Asymptomatisch heißt nicht beschwerdefrei |
26.01.2004 00:00 Uhr |
Nur rund 20 Prozent der Gallensteinträger entwickeln gravierende Symptome bis hin zur Kolik. 60 bis 80 Prozent der Gallensteine gelten als asymptomatisch. Doch die Betroffenen sind längst nicht immer beschwerdefrei, viele von ihnen haben zum Teil erhebliche Symptome, wie eine Pilotstudie in München offenbarte.
Starke, krampfartige Schmerzen im Oberbauch zusammen mit Übelkeit und Erbrechen – Gallensteine werden meist erst diagnostiziert, wenn eine biliäre Kolik auftritt. Dann raten Mediziner den Patienten üblicherweise zur Operation, da die Gallenblase durch die minimal invasive Chirurgie inzwischen weit schonender als früher entfernt werden kann. Die Operationsrate ist dadurch beträchtlich angestiegen. Derzeit werden in Deutschland jedes Jahr rund 190.000 Gallenblasen operativ entfernt, hieß es beim 139. Falk Symposium in Freiburg.
Eine Kolik gilt heute bereits als Indikation für eine Operation. Nach Angaben von Privatdozent Dr. Michael Fuchs aus Ulm entwickeln rund 50 Prozent der Patienten mit biliärer Kolik innerhalb nur eines Jahres erneut Gallenschmerzen. Spätestens nach dieser zweiten Kolik, sollte die Gallenblase auf jeden Fall entfernt werden, denn es besteht die Gefahr, dass das Krankheitsbild durch Entzündungsprozesse kompliziert wird, was den operativen Eingriff risikoreicher macht.
Doch nicht jeder Gallenstein muss operiert werden. Werden die Steine als Zufallsbefund zum Beispiel bei einer Oberbauchsonographie entdeckt, so gelten sie allgemein als nicht behandlungspflichtig. Denn Mediziner gehen bislang davon aus, dass 60 bis 80 Prozent aller Gallensteine klinisch stumm sind, den Betroffenen also keine Beschwerden verursachen. Die Gefahr, dass solche zunächst asymptomatischen Steine später doch Symptome hervorrufen, bezifferte Dr. Wolfgang Kratzer, Ulm, auf 2 bis 4 Prozent in den ersten zehn Jahren nach der Diagnosestellung und danach auf nur noch 1 bis 2 Prozent.
Bei dieser Annahme, die aus Literaturberichten stammt, könnte es sich allerdings um einen Trugschluss handeln. Denn eine Pilotstudie der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Dieter Jüngst vom Münchner Universitätsklinikum Großhadern belegt, dass Menschen mit Gallensteinen durchaus Beschwerden entwickeln, auch wenn sie nicht unter biliären Koliken leiden. „Die vermeintlich asymptomatischen Gallensteine sind meist keineswegs asymptomatisch, sondern gehen oft mit doch erheblichen dyspeptischen Beschwerden einher und damit auch mit einer spürbaren Minderung der Lebensqualität“, erklärte der Mediziner.
Oft dyspeptische Beschwerden
In der Münchner Untersuchung wurden 35 Patienten mit so genannten asymptomatischen Gallensteinen mittels eines standardisierten Fragebogens zur gastrointestinalen Lebensqualität befragt. Mehr als die Hälfte der Patienten litt den Ergebnissen zufolge unter leichten bis mäßigen gastrointestinalen Beschwerden, die im Wesentlichen als Dyspepsie zu beschreiben sind. Im Vordergrund standen Blähungen, Sodbrennen, Schmerzen und Druckgefühl im Oberbauch sowie Appetitlosigkeit und die Unverträglichkeit bestimmter Speisen und vor allem fetter Gerichte.
Bei gut einem Viertel der Patienten ist die Lebensqualität durch solche Beschwerden erheblich beeinträchtigt. „Nur rund ein Sechstel der befragten Gallensteinträger hatten nach unserer Untersuchung tatsächlich keine Beschwerden“, so Jüngst. Die Untersuchung zeige, dass echte asymptomatische Gallensteine, die keiner Therapie bedürfen, entgegen den Literaturangaben wohl eher die Ausnahme als die Regel sind.
Beschwerden bedingen Prognose
Aus der Münchner Untersuchung sind nach Jüngst direkt Konsequenzen zu ziehen. So sollten zum einen dyspeptische Beschwerden ernst genommen und Personen mit solchen Symptomen stets auf Gallensteine untersucht werden. Zum anderen sollten Patienten mit stummen Gallensteinen sorgfältig befragt werden, ob sie nicht doch unter gastrointestinalen Beschwerden leiden. Ist dies der Fall, so ist nach Jüngst eine Behandlung mit niedrig dosierter Ursodesoxycholsäure (UDC) indiziert. Denn diese Gallensäure lindert die dyspeptischen Beschwerden bei Gallensteinträgern erheblich. Es gibt außerdem laut Jüngst Berichte, wonach auch Menschen mit dyspeptischen Beschwerden, die keine Gallensteine haben, von der Substanz profitieren.
