Je früher, desto besser |
25.04.2005 00:00 Uhr |
Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist die klassische Kausaltherapie allergischer Erkrankungen. Ziel ist eine Umorientierung der Immunfunktionen. Über die Applikation möglichst hoher Allergenkonzentrationen über einen langen Zeitraum, wird die allergenspezifische Immunantwort auf den verschiedenen Ebenen der Regulation nachhaltig und spezifisch beeinflusst.
Das Prinzip der SIT ist die Zuführung von Allergenen, zunächst in steigender (Aufbauphase), dann in gleich bleibender Dosierung (Erhaltungsphase). Die zu Beginn verabreichte Dosis ist dabei so gering, dass keine unerwünschten Effekte auftreten sollen; durch Dosissteigerung und kontinuierliche Applikation wird eine Toleranz induziert. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Therapieprinzip aber auch das Risiko: Allergene können, insbesondere wenn sie fehlerhaft appliziert werden, zu schweren systemischen Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock führen. Die Durchführung der SIT bedarf daher spezieller Vorkenntnisse und Erfahrungen, um einerseits einen optimalen Therapieeffekt zu erzielen und andererseits das Risiko der Patienten gering zu halten.
Der Therapieerfolg lässt sich jedoch nur in die Praxis umsetzen, wenn folgende Prinzipien streng befolgt werden:
Prinzipiell ist ein früher Beginn der SIT anzustreben, bevor Sekundärveränderungen an den Organen eine Beeinflussung kaum noch zulassen. Der frühzeitige Beginn der Therapie kann auch einer Erweiterung des Allergen- und Organspektrums (Etagenwechsel) entgegenwirken. Zudem zeichnet sich der therapeutische Effekt im Vergleich zur symptomatischen Pharmakotherapie dadurch aus, dass er auch nach erfolgter Behandlung anhält.
Als effektiv hat sich die SIT für folgende Erkrankungen und Allergene erwiesen:
Behandlungsdauer meist drei Jahre
Die klassische SIT wird über eine Behandlungszeit von drei Jahren durchgeführt, sie führt allerdings nur bei einem Teil der Patienten zu einem völligen Verschwinden der Symptomatik. Die besten Ergebnisse lassen sich bei Bienen- und Wespengiftallergikern erzielen; hier wird die SIT allerdings in der Regel über fünf Jahre durchgeführt; bei Patienten mit besonders schweren anaphylaktischen Reaktionen wird sie lebenslang empfohlen.
Je kürzer die Erkrankungsdauer ist, desto höher ist der mögliche Therapieerfolg. Insbesondere bei jüngeren Patienten, bei denen eine Allergen- und Organausbreitung beobachtet wird, sollte somit frühzeitig durch eine SIT behandelt werden. Dies könnte dazu führen, dass die derzeit empfohlene Altersgrenze von fünf Jahren in Zukunft eher herabgesetzt wird.
Ist es bereits zu einer Sensibilisierung auf zahlreiche Allergene gekommen, so sind die Erfolgsaussichten wiederum gemindert. Auch hieraus ergibt sich, dass eine frühzeitige Therapie vor Erweiterung des Allergenspektrums sinnvoll ist. Klinische Studien zeigen, dass sich die Therapie idealerweise auf ein enges Sensibilisierungsspektrum beschränken sollte. Die früher häufig durchgeführte Schrotschusstherapie ist seit langem obsolet.
Die klinisch eingesetzten Präparate beruhen auf unterschiedlichen Konzepten: Bei den nativen Allergenpräparationen wird davon ausgegangen, dass das hochgereinigte, in seinem Nativzustand befindliche Allergen am besten von der allergenpräsentierenden Zelle erkannt, phagozytiert und den T-Zellen präsentiert wird. Die Emulgation mit Aluminiumhydroxid führt zu einer verzögerten Freisetzung des Allergens, dies ist das Prinzip der Semidepotpräparate.
Im Unterschied hierzu wird bei chemisch modifizierten Allergenpräparationen die Tertiär- und Quartärstruktur des Allergens durch Behandlung mit Formaldehyd, Glutaraldehyd und anderen Substanzen verändert. Auch eine Behandlung mit Polyethylenalkohol ist beschrieben. Durch Modifikation der Allergenextrakte verspricht man sich eine Änderung der allergenen Struktur, die bewirkt, dass allergenspezifische, beispielsweise auf Mastzellen gebundene Antikörper das Allergen nicht mehr erkennen. Dieser Effekt der Allergenmodifikation wird auch als Maskierung der B-Zell-Epitope bezeichnet.
