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Neue Virustatika und anderes Therapieregime

21.06.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

Neue Virustatika und
anderes Therapieregime

von Christine Vetter, Essen

Noch vor wenigen Jahren haben viele Aids-Forscher gedacht, sie könnten mit der Tripeltherapie eine HIV-Infektion in Schach halten. Die Euphorie ist verflogen, nachdem sich gezeigt hat, daß HIV gegen alle neuen Wirkstoffe über kurz oder lang resistent wird. Inzwischen suchen Forscher fieberhaft nach neuen Virustatika, wie beim 7. Deutschen Aids-Kongreß in Essen deutlich wurde.

Zwar gibt es eindeutige Fortschritte bei der Behandlung von HIV und die Rate manifester Aids-Erkrankungen ist in Deutschland von 2000 in den Jahren 1991 bis 1995 auf mittlerweile 500 gesunken, befriedigend ist die Situation aber nicht, betonte Kongreßpräsident Professor Dr. Norbert Brockmeyer von der Dermatologischen Klinik der Universität Bochum Essen. "Wir brauchen dringend neue Targets", mahnte der Mediziner.

Den Forschern bieten sich dabei mehrere Möglichkeiten: So wird intensiv versucht, Corezeptoren zu blockieren, die das Virus zum Andocken an die zu infizierende Zelle benötigt. Eine zweite Strategie hat die viralen Enzyme zum Ziel, wobei versucht wird, neben den Reverse-Transkriptase-Hemmern und den Proteaseinhibitoren auch Wirkstoffe gegen das dritte virale Enzym, die Integrase, zu entwickeln. "Allerdings gab es in dieser Hinsicht bislang keinen Durchbruch, was wohl an der hohen Wandlungsfähigkeit des Virus liegen dürfte", berichtete Dr. Helga Rübsamen-Waigmann von der Bayer AG, Wuppertal.

Gentherapie gegen HIV und Aids

Dennoch gibt es nach Meinung Rübsamens begründete Hoffnungen auf völlig neue Therapiestrategien. Auch die Gentherapie könnte dabei eine Rolle spielen. Derzeit versuche man, Gene zu exprimieren, die die Virusvermehrung blockieren. Dies soll in hämatopoetischen Stammzellen geschehen, damit über den normalen Zellzyklus die infizierten Immunzellen absterben und resistente neue Zellen nachgeliefert werden. Es handele sich um eine intelligente Strategie, die theoretisch erfolgreich sein sollte. Rein praktisch aber mache es Schwierigkeiten, für eine effiziente Genübertragung zu sorgen, da bislang noch keine optimalen Vektoren für diesen Schachzug gefunden werden konnten, sagte Rübsamen.

Erfolgreicher gestaltet sich offenbar die Suche nach modifizierten Virustatika, die die Therapieschemata vereinfachen und nebenwirkungsärmer sind als die Standardtherapie. Ein solcher Wirkstoff, das Efavirenz (Sustiva® von DuPont Pharma), wurde wenige Tage vor dem Kongreß in Deutschland zugelassen (siehe auch PZ 24, Seite 56). Es handelt sich um einen nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI), der als erstes Virustatikum nur einmal täglich eingenommen werden muß. "Das ist ein wichtiger Fortschritt", meinte Dr. Schlomo Staszewski, Frankfurt, "denn sehr viele HIV-Infizierte kommen mit den sonst üblichen sehr komplexen Schemata und der großen Zahl an einzunehmenden Tabletten nicht klar".

Sofort für ein paar Wochen behandeln

Dabei könnte es sein, daß die Therapieschemata insgesamt verändert werden müssen. Denn erste tierexperimentelle Befunde deuten an, daß sich durch eine rasche virustatische Therapie nach der Infektion die körpereigene spezifisch gegen HIV gerichtete zelluläre Immunität erhalten läßt. Sie wird normalerweise rasch durch HIV zerstört, ein Prozeß der möglicherweise durch die kurzfristige Gabe eines NNRTI verhindert werden kann.

Rübsamen stellte als Beleg eigene Untersuchungen an Affen vor, die mit dem Virus infiziert wurden und innerhalb von 8 bis 24 Stunden eine effektive virustatische Therapie erhielten. Eingesetzt wurde die Substanz GW 420867, ebenfalls ein NNRTI, der in Lizenz von der Bayer AG an Glaxo Wellcome gegeben wurde. "Wir haben gesehen, daß sich die Infektion so nicht verhindern läßt, die Tiere aber kaum eine Virusbelastung zeigten, während sich bei Kontrolltieren innerhalb von 14 Tage erhebliche Virusmengen nachweisen ließen", so die Forscherin. Die Affen wurden vier Wochen lang behandelt und wiesen danach eine sehr gute Immunantwort auf, die es ihnen erlaubte, auch ohne weitere Behandlung das Virus mehr als zwei Jahre lang in Schach zu halten.

Nun müsse noch geklärt werden, ob sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen. Ist dies der Fall, so würde sich die Therapiestrategie bei HIV komplett ändern. Dann müßten Infizierte frühzeitig kurzfristig behandelt werden, um den Verlust der spezifischen zellulären Immunabwehr gegen HIV zu verhindern. Die Patienten würden dann zwar über Jahre weiter unter medizinischer Kontrolle stehen, auf eine virustatische Therapie aber könnte verzichtet werden. Top

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