Trotz Resorptionsschwächen gut wirksam |
03.07.2000 00:00 Uhr |
Die meisten Flavonoide werden schlecht resorbiert und intensiv metabolisiert. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen zeigten die Substanzen in Experimenten ein breites Wirkspektrum und auch klinisch sind Nutzeffekte belegt.
Die Historie der Flavonoide ist mit zwei Thesen belastet, die sie wissenschaftlich lange ins Abseits stellten. Albert von Szent-Györgyi, der 1937 den Nobelpreis für Vitamin C erhielt, postulierte einen Vitamin-C-sparenden Effekt der Flavonoide und argumentierte weiter, dass Vitamin C nur zusammen mit den Flavonoiden wirkt. Einen Beweis blieb er schuldig und das spekulative Interesse an Flavonoiden erlosch. Eine Fehleinschätzung jüngeren Datums beruht auf der Erkenntnis, dass Säugetieren im Darm das Enzym a-Glykosidase fehlt. Mangels Spaltung zum Aglykon seien demnach Flavonoidglykoside nicht resorbierbar, folglich auch nicht wirksam. Phytotherapeutika mit Rutin wurden daher lange als teures Placebo eingestuft.
Die Achillesfersen sind Resorption und Metabolismus
Bisher galt als gesichert, dass Flavonoide und andere Polyphenole nur als Aglykon über das Darmepithel partiell absorbiert werden. Flavonoidglykoside widerstehen prinzipiell einer Spaltung durch die intestinale Hydrolase. Sie können aber bereits im oberen Dünndarm durch die Mikroflora, die über reichlich a-Glykosidasen verfügt, das Aglykon bilden, ebenso weitere Metaboliten durch Spaltung von Ring C. Experimente an steril geborenen Ratten konnten auch belegen, dass Flavonoidglykoside bei Fehlen von Darmbakterien unverändert über die Faeces ausgeschieden werden.
Neuere Studien zeigen jedoch, dass das Resorptionsprofil deutlich besser ist als angenommen. Ratten absorbierten peroral verabreichtes 14C-Quercetin zu 20 Prozent. Über die Faeces werden 30 Prozent unverändert ausgeschieden und die restlichen 50 Prozent zu Phenolsäuren und CO2 metabolisiert. Interessanterweise widerlegt auch eine klinische Studie, dass Flavonoidglykoside aus der Nahrung nur in sehr geringem Ausmaß absorbiert werden (1). Bei Probanden mit künstlichem Darmausgang, die entweder Röstzwiebeln oder Supplemente von Quercetin oder dessen Rutinosid standardisiert zum Frühstück erhielten, ergab sich eine Quercetinabsorption von 52 Prozent aus Röstzwiebeln im Vergleich zu 24 und 17 Prozent aus dem Aglykon und dem Rutinosid. An der Resorption von Flavonoiden scheinen daher andere Mechanismen wesentlich beteiligt. Weitere Experimente lassen darauf schließen, dass der intestinale Na+/Glucose-Cotransport eine bestimmende Richtgröße sein sollte.
Hauptorgan der Metabolisierung ist die Leber, wo Flavonoide intensiv methyliert, glukuronidiert oder sulfatiert werden. Konjugierte und 3-O-methylierte Derivate wurden im Plasma von Ratten gefunden. Sie werden in Urin und Galle ausgeschüttet und unterliegen auch einem enterohepatischen Kreislauf. 0,5 Prozent der resorbierten Dosis von Quercetin und seinen Metaboliten werden mit dem Urin ausgeschieden (1).
Bleibt die Frage, wie Stoffe unter diesen ungünstigen Voraussetzungen noch wirken können. Einen endgültigen Beweis blieb die Wissenschaft bisher schuldig. Kinetische Untersuchungen geben dagegen plausible Hinweise. An Ratten zeigte sich, dass sich die Plasmakonzentration der Quercetinmetaboliten 16 Stunden nach dem Peakmaximum nicht wesentlich veränderte, egal, ob die Tiere an eine flavonoidreiche oder -arme Nahrung gewöhnt waren. Daraus ist zu schließen, dass wegen der niedrigen Eliminationsrate leicht ausreichend hohe Plasmaspiegel über das übliche Nahrungsangebot erhalten werden können. Hierfür sprechen auch kinetische Studien am Menschen, die zeigen, dass Quercetin aus Zwiebeln nach 3,3 Stunden ein Peakmaximum im Blut erreicht und die Eliminationshalbwertszeit 16,8 Stunden beträgt (2).
Breites Wirkprofil im Experiment
Flavonoide sind generell potente Scavenger von aggressiven Sauerstoff- und Lipidperoxylradikalen. Sie hemmen Enzyme, die freie Radikale produzieren und chelatisieren Metallionen. Diese Wirkung ist besonders bei Flavonolen, Flavanolen und einigen Flavonen ausgeprägt. Einige Flavonoide wirken mutagen im Ames-Test. Diese Ergebnisse bestätigten sich aber nicht in anderen Modellen wie dem SCE-Test, so dass für den Menschen ein mutagenes Potenzial unwahrscheinlich ist.