SCIT ist Goldstandard
Die therapeutische Effektivität der subcutanen Immuntherapie (SCIT) ist durch zahlreiche, allerdings zumeist nach älteren Standards durchgeführte klinische Studien gut belegt. Es existieren verschiedene Therapieschemata:
Die kosaisonale Behandlung hat den Vorteil, dass nicht in jedem Jahr bei »Null« angefangen werden muss. Insgesamt ergibt sich so eine höhere kumulativ verabreichte Allergendosis und eventuell ein besserer Therapieerfolg.
Die SCIT, präsaisonal oder perennial, wird in der Regel für drei Jahre durchgeführt. Zeigt sich nach dem ersten beziehungsweise zweiten Jahr nicht der erwartete Therapieerfolg, sollte die Indikation bezüglich der klinischen Relevanz der ausgewählten Allergene erneut überprüft werden. Im Einzelfall kann auch länger als drei Jahre therapiert werden; empfohlen wird dies vor allem für Insektengiftallergien.
In den letzten Jahren haben sich auch präsaisonale Kurzzeitbehandlungen vor der Pollensaison etabliert. Diese Therapiemodifikationen der SCIT umfassen lediglich eine begrenzte Anzahl von Allergeninjektionen (präsaisonal je nach Hersteller vier bis sieben Injektionen) und sind für Patienten geeignet, die sich keiner längerfristigen SIT unterziehen können.
Auch wenn in doppelblinden, placebokontrollierten Studien eine Wirksamkeit der Kurzzeittherapie gemessen an Symptom- und Medikamentenverbrauchscores belegt werden konnte, fehlen Vergleiche zur klassischen Langzeittherapie. Auf Grund der bei der Kurzzeittherapie weit geringeren applizierten Allergenmenge ist zu erwarten, dass diese im Vergleich zur Langzeittherapie keine oder eine weit geringere Langzeitwirkung hervorruft. Die Wirkung der Kurzzeittherapie persistiert in der Regel nicht mehr als eine Pollensaison.
Die gleichzeitige Anwendung symptomatischer antiallergischer Pharmaka beeinträchtigt die Wirkung der SIT nicht, kann jedoch die Reaktionslage des Patienten auf Allergeninjektionen beeinflussen, was insbesondere bei der Reduktion der Pharmakotherapie zu beachten ist.
Sublingual statt subcutan
Obwohl die SCIT als Goldstandard der SIT gilt, hat diese Form der Allergenapplikation auch Nachteile: Sie erfordert viele Arztvisiten, die erforderlichen Subcutaninjektionen werden zum Teil als unangenehm empfunden, außerdem besteht ein Nebenwirkungsrisiko. Auf der Suche nach leichter durchführbaren, effizienten und sicheren Formen der Immuntherapie (IT) fokussierte sich das Interesse auf die topische Verabreichung teilweise sehr hoher Allergenmengen. Diese nichtinjizierten Formen der IT werden unter dem Begriff der lokalen Immuntherapie zusammengefasst. Vorteil soll eine Stimulation des lokalen Immunsystems sein, gewissermaßen am Ort des allergischen Geschehens.
Die derzeit meistdiskutierte Form der lokalen IT ist die sublinguale Allergenverabreichung. Dabei wird der Allergenextrakt als Tropfen oder lösliche Tabletten über zwei Minuten unter der Zunge behalten und anschließend ausgespuckt (sublingual-spit) oder geschluckt (sublingual-swallow). In der Literatur wird vor allem letztere empfohlen, da damit zusätzlich zur lokalen sublingualen Wirkung auch eine Resorption im Gastrointestinaltrakt mit anschließender systemischer Wirkung erzielt wird. Um den Abbau des Allergenextrakts durch den Speichel und die Verdauungsenzyme zu reduzieren, werden in neueren Arbeiten zum Teil sehr hohe Allergenkonzentrationen verabreicht.
