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Tendenz rückläufig, aber keine Entwarnung

21.03.2005  00:00 Uhr
Tuberkulose

Tendenz rückläufig, aber keine Entwarnung

von Gudrun Heyn, Berlin

Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt vor der zunehmenden Entwicklung von resistenten Tuberkulose-Erregern. Zwar ist in Deutschland die Zahl der Neuerkrankten im Jahr 2003 erneut leicht zurückgegangen. Doch steigt der Anteil der Patienten mit resistenten Keimen, besonders bei Migranten aus Osteuropa.

»Immer noch ist die Tuberkulose ein drängendes Problem«, sagte Professor Dr. Reinhard Burger, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, anlässlich des Welttuberkulosetags am 24. März. Die WHO schätzt, dass weltweit jedes Jahr etwa neun Millionen Menschen neu erkranken. Knapp zwei Millionen der Patienten versterben jährlich an ihren Folgen. Als besonders gefährlich gilt die offene Lungentuberkulose, die als Tröpfcheninfektion weitergegeben wird.

Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit dem Tuberkelerreger Mycobacterium tuberculosis infiziert. Doch nicht bei jedem bricht die Krankheit aus. Nur etwa ein Zehntel der Infizierten erkrankt im Lauf seines Lebens. Derzeit leiden weltweit etwa 15 Millionen Menschen an der Infektionskrankheit. Südlich der Sahara, aber auch in Asien liegen die Länder mit den höchsten Erkrankungsraten. Besonders die zunehmende Zahl an HIV-Infektionen bereitet den Experten Sorge. Durch die verminderte Immunabwehr wird einer Coinfektion mit Tuberkulose das Tor weit geöffnet.

In Deutschland liegt die Inzidenz für Tbc derzeit bei 8,7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Allerdings sind Menschen in Ballungszentren weitaus mehr gefährdet als in den ländlichen Gebieten. So führen Hamburg, Bremen und Berlin die Statistik der Krankenzahlen an. Verglichen mit Thüringen oder Schleswig-Holstein ist die Inzidenz dort pro 100.000 Einwohner mehr als doppelt so hoch. Während in den ländlichen Regionen die Tbc überwiegend eine Krankheit der älteren Menschen ist, erkranken in den Städten vor allem auch Jüngere. Vermutlich finden die Erreger in den Metropolen bessere Übertragungsmöglichkeiten, so die Experten. Aber auch der höhere Ausländeranteil wird für die großen regionalen Unterschiede verantwortlich gemacht.

»Immer mehr werden die Krankenzahlen durch die Migration beeinflusst«, sagte Dr. Walter Haas vom Robert-Koch-Institut. Die Tuberkulose spiegelt die Bedingungen wider, unter denen Menschen aufgewachsen sind und gelebt haben. 44 Prozent der im Jahr 2003 an Tuberkulose neu erkrankten Patienten in der Bundesrepublik waren im Ausland geboren. Etwa ein Viertel davon stammte aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. »Dort ist nicht nur die Tuberkulose sehr häufig, auch die Resistenzen spielen in diesen Ländern eine besondere Rolle«, sagte Haas. Statt der üblichen Kombitherapie mit vier oder fünf Medikamenten werden die Menschen zum Teil nur mit einem einzelnen Arzneimittel behandelt.

Resistenzen nehmen weiter zu

Als internationaler Behandlungsstandard gilt die Vierfachtherapie mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol beziehungsweise Streptomycin. Diese Medikamente müssen täglich über zwei Monate eingenommen werden. Anschließend erfolgt eine viermonatige Therapie mit Isoniazid und Rifampicin. »In Zukunft könnte auch Moxifloxacin aus der Substanzklasse der Chinolone auf Grund seiner guten Wirksamkeit in das Therapieregime mit aufgenommen werden«, sagte der Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK), Professor Dr. Robert Loddenkemper. Derzeit wird es nur in der Second-line-Behandlung eingesetzt.