Flavonoide modulieren die Cytochrom-P450-(CYP 450)-vermittelten Monooxygenaseaktivitäten. Studien mit gereinigten CYP-450-Isofraktionen zeigten, dass einige Flavonoide beim Kaninchen CYP 3A6 und 1A2 aktivieren, dagegen CYP 2B4, 2C3 und 1A1 hemmen. Diese Effekte werden durch Anzahl und Position der Hydroxylgruppen an Ring A und B bestimmt; eine steigende Zahl von Hydroxylgruppen vermindert den Hemmeffekt, ortho-Substituenten wirken steigernd.
Quercetin und Kaempferol sind potente Inhibitoren der CYP-450-Reduktase. Von Flavonen ist auch bekannt, dass sie die Aktivität der Aromatase hemmen. Dieses Enzym steuert die Umwandlung von Androgenen zu Estrogenen. Flavonoide modulieren breit gefächert wichtige Enzyme wie Ornithindecarboxylase, Proteinkinase oder Calmodulin und verbessern oder verstärken die Vasodilatation.
Quercetin, das am besten untersuchte Flavonoid, zeigt zusätzlich ein interessantes Wirkspektrum (3). Es wirkt antiprostanoid und antientzündlich durch Modulation der Eicosanoid-Biosynthese, antiatherosklerotisch durch Schutz der LDL-Fraktion vor Oxidation, antithrombotisch durch Hemmung der Plättchenaggregation, antihypertensiv und antiarrhythmisch über Relaxation glatter Muskelzellen, ebenso antiviral über verschiedene Mechanismen, darunter Hemmung der reversen Transkriptase.
Antikarzinogenes Potenzial beachtlich
Experimente verdeutlichen, dass Flavonoide Zellen vor Schäden durch Röntgen- oder Höhenstrahlung schützen, die Progression im Zellzyklus blockieren, Mutationen hemmen und die Prostaglandinsynthese blockieren. Quercetin, Rutin und Hesperidin können das Wachstum von Colon-, Magen- und Hautkrebs beim Tier sowie orale Krebsformen hemmen; ebenso die Anwachsrate und Invasion übertragener Mammatumoren. Flavanone und Flavone hemmen die Aktivierung von Aflatoxin B1 (AFB1) an humanen Lebermikrosomen und erhöhen den Metabolismus von AFB1 sowie anderer Tumorinduktoren wie B(a)P oder DMBA.
Markant ist auch ihre antiproliferative Aktivität. An Karzinomzelllinien glatter Muskulatur zeigte Quercetin in nur drei Tagen einen deutlichen und dosisabhängigen Effekt. Nobiletin und Tangeretin hemmen in niedriger Dosierung die Proliferation um bis zu 88 Prozent. Offenbar wird bei ihnen die Polarität durch die Methoxylierung vermindert, woraus eine bessere Membranaufnahme und höhere Wirksamkeit resultiert. Experimente am embryonalen Küken-Herzmodell deuten auf ein antiinvasives Potenzial hin. Die Invasion und Angiogenese maligner Maustumorzellen konnte deutlich gehemmt werden, wobei Tangeretin wiederum am aktivsten war.
Flankiert werden die antikarzinogenen Wirkungen der Flavonoide durch eine Reihe selektiver Effekte auf wichtige Faktoren der Tumorgenese. Hierzu zählen auch die erwähnten Hemmeffekte auf Enzyme, ebenso die Inaktivierung der Thyroidperoxidase. Vorwiegend Flavone wie Apigenin erhöhen den interzellulären Austausch über die Gap junction und hemmen an der Ratte die durch TNF-a induzierte Hochregulierung von interzellulärem Adhäsionsmolekül-1 (ICAM-1). Für den antikarzinogenen Mechanismus dürfte besonders wichtig sein, dass Flavone und Flavonole den Wildtyp des Tumor-Suppressorproteins p53 und darüber die Apoptose aktivieren (4), ebenfalls DNA-Topoisomerase (Topo) hemmen. Die Flavonole Myricetin, Quercetin, Fisetin und Morin blockieren Topo-I und -II unspezifisch, das Chalkon Phloretin und das Flavonol Kaempferol dagegen selektiv Topo-II (5).