Studien zur sublingualen IT
Bis heute wurde eine Vielzahl von doppelblind placebokontrollierten (DBPC) Studien zur SLIT bei Erwachsenen und Kindern mit Gräser- und Baumpollen- sowie Hausstaubmilbenallergien veröffentlicht. Die Mehrzahl davon dokumentiert einen signifikanten Effekt der SLIT auf die allergischen Symptome der oberen und/oder unteren Luftwege. Einige der Studien fanden zusätzlich eine signifikante Reduktion des Verbrauchs antiallergischer Medikamente.
In einer Metaanalyse von 23 DBPC-Studien fand sich in 26 Prozent der Arbeiten eine Reduktion sowohl des Symptom-Scores als auch des Medikamentenverbrauchs. 35 Prozent der Arbeiten dokumentierten nur eine Reduktion eines der beiden Verlaufsparameter, und bei 39 Prozent ließen sich gar keine statistisch signifikanten Effekte nachweisen. Auffällig ist eine große Bandbreite der verwendeten Allergendosen, die zwischen dem drei- und 500fachen der üblicherweise verwendeten Dosis zur subcutanen IT liegt.
Eine kürzlich erschienene Metaanalyse der Cochrane Library über die Wirksamkeit der SLIT bei allergischer Rhinitis beurteilte 22 bis Ende 2002 publizierte Studien mit insgesamt 979 Patienten. Die meisten Studien (sechs Stück) wurden mit Hausstaubmilben durchgeführt, je fünf mit Gräser- und Parietariapollen, zwei Studien mit Olivenpollen und je eine mit Ragweed-, Zypressen-, Birkenpollen und Katzenhaarextrakten.
Alle 22 Arbeiten zeichneten Symptom-Scores auf, 17 davon zusätzlich auch den Medikamentenverbrauch. Die Analyse ergab eine signifikante Reduktion sowohl des Symptom-Scores für nasale Symptome als auch des Medikamentenverbrauchs für die Gesamtheit der Studien.
Für Kinder noch weitere Studien
Vier Arbeiten wurden mit insgesamt 152 Kindern durchgeführt. Die Analyse zeigte für Kinder keinen signifikanten Effekt sowohl hinsichtlich klinischem Symptomverlauf als auch hinsichtlich Reduktion des Medikamentenverbrauchs. Weitere Subgruppenanalysen in den sechs Arbeiten mit Milbenextrakten ergaben ebenfalls keinen nachweisbaren signifikanten Nutzen, während die Wirksamkeit in den Studien mit saisonalen Allergenen (Gräserpollen und Parietaria) signifikant war.
Die Autoren der Cochrane Metaanalyse kamen zu dem Schluss, dass die SLIT verglichen mit Placebo hinsichtlich Reduktion der Rhinitissymptome und Verbrauch symptomatischer Medikamente klinisch wirksam ist, dass aber das Ausmaß der klinischen Wirksamkeit der SLIT nicht quantifiziert und verglichen werden kann mit anderen Therapien wie zum Beispiel der SCIT. Die Analyse lässt auch keine Aussage über die richtige Allergendosierung bei der SLIT zu. Weiterhin ist die klinische Wirksamkeit der SLIT bei Kindern nicht nachgewiesen. Daher sind mehr pädiatrische Studien erforderlich.
Weniger Nebenwirkungen bei SLIT
Eines der wichtigsten Argumente für die SLIT ist das geringe Risiko von Nebenwirkungen. Bei ungefähr 8 Prozent kommt es nach sublingualer Applikation und anschließendem Verschlucken des Allergenextrakts zum Auftreten lokaler Beschwerden, entsprechend einem oralen Allergiesyndrom. Auch systemische Reaktionen sind nicht auszuschließen, obgleich die sublinguale Immuntherapie mit einem primären Kontakt zu mukosalen dendritischen Zellen einhergeht, die nach neueren Befunden immer Toleranz begünstigen.
Trotz bisher fehlender Berichte über schwere anaphylaktische Reaktionen nach SLIT ist zu berücksichtigen, dass potenzielle systemische Reaktionen außerhalb der Praxis auftreten, ohne die Möglichkeit einer sofortigen ärztlichen Intervention. Daher sollte zumindest der Beginn der Therapie mit Steigerung der Dosis unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden.
Anschrift der Verfasser:
Dr. Stephan M. Erdmann
Professor Dr. Hans F. Merk
Klinik für Dermatologie und Allergologie
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