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Einen Schritt weiter

05.03.2001  00:00 Uhr

Einen Schritt weiter

von Daniel Rücker, Königswinter

Seit 1. Februar ist das neue Antiallergikum Des(carboethoxy)loratadin (Aerius®, Essex) auf dem Markt. Das Unternehmen schreitet damit im humanen Stoffwechsel einen Schritt voran, denn die Substanz ist der therapeutisch wirksame Metabolit des bekannten H1-Blockers Loratadin. Im Gegensatz zu anderen Antihistaminika soll sie neben der antihistaminergen Wirkung stärkere antiinflammatorische Eigenschaften haben. Desloratadin ist zugelassen für die Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis.

Im Vergleich zu Loratadin und anderen Antihistaminika habe Desloratadin eine erheblich höhere Affinität zum Histamin-H1-Rezeptor, sagte Professor Dr. Ludger Klimek, Wiesbaden, auf einer Pressekonferenz am 24. Februar 2001 in Königswinter. Außerdem blockiere es proinflammatorischen Zytokine Interleukin (IL)-3, 4, 6, 8 und 13 sowie die Freisetzung von Leukotrienen und Prostaglandinen. Dank dieser Eigenschaften bremse Desloratadin auch die allergisch bedingte Entzündungsreaktion, so der Mediziner weiter. Auf Grund seiner antiinflammatorischen Eigenschaften bessere das neue Medikament die nasale Obstruktion. Diese Wirkung sei für ein Antihistaminikum einzigartig. Klimek glaubt, dass die Substanz deshalb den Einsatz von Steroiden reduzieren kann.

Besonders positiv sei die schnelle Wirksamkeit von Desloratadin. In Studien besserte sich innerhalb von durchschnittlich 48 Minuten der allergische Symptomscore um 25 Prozent. Loratadin erzielte diesen Effekt erst nach durchschnittlich 70 Minuten.

Das Herstellerunternehmen Essex will für Desloratadin in Zukunft eine Zulassung zur Behandlung entzündlicher Dermatosen beantragen. Wie Professor Dr. Martina Kerscher, Hamburg, berichtete, verminderte die Substanz in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit 190 Patienten, die an chronischer idiopathischer Urticaria litten, bereits nach der ersten Einnahme den Juckreiz. Ebenso lindere Desloratadin die Beschwerden bei Patienten mit atopischem Ekzem, allergischen Kontaktreaktionen oder Lichtdermatosen. Hier stützen sich die Beobachtungen der Dermatologin allerdings auf Einzelfälle.

Ein positives Bild von der Sicherheit der neuen Substanz zeichnete der Pharmakologe Professor Dr. Gerhard Schultze-Werninghaus. Desloratadin sei ein selektiver peripherer H1-Antagonist mit einer im Vergleich zu Loratadin 2,5- bis 4-fach erhöhten Wirksamkeit. Da es eine Halbwertszeit von 17 bis 24 Stunden habe, könne es einmal täglich in einer Dosierung von 5 mg gegeben werden. Desloratadin habe damit im Vergleich zu Loratadin eine deutlich längere Halbwertszeit (8 bis 14 Stunden). Über die Wirkdauer sagt diese Angabe allerdings nicht viel aus, schließlich ist Loratadin nicht die eigentliche Wirksubstanz, sondern wird erst zu Desloratadin metabolisiert.

Wie Schultze-Werninghaus betonte, zeichnet sich das neue Medikament durch gute Verträglichkeit und Sicherheit aus. Im Tierversuch zeigte die Substanz weder kardiotoxische noch zentralnervöse Wirkungen. In kognitiven Leistungstests und Fahrtüchtigkeitsprüfungen konnte weder eine sedierende Wirkung noch eine andere Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit festgestellt werden. Interaktionen mit Alkohol oder anderen Arzneimitteln sind nicht bekannt, obwohl die Substanz über das Cytochrom-P450(CYP)-3A4-Enzym metabolisiert wird. Der Pharmakologe erklärt dies mit dem alternativen Abbauweg über CYP2S6, der für Desloratadin ebenfalls zur Verfügung steht.

Unklar ist, warum Desloratadin so viel besser wirksam sein soll als Loratadin und warum es im Vergleich zur Vorläufersubstanz wesentlich stärkere antiinflammatorische Eigenschaften haben soll. Hier blieben die Experten eine vollständige Erklärung schuldig. Loratadin wird nach Aussage von Professor Dr. Claus Bachert zu rund 80 Prozent zu Desloratadin verstoffwechselt, wobei es bei den Patienten individuelle Unterschiede gibt.

Auf den ersten Blick plausibel erscheint deshalb nur der schnellere Wirkeintritt, da Desloratadin nicht metabolisiert werden muss. Erklärbar wäre auch eine stärkere und definiertere Wirkung, da die individuellen Schwankungen des Metabolismus wegfallen. Weniger nachvollziehbar ist dagegen, warum die Einnahme von Desloratadin grundsätzlich andere Wirkungen haben sollte als die Einnahme von Loratadin. Wenn Desloratadin antiinflammatorisch wirkt und Loratadin im Körper zum überwiegenden Teil in die Wirksubstanz umgewandelt wird, müsste die Vorgängersubstanz auch antiinflammatorische Effekte haben. Top

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