Trip aus dem Feuerzeug |
21.07.2003 00:00 Uhr |
In Deutschland haben bis zu zehn Prozent der 10- bis 25-Jährigen schon einmal inhalierbare Substanzen konsumiert, um sich zu berauschen. Aus der ESPAD-Studie (The European School Survey Project on Alcohol and Drugs) aus dem Jahre 1995 bis 1999 geht hervor, dass Schnüffelstoffe in den meisten Ländern an zweiter Stelle der am häufigsten konsumierten Substanzen stehen.
Früher wurden Klebstoffdämpfe inhaliert oder getrockneter Kleber gekaut, dann wurde Eisspray (Chlorethylen) modern. Nachdem viele Hersteller die Zusammensetzung ihrer Produkte "schnüffelfeindlich" geändert haben, kam Ende der 90er Jahre Lachgas (wieder) in Mode.
Die Konsumenten gehen auf unterschiedliche Weise vor, um die Gase und Lösungsmittel zu missbrauchen:
Besonders gefährlich ist das so genannte Heimlich-Manöver. Der Konsument hyperventiliert vor der Anwendung, atmet dann das Gas tief ein und lässt sich von einem Helfer mit der Faust in die Magengrube drücken. Diese Technik haben etliche jugendliche Anwender mit dem Leben bezahlt.
Mit „Poppers“ zum Kick
Erst Geruchskorrigenz, dann Asthma- und Herzmedikament und jetzt zweifelhafte Rauschdroge. Auf diese Karriere kann eine Gruppe von Inhalaten zurückblicken, die als „Poppers“ bezeichnet wird. Darunter fasst man unterschiedliche aliphatische, leicht flüchtige Nitrite zusammen. Amylnitrit beispielsweise wurde 1867 erstmals als inhalierbares Pharmakon gegen Angina Pectoris und Asthma verwendet. Unter Fantasienamen wie Hartware, Kix, Quicksilver, Ram, Rave, Reed und Rush werden die kleinen Fläschchen im Internet und in Nachtclubs vertrieben. Sie werden als Potenzmittel, Aphrodisiaka und Halluzinogene angewendet.
Beim Schnüffeln empfindet der Konsument ein Wärmegefühl, gesteigerte Erregung der Geschlechtsorgane, Erhöhung des sexuellen Empfindens sowie eine Steigerung des Berührungs- und Geschmacksempfindens. Nitrite führen zu einer Entspannung der glatten, vaskulären Muskulatur. Am Herzen senken sie den Sauerstoffbedarf und führen zu einer Reflextachykardie. Der Abfall des Blutdruckes dauert maximal 30 Sekunden und beträgt im Schnitt 30 mm Hg. Außerdem wird die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes erhöht, wodurch der "Kick" entstehen soll.
Besonders die Kombination mit Phosphodiesterasehemmern macht Poppers zum interaktiven Sprengstoff. Diese Wechselwirkung hat bereits in mehreren Fällen zu tödlichen Komplikationen geführt. Organische Nitrate und Nitrite setzen im Körper das Hormon Stickstoffmonoxid (NO) frei. Dadurch kommt es zu einer Erweiterung der Gefäße. In der Peripherie führt dies zur Blutdrucksenkung. NO steigert in den glatten Muskelzellen des Schwellkörpers (Corpus cavernosum) die Produktion von cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP). Diese Substanz lässt die Muskelzellen erschlaffen, führt zu einer Mehrdurchblutung und so zur Erektion. Phosphodiesterasehemmer blockieren das Enzym Phosphodiesterase, das für den Abbau von NO zuständig ist. Kombiniert man Poppers mit diesen Substanzen, kommt es zu einem massiven Überangebot an NO und zu einer überschießenden Wirkung. Extremer Blutdruckabfall ist die Folge.
Gase – je lipophiler desto tödlicher
Deospray, Butangas aus Feuerzeugen und Lachgas sind legale, jedoch nicht minder gefährliche Rauschmittel Der gasförmige Traumspender Lachgas wird bei einigen Insider-Parties, in Underground-Diskotheken oder auf Konzerten den Besuchern frei angeboten. Ein Luftballon kostet 2 bis 3 Euro. Im Haushalt und der Nahrungsmittelindustrie findet das Gas in Sahne-Syphons zum Aufschäumen von Sahne Anwendung. Die Patronen sind mit der Aufschrift „Distickstoffoxid N2O“ beschriftet.
Akute Lachgasvergiftungen entstehen durch Verdrängung des Sauerstoffes im Gehirn. Das Gas besitzt außerdem eine direkte negativ inotrope Wirkung und stimuliert das Sympathikuszentrum im ZNS. Lachgas oxidiert Vitamin B12 irreversibel und inaktiviert es dadurch. Die Folge ist eine Beeinträchtigung der Erythrozyten- und Leukozytenproduktion des Knochenmarks bis hin zur megaloblastischen Anämie. Beim chronischen Missbrauch können Hirn- und Nervenschäden sowie Leber- und Nierenfunktionsstörungen auftreten.
Das Rauscherlebnis wird durch die chemisch-physikalischen Eigenschaften des Lösungsmittels sowie durch die Art der Anwendung geprägt. Oft kommt es zu:
Je lipophiler ein Gas oder ein Lösungsmittel ist, desto größer ist seine narkotische Potenz. Butangas ist besonders toxisch.
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Matthias Bastigkeit
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