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Therapie-Mix plus Bewegung ist sinnvoll

28.07.2003  00:00 Uhr
Arthrose

Therapie-Mix plus Bewegung ist sinnvoll

von Sabine Schellerer, München

Obwohl es derzeit keine kausale Therapie gegen Arthrose gibt, lässt sich die Beweglichkeit arthrotisch veränderter Gelenke lange erhalten. Dazu müssen aber schmerzhafte Entzündungen gestoppt und die Gelenkfunktion verbessert werden.

„Gerät das natürliche Gleichgewicht zwischen degenerativen und reparativen Prozessen am Knorpel aus dem Lot, entsteht eine Arthrose“, erklärte die leitende Ärztin Dr. Rieke Alten von der Berliner Schlosspark-Klinik für Rheumatologie und Physikalische Therapie auf einem von Merckle unterstützten Pressegespräch in München. Im gesunden Gelenk überzieht ein glattes, zartes Häutchen die Knochen und gewährleistet eine optimale Beweglichkeit.

Knorpel besteht zu 98 Prozent aus Extrazellulärmatrix, die sich aus Wasser, Kollagenen und Proteoglykanen zusammensetzt, sowie zu ein bis zwei Prozent aus so genannten Chondrozyten. Mit Hilfe verschiedener Faktoren regulieren diese den Auf- und Abbau des Knorpels. Auf Grund eines bislang unbekannten Triggers vermehren sich die Chondrozyten plötzlich und synthetisieren massiv eine minderwertige Knorpelvorstufe, die sich rasch wieder zersetzt. In der Folge bildet sich nur wenig reifes Knorpelmaterial. Bald reißt die glatte Membran ein, und Entzündungen pfropfen sich auf. „Am Ende zieht der Zerstörungsprozess den Knochen in Mitleidenschaft“, so die Medizinerin. Gelenkkörper splittern ab, und es kommt an einzelnen Stellen zu Knochennekrosen, in der Fachsprache Geröllzyten.

Die knochenaufbauenden Osteoblasten synthetisieren frisches, aber mangelhaftes Knochenmaterial, das dann als so genannte Osteophyten in den Gelenkspalt ragt. Weil der Knorpel fehlt, der die beiden Gelenkknochen auf Abstand hält, rutschen sie immer weiter zusammen. Schmerzen im Gelenk quälen die Patienten, jede Bewegung tut weh und wird von einem charakteristischen, krachenden Geräusch begleitet, Orthopäden sprechen von Crepitus. Die Entzündungsreaktionen bleiben jedoch lokal begrenzt und greifen nicht auf den übrigen Organismus über. „So können wir die Arthrose klar von den rheumatischen Erkrankungen unterscheiden“, betonte Alten.

Mehr Bewegung für Kinder

Bei der Entstehung spielen unter anderem das Alter, Veranlagung, Stoffwechselstörungen oder hormonelle Defizite eine Rolle. Auch ein Trauma, beispielsweise auf Grund einer Sportverletzung, kann den destruktiven Stein ins Rollen bringen. „Es gibt kaum jemanden, den die Qual nicht ereilt“, informierte Alten. „Bereits mit 40 Jahren nagen bei fast allen Menschen arthrotische Veränderungen am Gelenkknorpel.“ Dabei kann die Erkrankung jedes Gelenk befallen. Häufig macht sie sich jedoch am Knie, den Handmittel- oder Handendgelenken und der Hüfte zu schaffen.

Ihr besonderes Augenmerk lenkte die Fachärztin auf den Risikofaktor Übergewicht. „Beispielsweise bekommen Frauen mit zu viel Speck auf den Rippen viermal so häufig eine Arthrose wie ihre schlanken Geschlechtsgenossinnen“ hob Alten hervor. Sie verwies besonders auf die steigende Zahl übergewichtiger Kinder, die in den letzten Monaten für unerfreuliche Schlagzeilen sorgten. „Hier wächst eine neue Generation von jungen Arthrotikern heran“, warnte die Spezialistin. „Wir müssen unserem Nachwuchs dringend wieder die Freude an der Bewegung und den Spaß am gesunden Essen vermitteln.

Mit Vehikeln zum Zielort

Dr. Gerd Lanzer, Facharzt für Orthopädie aus Völkingen, behandelt eine akute entzündliche Arthrose bevorzugt mit einer injizierbaren Corticoid-Zubereitung. Der Wirkstoff Dexamethason-21-palmitat ist in 200 nm große Lipidmikrosphären aus Sojabohnenöl und Lecithin eingeschlossen. „Die winzigen Vehikel steuern nach der Applikation zielgerichtet zu den Entzündungszellen, die sie rasch und bereitwillig in sich aufnehmen“, berichtete Lanzer. Seiner Meinung nach ein weiterer Vorteil: Auf Grund der Galenik des Präparates fällt das Glucocorticoid im Gegensatz zu anderen Kristallsuspensionen später nicht am Gelenk aus. An die Therapie der hoch akuten entzündlichen Arthrose schließt sich die Behandlung mit Hyaluronsäure an. Der Wirkstoff schmiert das Gelenk und ermöglicht es vielen Patienten, ihre Gelenke wieder zu bewegen, ohne permanent unerträgliche Schmerzen zu haben.

Neue Therapieoptionen

Noch ist die Behandlung bei Arthrose im Wesentlichen symptomatisch. Dennoch gibt es Ansätze, um etwa begrenzte Knorpelschäden zu reparieren und so das Fortschreiten der Erkrankung zumindest zu bremsen. Beispielsweise wird im Rahmen des knochenmarkstimulierenden Verfahrens der subchondrale Knochen im Abstand von einigen Millimetern perforiert. Jetzt strömen mesenchymale Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ein; am Ende bildet sich ein narbiges Knorpelersatzgewebe.

Mittels der autologen (Empfänger und Spender sind gleich) Chondrozytentransplantation ACT können isolierte Knorpeldefekte behandelt werden, die bis zum Knochen reichen. Dabei werden zuvor entnommene Knorpelzellen im Labor vermehrt und später zum Auffüllen des Defektes an der Gelenkfläche verwendet.

Bewegung ist zwingend

Dr. Sabine Bau, Fachärztin an der Würzburger orthopädischen Universitätsklinik König-Ludwig-Haus, betonte, wie wichtig die konsequente Bewegung für Arthrotiker ist – auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit. „Lieber verschreiben wir unseren Patienten gezielt Antiphlogistika, als dass sie sich vor lauter Schmerzen überhaupt nicht mehr rühren“, sagte die ehemalige Leistungssportlerin. Besonders ideal sind Sportarten ohne große Impulsbelastung oder Extrembewegungen der Gelenke, die mit gleichmäßiger Rhythmik und mit einer Maximalbelastung von weniger als 65 Prozent einhergehen. Hier zeichnen sich besonders Walken, Radfahren und Kraul- oder Rückenschwimmen aus. „Insgesamt steht aber weniger die Sportart an sich im Vordergrund, sondern die Tatsache, überhaupt körperlich aktiv zu werden“, unterstrich Bau. „Wer Verletzungen vermeiden will, darf keinesfalls vergessen, vor dem Start die Muskeln und Bänder locker aufzuwärmen und anschließend zu dehnen.“ Top

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