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Selbstdiagnose kritisch hinterfragen

04.06.2001  00:00 Uhr

PHARMACON MERAN

Selbstdiagnose kritisch hinterfragen

PZ  Immer mehr Patienten therapieren sich bei Bagatellerkrankungen selbst und versorgen sich dazu mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus der Apotheke. Unter steigendem Budgetdruck nahm auch die arztgestützte Selbstmedikation in den letzten Jahren enorm zu. Das heißt, Patienten fragen in der Apotheke häufiger nach speziellen Präparaten, die ihnen ihr Arzt zuvor empfohlen hat. Inzwischen hat der Bund der Deutschen Allgemeinärzte (BDA) sogar ein eigenes Manual zur Selbstmedikation entwickelt.

Dyspeptische Beschwerden belegen bundesweit Platz zwei in der Hitliste der Indikationen in der Selbstmedikation. Was Apothekerinnen und Apotheker bei der Beratung beachten sollten, erklärten Dr. Martin Schulz und Dr. Andrea Gerdemann vom Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis der ABDA (ZAPP) in einem Seminar während des Pharmacons in Meran.

Dass Apotheker es mit der Beratungspflicht anscheinend nicht immer so genau nehmen, brachte erst kürzlich ein Test des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in 60 nordrhein-westfälischen Offizinen zu Tage. Laut WDR war die Beratung in 83 Prozent der Apotheken mangelhaft, berichtete Schulz. Ein ganz anderes Bild ergab dagegen eine Patientenbefragung, die Hari Sven Krishnan 1999 in 36 Apotheken durchführte (siehe PZ 36/99, Seite 32). Immerhin 79 Prozent aller Patienten mit dyspeptischen Beschwerden bewerteten die Beratungsleistung der Studienapotheken als gut oder sehr gut.

Zur Qualitätssicherung ihrer Beratung empfahlen Schulz und Gerdemann den Seminarteilnehmern die von der BAK herausgegebenen Leitlinien. Patienten, die mit einer Eigendiagnose oder einem konkreten Arzneimittelwunsch in die Apotheke kommen, sollten zunächst gefragt werden, für wen das Medikament bestimmt ist. Ist das Präparat etwa für ein Kleinkind oder eine Schwangere beziehungsweise Stillende bestimmt, sollten die Betroffenen auf alle Fälle zum Arzt geschickt werden, betonte Schulz.

Als nächster Schritt sollte der Apotheker kritisch die Eigendiagnose des Patienten hinterfragen. Es ginge nicht darum, immer einen standardisierten Fragenkatalog abzuarbeiten, relativierte Schulz. Er empfahl, möglichst fünf offene Fragen zu stellen. Hat der Patient zum Beispiel trotz nüchternen Magens Beschwerden, muss sich häufig übergeben oder hat Schluckbeschwerden, sollte ebenfalls dringend der Arztbesuch empfohlen werden. Gleiches gelte für Betroffene, die nicht opioide Analgetika oder Glucocorticoide einnehmen.

Erst wenn die Eigendiagnose überprüft und die Symptome klar erfasst wurden, kann das pharmazeutische Personal nach pharmakologischen und patientenspezifischen Aspekten das geeignete Präparat auswählen und dann den Patienten umfassend über die Pharmakotherapie aufklären. Dazu gehöre neben den Basisinformationen zu Dosis, Einnahmezeitpunkt und Therapiedauer auch ein Hinweis auf eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Präparaten, erläuterten Schulz und Gerdemann. Kontraindikationen spielten in der kurzfristigen Selbstmedikation eine eher untergeordnete Rolle, schränkte Schulz ein.

Als sinnvolle Therapeutika gegen dyspeptische Beschwerden stuften die beiden neben Antacida aus Magensium- und Aluminiumhydroxid-Verbindungen sowie Schichtgittersilikaten die rezeptfreien H2-Blocker Famotidin und Ranitidin ein. Weniger geeignet seien Präparate, die entweder Calcium- oder Magnesiumcarbonat oder Natriumhydrogencarbonat enthielten. Letztere führten häufig zu Völlegefühl beziehungsweise Aufstoßen und seien daher obsolet. Zudem könne bei Dauergebrauch der Ionenhaushalt gestört werden. Die H2-Blocker sollten höchstens über 14 Tage eingenommen werden. Als Alternative bieten sich pflanzliche Präparate an, die spasmolytisch oder karminativ wirkende Arzneidrogen wie Kamille, Anis, Kümmel oder Angelikawurzel enthalten. Top

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