt und eine Ausscheidungsstörung der Nieren weiter verschlechtern kann. Werden Kinder dann zusätzlich mit Antibiotika behandelt, kann das fatale Folgen haben.
Hilfe durch Leitlinien?
Der Einsatz von Antibiotika ist speziell in Krankenanstalten problematisch geworden. Das Auftreten multiresistenter Infektionserreger, die zunehmende Zahl immunsupprimierter beziehungsweise nicht immunkompetenter Patienten und auch der Import von Erregern aus Tropen und Subtropen setzen eine Spirale von immer rascher folgenden Antibiotika-Innovationen und steigenden Kosten in Bewegung. Daher erarbeiten Fachgesellschaften zurzeit Therapieempfehlungen, die aber unter Einbeziehung epidemiologischer und finanzieller Gegebenheiten an die Situation im jeweiligen Krankenhaus angepasst werden müssen. Beispielhaft seien die Richtlinien der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, die "PEG-Empfehlungen", genannt.
Ohne Hintergrundwissen und bei bestehenden Ausbildungsdefiziten gäbe es aber auch mit Hilfe streng eingehaltener Leitlinien keine Chance, Fehlentwicklungen zu vermeiden, mahnte Professor Emil C. Reisinger aus Rostock. Die Zahl der verschiedenen Erreger und antibiotischen Substanzen sei zu hoch, die Therapieentscheidung zu komplex, als dass hier ein starres Regelwerk genügen könnte. Wünschenswert sei, dass das Fach Infektiologie in die studentische und ärztliche Aus- und Weiterbildung eingeht. Erst wenn das hieraus erworbene Wissen in der Berufspraxis umgesetzt wird, können Leitlinien ihren Zweck erfüllen.
Innovationen
Professor Dr. Hartmut Derendorf, Florida, sprach von einem Umdenken in der Bewertung und Entwicklung rationaler Antibiotikatherapien. Wie neuere Studien zeigten, ist als pharmakokinetischer Parameter die freie, nicht an Protein gebundene Konzentration im Gewebe besser geeignet, als der bisher verwendete Serumspiegel. Diese Gewebekonzentration entspräche nämlich eher dem Arzneimittelspiegel, dem der Erreger im Extrazellularraum ausgesetzt ist. Dieser Gewebespiegel kann heute elegant mit Hilfe der Mikrodialyse bestimmt werden. Auch der traditionelle pharmakodynamische Parameter, die minimale Hemm-Konzentration (MHK), ist oft wenig geeignet. Neuere pharmakodynamische Infektionsmodelle berücksichtigen den zeitlichen Verlauf der Antibiotikawirkung, wobei die Abtötungskurven der Erreger konzentrations- und zeitabhängig gemessen werden. Werden nun der Gewebespiegel und die Abtötungskinetik miteinander kombiniert, ist es möglich, unterschiedliche Dosierungsschemata und Antibiotikatherapien zu vergleichen. Dies konnte am Beispiel der b-Lactam-Antibiotika gezeigt werden. Für die gilt, dass eine Dauergabe oder häufige Applikation sehr viel effizienter ist als der Einsatz langer Dosierungsintervalle. Diese Verknüpfung wird hauptsächlich bei der Entwicklung neuer Antibiotika berücksichtigt.
Es ist aber durchaus denkbar, dass in Zukunft diese Methoden auch im Klinikalltag eingesetzt werden. Sie würden erlauben, dass individuell das optimale Antibiotikum in der bestmöglichen Dosis verwendet wird und man den optimalen Therapieerfolg bei minimalem Therapierisiko erreicht.
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