Pharmazie
Werden
Drogenabhängige in unserer Gesellschaft behandelt wie
früher Aussätzige? Kann die Freigabe der illegalen
Drogen die organisierte Kriminalität austrocknen?
Könnte DHC eine Alternative zu Methadon in der
Substitution bieten? Und was kann die Apotheke zur
Behandlung von Abhängigen beitragen? Fragen über
Fragen, die bei einer Podiumsdiskussion auf dem
Bayerischen Apothekertag in Schweinfurt angeschnitten
wurden.
Grund zur Entwarnung gibt es nicht. 1996 stieg die Zahl
der Rauschgifttoten seit Jahren erstmals wieder an: 1712
Menschen starben an ihrer Sucht. Etwa 150.000 bis 300.000
Drogenabhängige leben in Deutschland, 120.000 bis
150.000 davon nehmen Heroin. Drogenabhängige und -tote
bedeuten auch für die Apotheker eine extreme
Herausforderung, leitete Dr. Jens Schneider,
Vorstandsmitglied der Bayerischen Landesapothekerkammer
und Leiter des BLAK-Arbeitskreises Sucht, die
Podiumsdiskussion am 13. April ein.
Abstinenz ist das Ziel
Das Idealbild einer drogenfreien Gesellschaft sei eine
Illusion; das Drogenproblem einzudämmen, sei
realistischer, meinte Eduard Lintner, Drogenbeauftragter
der Bundesregierung. Im europäischen Vergleich liege die
Bundesrepublik an zweitbester Stelle, was den
prozentualen Anteil der Drogenkonsumenten in der
Bevölkerung angeht; kein Grund also, nach Modellen aus
dem Ausland zu schielen. Jedoch gebe es Defizite, zum
Beispiel in der Prävention. Die Substitution sieht
Lintner als Zwischenschritt auf dem Weg zur
Drogenfreiheit. Die Abgabe von Heroin an Süchtige lehnte
er ebenso ab wie Dr. Rolf Baumann vom Bayerischen
Sozialministerium.
Alle Suchtstoffe, ob
legal oder
illegal, wirken über das Belohnungssystem im
Zentralnervensystem. Daher ist die Abstinenz das Ziel
einer medizinisch-wissenschaftlich fundierten
Drogenpolitik in Bayern, erklärte Baumann,: "Wir
wollen weg von Sozialromantik und Ideologisierung. Eine
Zielhierarchie zur Schadensbegrenzung sei möglich,
psychosoziale Betreuung des Abhängigen nötig. Daher
wird Bayern als einziges Bundesland in diesem Jahr die
Suchtberatung in Gefängnissen mit 3,5 Millionen DM
fördern. Da sich die morphologischen Veränderungen im
Gehirn langsam vollziehen, muß Prävention sehr früh
einsetzen und alte Drogen einbeziehen, sagte der
Ministerialrat mit Blick auf die laufende Kampagne der
Bayerischen Staatsregierung "Alkohol? Jetzt lieber
nicht!".
Ob Codein oder Methadon: Der Beigebrauch ist riesig,
stellte Professor Dr. Gustav Drasch vom Institut für
Rechtsmedizin in München klar. Die Polytoxikomanie sei
heute der Regelfall. Neben DHC oder Methadon - manchmal
auch beide gemeinsam - nehmen die Süchtigen vor allem
Diazepam, Flunitrazepam, neuerdings auch Clonazepain,
sowie Cannabis und Alkohol. Ein Drittel ergänzt mit
Heroin oder Cocain; gelegentlich werden auch trizyklische
Antidepressiva gefunden.
Drogenabhängige sind Patienten
Noch wichtiger als der Stoff selbst ist das hinter der
Substitution stehende Konzept, meinte Dr. Felix Trotter
vom Bezirkskrankenhaus Haar. Ersatzmittel seien in jedem
Programm nötig, "aber mit Zielsetzung und
Kontrolle". Im Vergleich zu Methadon mit einer
Wirkzeit von etwa 24 Stunden hat Dihydrocodein den
Nachteil der kurzen Halbwertszeit von etwa vier Stunden.
Das macht eine einmal tägliche Einnahme unter
ärztlicher Kontrolle unmöglich. Jedoch wirkt DHC
weniger sedierend als der weltweit vorherrschende
Ersatzstoff Methadon. Tretter hält es für möglich,
daß die Codein-Substitution den Abhängigen
gesundheitlich und sozial stabilisieren kann; dies gelte
jedoch nur für Patienten, die sich nach ärztlichen
Anweisungen richten können.
Ganz wichtig sind feste Regeln bei der Betreuung von
Abhängigen in der Apotheke und eine enge Zusammenarbeit
mit Ärzten und Beratungsstellen, berichtete Christiane
Fahrmbacher-Lutz. Der Apotheker müsse sich lösen von
moralisierenden Vorbehalten. Die apothekerliche Betreuung
könne helfen, akut das Überleben zu sichern, dann die
Verelendung zu verhindern und langfristig die Abstinenz
zu erreichen. Problematisch sei die geringe Zahl. von
Methadon-Ärzten, vor allem auf dem Land.
DHC unter die BtmVV?
Die unkritische Verordnung an nichtausgewählte Personen
hat die Substitution mit DHC in Verruf gebracht. Doch das
Problem ist (süd-)bayernspezifisch, erklärte Schneider:
Ein Viertel der gesamten DHC-Menge Deutschlands wird im
Freistaat eingesetzt - oft unkontrolliert in der grauen
Substitution. Daher fordern die bayerische Regierung und
die BLAK seit langem, DHC unter die
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung zu stellen.
Dieser Schritt würde die Dokumentation und die Qualität
der Versorgung schlagartig verbessern, sagte
Kammerpräsident Dr. Hermann Vogel in der Diskussion und
könnte den Apotheker vor dem Ruf des Dealers in Weiß
schützen, legte Baumann nach.
Viele Probleme bei der Substitution entstehen durch
mangelnde Kenntnis der Ärzte. Fahrmbacher-Lutz riet, die
Ärzte im Gespräch und mit Literatur zu unterstützen.
Aber auch die Ausbildung der Mediziner müsse verbessert
werden, "doch die Sucht ist zu komplex, um sie der
Medizin zu überlassen", meinte Tretter. So gab es
anchließend ein klares Votum für die Gründung einer
Akademie für Suchtfragen: die Apotheker sind bereit,
ihren Beitrag zu leisten.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler und Hartmut
Morck, Schweinfurt
Drogentote: Zahlen im Vergleich
Beim Stichwort Drogenabhängigkeit denkt man zuerst an
illegale Rauschgifte. Weitaus häufiger ist jedoch die
Abhängigkeit von den legalen Drogen Alkohol und Nikotin.
Dr. Rolf Baumann vom Bayerischen Staatsministerium für
Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit
nannte konkrete Zahlen.
Im letzten Jahr starben in der Bundesrepublik 1712
Menschen an Rauschgift, 260 davon in Bayern, aber 40 000
an Alkohol und 112.000 an Nikotin. Auch die
volkswirtschaftlichen Schäden, die durch die Sucht
entstehen, lassen sich beziffern: rund 13 Milliarden DM
durch illegale Drogen. Beim Alkohol stehen den
Steuereinnahmen von 7,6 Milliarden DM die Ausgaben von 60
bis 80 Milliarden DM gegenüber. Ähnlich bei Tabak:
Über die Steuer nimmt der Staat rund 20 Milliarden DM
ein, die Sucht und ihre Folgen verschlingen 80 Milliarden
DM. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Zigaretten
beläuft sich somit auf runde 60 Milliarden DM.
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