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Konkurrenz für einen Oldie

09.09.2002  00:00 Uhr

NO-ASS

Konkurrenz für einen Oldie

von Ulrich Brunner, Eschborn

In den letzten zwanzig Jahren hat sich niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) in der Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen bewährt. Ein modifiziertes ASS-Molekül, das Stickstoffmonoxid freisetzt und die Magenschleimhaut schont, könnte den Oldie überholen.

Zahlreiche Studien belegen eindrucksvoll die Wirksamkeit von ASS als Gerinnungshemmer zur Prophylaxe von Myokardinfarkten und Schlaganfällen. Der Abkömmling der ursprünglich aus Weiden isolierten Salicylsäure hemmt in den Blutplättchen irreversibel die Thromboxan-Produktion und verhindert so deren Aggregation. Risikopatienten, die über einen längeren Zeitraum täglich Dosen von unter 80 mg ASS schlucken, blockieren zwar ihre Thromboxan-Bildung, die Synthese von Prostaglandinen im Gewebe wird dagegen kaum unterdrückt. Dennoch können auch geringe ASS-Dosen das Risiko für gastrointestinale Blutungen erhöhen.

Da der Einsatz nicht steroidaler Antirheumatika durch ihre unerwünschte Wirkung auf Magen-Darmtrakt und Nieren begrenzt ist, suchen Forscher seit über zehn Jahren nach neuen Strategien. Die COX-2-Hemmer brachten zwar Fortschritte bezüglich der Magenverträglichkeit, können aber ebenso wie unselektive COX-Hemmer die Nieren schädigen.

Die Wissenschaftler versuchten daher, die renalen und gastrointestinalen Nebenwirkungen zu umgehen, indem sie klassische NSAR an ein Molekül koppelten, das Stickstoffmonoxid (NO) freisetzt. Denn NO schützt den Magen, indem es verschiedene protektive Mechanismen in der Mucosa unterstützt.

Günstiges Nebenwirkungsprofil

Unter den zahlreichen Doppelmolekülen gilt das Duo NO und ASS als viel versprechender Kandidat, denn es vereint antithrombotische und antiinflammatorische Effekte bei einem günstigen Nebenwirkungsprofil. Verantwortlich dafür sind drei voneinander unabhängige Wirkmechanismen: NO-ASS blockiert wie herkömmliche NSAR die Cyclooxygenase und verhindert so Plättchen-Aggregation und Prostaglandin-Synthese. Parallel unterdrückt das freigesetzte NO über von der löslichen Guanylatcyclase abhängige Mechanismen die Plättchen-Aggregation sowie die Anheftung von Leukozyten in den Blutgefäßen und wirkt gefäßerweiternd. Über Guanylatcyclase-unabhängige Mechanismen werden die Zellproliferation, die Synthese von entzündungsfördernden Zytokinen und die Apoptose unterdrückt.

ASS ist über einen so genannten Spacer mit der NO-freisetzenden Gruppe verestert. Länge und Struktur dieses Bindeglieds beeinflussen die NO-Freisetzungsrate. Im Gegensatz zu herkömmlichen NO-Donatoren löst sich NO-ASS gut in Wasser und setzt das Stickoxid erst nach enzymatischer Verdauung frei. Der Wirkstoff NCX 4016 wird nach peroraler Gabe schnell resorbiert und dann kontinuierlich durch Esterasen gespalten. Die im Blutkreislauf von Versuchsratten gemessenen Konzentrationen an freiem NO lagen daher niedriger als nach Gabe von NO-Donatoren wie Gylcerol-Trinitrat oder Isosorbid-Dinitrat.

Im Zellmodell konnten sie mit Hilfe der konfokalen Laserspektroskopie zudem nachweisen, dass NO intrazellulär freigesetzt wird. Zeit- und konzentrationsabhängig bildeten sich in Zellkompartimenten nahe der Plasmamembran „hot spots“. Nach Meinung der Wissenschaftler ähnelt die NO-Freisetzung stark der physiologischen Produktion des Stickoxids durch endotheliale NO-Synthetasen.

Sowohl bei Versuchstieren als auch in klinischen Studien waren NCX 4016 und andere NO-ASS-Kombinationen deutlich magenverträglicher als herkömmliche Acetylsalicylsäure. So entwickelten Ratten mit gastralen Durchblutungsstörungen seltener Magenschleimhaut-Läsionen, wenn sie den neuen Wirkstoff erhielten. Unter ASS oder selektiven COX-Hemmern stiegen dagegen die Rate und das Ausmaß der Läsionen und Blutungen.

Klinische Studien gestartet

Konventionelle NSAR und selektive COX-Hemmer können den Blutdruck erhöhen. NO-ASS beeinflusste im Experiment bei normotonen Nagern dagegen nicht signifikant den systemischen arteriellen Blutdruck. Hypertensive Tiere profitierten sogar von NO-ASS. Dieser Effekt geht auf das freigesetzte NO zurück. Dieses vermittelt über cyclisches GMP die Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur. Die Wissenschaftler diskutieren zudem einen hemmenden Einfluss auf endogene Vasokonstriktoren wie Phenylephrin. Dieser Effekt wurde für NO-Donatoren bislang noch nicht beschrieben.

Auch die antiproliferative Wirkung von NO und NCX 4016 könnte eine wichtige Rolle bei der Prävention und Therapie der Atherosklerose spielen. Denn die mangelnde Produktion von NO fördert das Einwandern von Monozyten und Makrophagen in die Gefäßwand (siehe dazu auch PZ 29/02).

Während einer Fachkonferenz in Porto Mitte April präsentierten Wissenschaftler die Daten von sieben Phase-I-Studien mit insgesamt 173 gesunden Freiwilligen. NCX 4016 habe ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil, resümiert das französische Unternehmen NicOx, das an der Entwicklung von NO-ASS arbeitet. NicOx will daher in Kürze erste klinische Studien der Phase II starten. Falls die Entwicklung der neuen Substanz weiter so erfolgreich verläuft, könnte die inzwischen 103 Jahre alte Acetylsalicylsäure in einigen Jahren vielleicht einen würdigen Nachfolger bekommen.

 

Literatur

  1. Wallace, J., Ignarro, L., Fiorucci, S., Potential cardioprotective actions of NO-releasing aspirin. Nat Rev Drug Discov 1 (2002) 375 – 382.
  2. www.nicox.com

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