Multiple Belastung |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Späte Diagnosen, erfolglose Therapieversuche und mangelnde Aufklärung führen zu falscher oder unzureichender Behandlung von Migränepatienten. Dies hat gravierende Folgen für die Patienten, deren soziales Umfeld und die Wirtschaft.
In Deutschland leiden circa 8 Millionen Menschen unter Migräne, wobei Frauen 3,5 Mal häufiger betroffen sind als Männer. Die Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, also in einem Lebensabschnitt mit hohen Belastungen und Ansprüchen, in dem die Betroffenen sowohl im Beruf als auch im Privatleben hundertprozentig „funktionieren“ wollen.
Hormonschwankungen als Triggerfaktoren spielen bei Frauen eine wesentliche Rolle, was auch die Häufigkeit der Migräneattacken während der Periode und während des Eisprungs erklärt. "Mehr als 50 Prozent der betroffenen Frauen leiden unter menstrueller Migräne", sagte Dr. Astrid Eikermann, Oberärztin der Schmerz- und Kopfschmerzambulanz der Universitätsklinik Essen, bei einem Pressegespräch in Frankfurt am Main. Doch gerade diese Patientengruppe nehme selten ärztliche Hilfe oder fachmännische Beratung in Anspruch.
Viele Frauen würden eher zu Schmerzmitteln aus dem Bereich der Selbstmedikation greifen und diese häufig in viel zu niedriger Dosierung einnehmen. Eikermann empfahl für Acetysalicylsäure und Paracetamol eine Mindestdosierung von 1 bis 1,5 g, für Ibuprofen 600 bis 800 mg. Vorzugsweise sollten diese Substanzen gelöst, zum Beispiel als Brausetablette, oder als Zäpfchen zugeführt werden, wobei eine Kombination mit Prokinetika wie Domperidon oder Metoclopramid die Resorption verbessern könnte.
Triptane ab mittelschweren Attacken
Bei mittelschweren bis schweren Migräneattacken wirken Analgetika meistens nicht, berichtete die Ärztin. Gemäß den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft sollten Triptane zum Einsatz kommen. Bei 70 Prozent der Patienten nehme der Schmerz nach zwei Stunden deutlich ab, vier von zehn werden sogar völlig schmerzfrei. Alternativ möglich, aber weniger wirksam sei die Kombination eines Antiemetikums mit Ergotamintartrat, beispielsweise bei Non-Respondern auf Triptane. Allerdings ist durch die Engstellung aller Gefäße durch die Ergotalkaloide mit Nebenwirkungen zu rechnen, gab Professor Dr. Gunther Haag von der Universität der Bundeswehr München zu bedenken.
Obwohl Migräne nicht heilbar ist, könne eine evidenzbasierte Therapie, wie sie die Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft vorschlägt, die Lebensqualität der Patienten maßgeblich verbessern, erläuterte Haag. Der Diplompsychologe wies darauf hin, dass eine falsche und unzureichende Medikation zu Folgeerkrankungen wie Depressionen, Nierenschädigungen oder Magenproblemen führen könne. Gleichzeitig steigt das Risiko für den Medikamenten-induzierten Dauerkopfschmerz.
Dadurch entsteht auch ein volkswirtschaftliches Problem. Professor Dr. Günter Neubauer, Universität der Bundeswehr München, errechnete für die direkten und indirekten Kosten der Migräne ein Verhältnis von 1 : 13. Neubauer: "Durch jeden Euro Behandlungskosten können etwa 13 Euro Folgekosten gespart werden". Die Krankenkassen spürten die positiven Wirkungen, das heißt den Anstieg der Produktivität, allerdings nur indirekt. Hier seien die Arbeitgeber aufgerufen, aktiv zu werden; sie könnten beispielsweise durch Einschalten der Betriebsärzte die Therapiebereitschaft der Migränepatienten verbessern. Leistungs- und Arbeitsausfälle könnten dadurch maßgeblich zurückgedrängt werden, meinte der Ökonom.
Die Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft sind unter www.dmkg.de abzurufen.
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