Kohle ist klarer Sieger |
18.09.2000 00:00 Uhr |
Magenspülung und induziertes Erbrechen sind tot, es lebe die medizinische Kohle. Ganz so einfach sollten es sich Mediziner, die einen Vergifteten behandeln, zwar nicht machen, aber laut Professor Dr. Ludwig Sacha Weilemann von der Giftinformationszentrale des Universitätsklinikums in Mainz sprechen klinische Studien und Tierexperimente eine deutliche Sprache.
Laut Weilemann ist heute besonders die induzierte Emesis mehr als umstritten. Einerseits führe diese primäre Entgiftungsmethode häufig zu Komplikationen, andererseits verbiete sich der Einsatz per se, wenn die Betroffenen sich mit Schaumbildnern, Lösungsmitteln, Säuren und Laugen sowie Substanzen vergiftet haben, die schnell zu zentralnervösen Störungen führen.
Die Magenspülung sei zwar nicht völlig überholt, sollte aber nur angewendet werden, wenn die perorale Aufnahme des Giftstoffes nicht länger als zwei Stunden zurück liegt, erklärte der Referent. Weilemann: "Eigentlich müssten Sie also ihre Patienten bitten, wenn sie sich vergiften wollen, dies direkt in der Klinik zu tun."
"Klarer Sieger nach Punkten" ist für den Toxikologen die medizinische Kohle. Allerdings bereitet die erforderliche Dosis dem Mediziner mitunter Probleme; Toxikologen empfehlen 0,5 bis 1 g pro kg Körpergewicht. Es könne für das Klinikpersonal zu einer abendfüllenden Tätigkeit werden, die nötige Zahl an Kohle-Kompretten® zu zerdrücken. Weilemann bezeichnete daher das applikationsfertig in Flaschen gelieferte Produkt Ultracarbon® als Mittel der Wahl. Das Gefäß kann zudem auf Grund seines passenden Aufsatzes direkt an die Magensonde gekoppelt werden.
Medizinische Kohle hat zwar eine gewaltige Oberfläche von 1000 bis 3500 m²/g und damit eine enorme Adsorptionskapazität, dennoch sollte beachtet werden, dass viele Gifte dem enterohepatischen Kreislauf unterliegen. Das heißt, sie werden oft relativ schnell im Magen-Darmtrakt resorbiert, aber dann später über die Leber wieder in die Verdauungsorgane sezerniert. Um die Gifte quantitativ zu eliminieren, kann es also nötig sein, die Kohle repetitiv zu geben.
Wichtige Empfehlung des Toxikologen besonders für junge Patienten: Es muss nicht immer Wasser sein. Kohle lässt sich auch gut in Apfelsaft suspendieren. Und das sei nicht nur für Kinder eine geschmackvolle Alternative.
Auch bei den systemischen Antidoten plädierte der Referent für einen Sinneswandel. Noch immer schleppten Notärzte viel zu viele verschiedene Antidote in ihren Koffern mit sich rum. Das habe nur zur Folge, dass die Präparate alle drei Monate ausgetauscht werden müssten. Laut Weilemann gehört neben Atropin gegen Vergiftungen mit Alkylphosphaten, Cortison nach Kontakt der Lunge mit Reizgasen, Physiostigmin nach übermäßigem Konsum von trizyklischen Antidepressiva möglichst noch ein geeignetes Präparat gegen Cyanidvergiftungen in den Arztkoffer. Hier empfahl der Toxikologe das Cyanokit®. Weilemann: "Das Präparat ist Medikament der Wahl bei allen Intoxikationen mit Cyaniden.
Auch die Antidotsammlungen in den Kliniken sollten nach Meinung des Experten nicht zu groß ausfallen. Besonders hob er das erst seit kurzem in angelsächischen Ländern verfügbare Orphan drug Fomepizol. Die Substanz inhibiert die Alkoholdehydrogenase und eignet sich daher zur Therapie von Vergiftungen mit Ethylenglykol, das zum Beispiel Frotschutzmittel enthalten. Bislang kam hier Ethanol als Antidot zum Einsatz. Zwar ist Fomepizol im Moment in Deutschland noch ziemlich teuer, es lässt sich aber im Gegensatz zum Alkohol viel genauer dosieren.
Weiterer Pflichtbestandteil der Antidotsammlung sollte außerdem ein Silibin-Präparat
sein. War es nach Tschernobyl einige Jahre ruhig, haben Vergiftungen mit dem
Knollenblätterpilz inzwischen wieder Saison, berichtete Weilemann. Den Betroffenen sollte
daher schon bei Verdacht ein silibinhaltiges Arzneimittel (zum Beispiel Legalon® SIL)
verabreicht werden.
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