 

Tuberkulose in Deutschland Anders als in Entwicklungsländern nimmt in Industrieländern die Tuberkulose-Inzidenz ab. In Deutschland hat sich die Zahl der Neuerkrankten in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Weniger erfreulich sieht die Situation bei der Resistenzentwicklung aus. Zwar stagnierte die Zahl der multiresistenten Keime, die ihre Empfindlichkeit mindestens gegen Isoniazid und Rifampicin verloren haben, bei niedrigen 2,1 Prozent. Der Anteil der Keime mit irgendeiner Resistenz aber stieg von 11 auf 13,3 Prozent. Besonders häufig werden resistente Keime bei Menschen aus dem Ausland isoliert.

Tuberkulose ist nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig, und zwar sowohl bei Therapiebeginn, bei einem Todesfall und auch, wenn ein Patient die Therapie abbricht.

 

In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben inzwischen 30 Prozent der Erreger gegen eines der Standardmedikamente Resistenzen entwickelt. In den Gefängnissen liegen die Zahlen teilweise noch höher, da die Überbelegung eine wirksame Infektionskontrolle verhindert. Überall dort, wo Ärzte Medikamente nicht adäquat verschreiben, die Menschen ihre Arzneimittel unregelmäßig einnehmen, Patienten die Therapie abbrechen oder das Land keine vernünftigen Kontrollstrukturen aufgebaut hat und die Vertriebswege für die benötigten Medikamente unzureichend sind, entstehen Antibiotikaresistenzen. Mit Resistenzraten bis zu 70 Prozent hält derzeit die Republik Tyva einen einsamen Rekord.

In der Bundesrepublik ist der Anteil multiresistenter Erreger gegenüber den beiden wichtigsten Medikamenten der Tuberkulosetherapie Isoniazid und Rifampicin noch sehr gering. Mit 2,0 bis 2,2 Prozent blieb der Anteil in den letzten drei Jahren nahezu unverändert. Dagegen stieg der Anteil von Erregern mit einer Resistenz gegen mindestens eines der fünf Erstrangmedikamente in den Jahren 2001 bis 2003 kontinuierlich von 11,0 auf 13,3 Prozent. Jeder Träger dieser Erreger kann weitere Menschen infizieren. Dabei bleibt die Ansteckungsfähigkeit umso länger erhalten, je schwieriger die Erkrankung zu behandeln ist. Bis zu zwei Jahre kann eine Therapie dauern, wenn wegen Resistenzen auf andere Medikamente ausgewichen werden muss.

Bei uns keine optimale Behandlung

Neueste Zahlen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) belegen, dass auch in Deutschland die medizinische Betreuung der Erkrankten nicht immer optimal verläuft. Im Durchschnitt vergehen knapp zwei Monate zwischen dem ersten Arztbesuch und der Diagnosestellung. 1,7 Prozent der Patienten mussten sogar über fünf Monate auf die Diagnose warten.

Auch die nationalen und internationalen Empfehlungen zur Behandlung der Tbc werden in Deutschland nicht immer vollständig umgesetzt. »Immer noch gibt es eine große Behandlungsvielfalt«, berichtete Daniel Sagebiel vom DZK. So erhielten von Oktober 2001 bis März 2004 nur 68 Prozent der Patienten in Deutschland initial vier oder fünf Antibiotika. Knapp 30 Prozent der Erkrankten wurden lediglich mit drei Medikamenten behandelt. Außerdem bekamen 11 Prozent der Patienten bereits ab Therapiebeginn Zweitrangmedikamente. »Dies zeigt, dass auch eine häufige Infektionskrankheit aus dem Bewusstsein von Bevölkerung und Fachkreisen verschwinden kann, wenn sie rückläufig ist«, sagte Haas. Infektionskrankheiten sollten daher in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung wieder mehr berücksichtigt werden.

Aber auch die Politik wollen die Experten von RKI und DZK mehr in die Pflicht nehmen. Bei rund 15 Prozent der 2002 in Deutschland behandelten Patienten konnte kein Therapieerfolg erzielt werden. Immerhin hatte ein Fünftel von ihnen die Behandlung vorzeitig abgebrochen. Entsprechend mehr Antibiotikaresistenzen werden befürchtet. »Vor allem die Zuzahlungspflicht bei Arzt und Medikamenten hat sich als Therapiehindernis erwiesen und sollte für die Tuberkulose abgeschafft werden«, forderte Loddenkemper. Top

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