Altern lässt sich noch nicht hinauszögern |
19.03.2001 00:00 Uhr |
ANTIAGING
Älterwerden ohne Probleme war stets ein Traum der Menschheit. Dank der wissenschaftlichen Forschung sind wir diesem Traum so nah wie nie zuvor. Mit neuen diagnostischen und therapeutischen Methoden können Gesundheit, Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und vitale Funktionen erhalten und optimiert werden. Ob alle Anti-Aging-Therapien sinn- und für jeden wirkungsvoll sind, diskutierten Experten kürzlich auf einem Forum von Ferring.
In Deutschland ist die mittlere Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren um nahezu das Doppelte angestiegen. Insofern spielen gesundheitliche, soziale und psychologische Probleme älterer Menschen eine immer größere Rolle in Klinik und Forschung. Das erfordert jedoch auch ein Umdenken in der Medizin - von der rein kurativen hin zur präventiven Medizin. Da die moderne Medizin durch ihre Fortschritte den Menschen einen dritten Lebensabschnitt beschert hat, trägt sie nach Ansicht von Professor Dr. Alfred Wolf, Ulm, auch die Verantwortung dafür, dass dieser Abschnitt in optimaler körperlicher und geistiger Verfassung und ohne vermeidbare Erkrankung erlebt werden kann. Ziel ist, Risiken für die Gesundheit zu erkennen, zu behandeln und durch geeignete Veränderungen des Lebensstils eine Verbesserung der Gesundheit zu erreichen.
Drei Faktoren sind primär für den Alterungsprozess verantwortlich: Genetische Ursachen wie Verlust der Telomere und Alterung der Zellerneuerung machen nur 15 bis 30 Prozent aus. Weitaus belastender ist das biochemische Altern inklusive der "Theorie der freien Radikalen". Als dritte Ursache nennt Wolf das neurohumorale Altern: Ein "Paradebeispiel" für vorzeitiges Altern sei die Entstehung des Typ-2-Diabetes. "Diese Wissen ist notwendig, um Möglichkeiten und Nutzen einer modernen Anti-Aging-Medizin zu beschreiben, denn mit ihr soll nicht das Leben verlängert, sondern die mit dem Altern einhergehende Lebensphase von Invalidität und Pflegebedürftigkeit auf ein Minimum reduziert werden."
Die Hormonsubstitution ist bei der älter werdenden Frau längst ein etabliertes Therapieverfahren. Aber auch beim älteren Mann sinkt der Testosteronspiegel jährlich um etwa 1,1 Prozent ab dem 40. Lebensjahr. Androgene sind nicht nur für die sekundären Geschlechtsmerkmale, für Libido und Potenz verantwortlich, sondern beeinflussen eine Vielzahl anderer Faktoren. Erkenntnisse über die Wirkung einer Testosterontherapie bekam man aus dem Therapieerfolg hypogonadaler Patienten: Durch eine Substitution älterer Männer mit Testosteron dürften die Knochendichte ansteigen und das Frakturrisiko sinken, die Hämatopoese stimuliert werden, Libido und Potenz sowie körperliche und geistige Aktivität zunehmen, erklärte Rolf. Allerdings ist es seiner Ansicht nach noch verfrüht, dem älteren Mann eine Testosteronsubstitution analog zur Estrogensubstitution der postmenopausalen Frauen zu empfehlen.
Gibt es jedoch klinische Hinweise auf einen latenten oder manifesten Testosteronmangel und liegt der Serumtestosteronspiegel unter dem für jüngere Männer geltenden Normwert von 12,0 mmol/l, sollte die Gabe von Testosteron in Betracht gezogen werden. Bis heute gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Wirkstoff ein Prostatakarzinom induziert, jedoch kann das Wachstum eines manifesten Prostatakarzinom durch die Testosterongabe gefördert werden.
Die sinkende Testosteronproduktion beim alternden Mann ist nicht die einzige endokrine Änderung. Auch die Sekretion von Wachstumshormon und Insulin-like-Growth-Factor I (IGF-I) sind bekannt und vermutlich mitverantwortlich für die Veränderung der Körpergestalt. Eine Therapie mit Wachstumshormon ist - abgesehen vom Missbrauch beim Sport - relativ neu. Man weiß von einer Zunahme der Knochendichte der Lendenwirbelsäule und einem Abbau von Fett zugunsten von Eiweiß. Gleichzeitig wurden jedoch eine verminderte Glukosetoleranz, erhöhter Blutdruck und eine vermehrte Wasserretention beobachtet. Eine langdauernde Substitutionstherapie mit Wachstumshormon könnte einen Hypertonus, Diabetes mellitus oder Kardiomegalie sowie Akromegalie auslösen. Möglicherweise induziert sie sogar die Entstehung von Karzinomen.
Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS) sind schwach androgen wirkende, in der Nebennierenrinde gebildete Präkursoren der Testosteronsynthese. Mit zunehmenden Alter sinken die DHEA- beziehungsweise DHEAS-Spiegel kontinuierlich. In einer Studie aus Würzburg zeigte sich, dass nebenniereninsuffiziente Frauen von einer solchen Substitution derart gut profitierten - auch durch eine Zunahme der Knochendichte sowie der Libido -, dass man sie allen Patienten anbieten sollte, so Dr. Victor Büber aus Berlin.
Gesunde Männer dagegen scheinen keinen messbaren Nutzen davon zu haben. Bei Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung konnten ebenso wie bei Männern mit Diabetes mellitus vom Typ 2, rheumatoider Arthritis sowie einigen Karzinomerkrankungen Korrelationen zu einem erniedrigten DHEA(S)-Spiegel festgestellt werden, auch im Zusammenhang mit der Körperfettverteilung. Eine DHEA(S)-Substitution ist zum jetzigen Zeitpunkt bei älteren Männern nicht indiziert.
Eine Substitution mit Vitamin D ist bei älteren Menschen gerade nach Schilddrüsenoperationen oder bei entzündlichen oder postoperativen Darmerkrankungen zwecks Optimierung des Calciumstoffwechsels wichtig. Das populäre Melatonin wurde bisher nicht gut untersucht, die Datenlage ist widersprüchlich. Sollte sich in Studien zeigen, dass der Nachtschlaf günstig beeinflusst wird, so wäre die Melatoninsubstitution schon allein deshalb sinnvoll, weil gerade beim älteren Mann im Schlaf mehr Wachstumshormon produziert wird, was wiederum die Bildung von Testosteron ankurbelt.
Der modernen Endokrinologie, so das Fazit, ist durchaus erlaubt, Defizite auch in Grenzbereichen zu erfassen und auszugleichen. Vorsicht geboten ist jedoch bei einer reinen Anti-Aging-Therapie, hier fehlen noch fundierte Studienergebnisse.
Quelle: Ferring-Forum 2001 - Innovation - Visionen - Fortschritt am 2.-3. März 2001 in Hamburg
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