Flavonoide puschen Antioxidantienpool
Flavonoide sind starke Antioxidantien und die Fähigkeit Metallionen zu chelatisieren - besonders Kupfer und Eisen - sind wichtige Eigenschaften ihres Potenzials. Der postulierte Schutzeffekt auf Vitamin C ist aber eher eine Strukturfrage, wie neuere Untersuchungen mittels Pulsradiolyse zeigen (6). Szent-Györgyi hatte bereits gefunden, dass Flavanone wie Hesperidin oder Naringenin aktiv wirken. Flavonole haben ein höheres Redoxpotenzial als Ascorbat und oxidieren daher das Ascorbylradikal. Diese Untersuchung bestätigte aber, dass das Flavanon Dihydroquercetin (3,5,7,3,4-OH) tatsächlich das Ascorbylradikal reduziert und somit einen Vitamin-C-sparenden Effekt besitzt.
Viel wichtiger ist aber, dass Ascorbat das Aroxylradikal der Flavonoide regenerieren kann und beide in Kombination zumindest additiv wirken, wie Versuche zum Oxidationsschutz der DNA an humanen Lymphozyten beweisen. Hinzu kommt noch ein weiterer entscheidender Vorteil: Flavonoide schützen Vitamin E, regenerieren oxidiertes a-Tocopherol und wirken synergistisch.
Die Scavengerfunktion der Flavonoide ist meist besser und vielseitiger als die von Vitamin E. Beispielsweise hemmt ein Extrakt aus zweiwöchigen Sprossen der Gerste die Lipidperoxidation nahezu vollständig. Dabei wird der Oxidationsmarker Malondialdehyd genauso stark wie von Vitamin E gehemmt, der Marker 4-Hydroxynonenal zu 80 Prozent nur vom Extrakt, nicht jedoch von Vitamin E. Der Gersteextrakt enthält ein Glykosid des Flavons Isovitexin als Hauptkomponente. Einen Oxidationsschutz der Plasmalipide können bereits Fruchtsäfte bewirken wie eine Studie an Probanden zeigt (7).
Grapefruit nicht für Jedermann
Grapefruitsaft hat gesundheitlich viele Vorzüge. Ein wichtiger darunter ist sein potenter Thromboseschutz, was besonders auf längeren Flügen von Nutzen sein kann. Ein Fall aus den USA zeigt jedoch, dass die Einnahme des Antihistaminikums Terfenadin mit zwei Glas Grapefruitsaft tödlich enden kann.
Der Einfluss der Flavanone auf die Isoenzyme der CYP-3A-Familie ist dafür ebensowenig eine plausible Erklärung wie die lange gültige, aber falsche Einstufung von Naringin als Verursacher. Begleitende Psoralene (Furocumarine) scheinen eher für die Wirkung verantwortlich zu sein, allerdings sind wahrscheinlich noch mehr individuelle Voraussetzungen wie die Konzentration an Darmenzymen nötig. Durch Eingriff in die Bioverfügbarkeit, Resorptions- und Blutspiegelveränderungen verschiedener Arzneistoffe können sich starke unerwünschte Wechselwirkungen ergeben (8). Wer Arzneimittel wie Nifedipin, Felodipin und andere einnimmt, sollte Grapefruit meiden und sich prinzipiell vom Apotheker beraten lassen.
Auch klinisches Potenzial vorhanden
Die Seven Countries Study konnte bereits 1967 verdeutlichen, dass langfristig die Flavonoidzufuhr und die Sterblichkeit auf Grund Koronarer Herzkrankheiten negativ korrelieren. Eine neuere Kohortenstudie belegt, dass erhöhter Konsum flavonoidreicher Nahrungsmittel wie Tee, Zwiebel und Äpfel signifikant vor Myokardinfarkt und Herztod schützt (9). Eine weitere Studie zeigte, dass Personen, die sehr niedrige Mengen an Flavonoiden aufnehmen, leichter an koronaren Herzkrankheiten erkranken (10). Auch für den Konsum von Zwiebeln dokumentieren Fallkontrollstudien einen Schutz vor Krebs, insbesondere vor Tumoren in Magen, Colon und Rektum (11).
Buchweizen (Fagopyrum), früher ein üblicher Nahrungsersatz für Getreide, ist ein weiterer Beleg für antithrombotische und vasoprotektive Nutzeffekte der Flavonoide beim Menschen. Seine Wirksamkeit als Venentherapeutikum gilt als gesichert. Dass Flavonoide und Procyanidine nicht nur im Experiment antidepressiv wirken, zeigen am besten die Behandlungserfolge mit Johanniskraut.
Auch in der adjuvanten Therapie sind Flavonoide nicht nur bei koronarer Herzkrankheit und Atherosklerose geeignet, sondern auch bei Diabetes. Das Dihydrochalkon Phloridzin aus Äpfeln hemmt den Membrantransport der Glucose, normalisiert erhöhte Blutglucose-Spiegel und fördert die renale Glucoseausscheidung. "An apple a day keeps the doctor away". Diese uralte Weisheit, nun auch fundamental untermauert, hat offensichtlich nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
Literatur :
Anschrift des Verfassers:
Dr. Gunter Metz
Auf dem Rucken 29
89143 Blaubeuren
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