Doch die Therapie mit Ursodesoxycholsäure habe noch einen weiteren Vorteil. „Von der Behandlung symptomatischer Patienten wissen wir, dass eine frühzeitige Gabe der Gallensäure die Häufigkeit von Gallenkoliken etwa halbiert und schwer wiegende Komplikationen des Gallensteinleidens in ihrer Häufigkeit drastisch senkt“, sagte der Mediziner. Die Behandlung bessere somit nicht nur die akuten Symptome, sondern halte auch den natürlichen Verlauf der Erkrankung auf. Das hängt offensichtlich direkt mit der Pathogenese der Gallensteinbildung und mit dem Wirkmechanismus der Ursodesoxycholsäure zusammen. Die von außen zugeführte Gallensäure erhöht den Gallensäurepool, wodurch mehr Cholesterol in Lösung gehalten werden kann. Außerdem löst Ursodesoxycholsäure auch Cholesterol aus bereits gebildeten Steinen heraus und wirkt zudem choleretisch, fördert also den Abfluss der Galle.
Die Entstehung von Gallensteinen geht laut Fuchs auf ein Zusammenspiel genetischer Faktoren und Umweltfaktoren zurück. Aus Untersuchungen am Mausmodell ist zum Beispiel bekannt, dass eine ganze Reihe von Mutationen in Genen, die den Lipidstoffwechsel steuern oder für Transportproteine kodieren, eine Prädisposition für die Steinbildung darstellen können. Diese wird zum Beispiel begünstigt, wenn auf Grund genetischer Veränderungen vermehrt Cholesterol gebildet wird, was eine Cholesterolübersättigung der Galle zur Folge hat.
Ein erhöhtes Risiko für Gallensteinleiden haben somit Menschen mit entsprechender genetischer Prädisposition, was sich anhand einer Familienanamnese abschätzen lässt. Weitere Risikofaktoren für Gallensteinleiden sind ein höheres Lebensalter sowie Übergewicht, langes Fasten, eine drastische Gewichtsabnahme und das weibliche Geschlecht. Frauen entwickeln weit häufiger Gallensteine als Männer.
Gallensäure zur Vorbeugung
Derzeit stünde in der Diskussion, ob Menschen mit solchen Risikofaktoren prophylaktisch Ursodesoxycholsäure einnehmen sollten, berichtete Professor Dr. Ulrich Beuers aus München. Indiziert könnte eine solche Maßnahme zum Beispiel bei Personen mit bekanntem Gendefekt sein oder in speziellen Risikosituationen, etwa bei konsequenter Reduktionsdiät.
Einer aktuellen niederländischen Studie zufolge ist die Gabe von Ursodesoxycholsäure auch bei Patienten auf der Warteliste für eine laparoskopische Cholezystektomie, einer Entfernung der Galle mithilfe der Bauchspiegelung, sinnvoll. In einer Untersuchung erhielten 30 Patienten drei Wochen vor dem vereinbarten Operationstermin die Gallensäure (10 mg/kg/d). Die Therapie reduzierte die Entzündung der Gallenblasenwand und verbesserte die Kontraktilität deutlich. Die Beschwerden gingen deutlich zurück. „Gleichzeitig wurde die Wahrscheinlichkeit, dass eine Cholecystektomie notwendig war, deutlich reduziert und das sowohl bei initial symptomatischen wie auch asymptomatischen Patienten“, betonte der an der Studie beteiligte niederländischen Forscher Professor G. Paul van Berge Henegouwen.
Beschwerden auch nach der OP
Mit der operativen Entfernung der Gallenblase verschwinden die Beschwerden allerdings nicht schlagartig, erklärte Jüngst in Freiburg. Auch nach dem Eingriff klagen seinen Angaben zufolge 35 Prozent der Patienten weiterhin über gastrointestinale Symptome. Bei jedem Zehnten trete ein als Postcholezystektomie-Syndrom bezeichnetes Phänomen auf die Betroffenen entwickeln wiederholt kolikartige Schmerzen oder schwere dyspeptische Beschwerden. Dieses lässt sich je nach Ausprägung der Beschwerden mit Ursodesoxycholsäure oder auch Choleretika, Spasmolytika, Protonenpumpenhemmern oder mit Cholestyramin behandeln.
Gallensteine Einen Liter Gallensäure bildet die Leber jeden Tag. Die gelbe bis grünliche Flüssigkeit, die neben Gallensäuren, Cholesterol, Gallenfarbstoff (Bilirubin) auch verschiedene Salze und Schleim enthält, spielt eine entscheidende Rolle im Lipidstoffwechsel. In der Gallenblase, die etwa 40 bis 80 ml fasst, wird die Flüssigkeit gespeichert und bei Bedarf durch Kontraktion des Organs ausgeschüttet.
Erreicht das Cholesterol in der Gallenflüssigkeit eine zu hohe Konzentration, fällt es aus. Es entstehen kleine Kristallisationspunkte, die langsam zu größeren Konkrementen anwachsen. Diese so genannten Gallensteine können entweder als Einzelstein, mehrere kleine Steine oder als feine Ablagerung (Gallengrieß) vorliegen. Je nach ihrer Zusammensetzung lassen sich die Konkremente in verschiedene Typen unterteilen: Die gelben, zum Teil recht großen Cholesterolsteine bestehen zu etwa 70 Prozent aus Cholesterol. Die meist kleinen, braun bis schwarzen Pigmentsteine haben einen Cholesterolkern, um den sich Gallenfarbstoff abgelagert hat. In den häufig vielfarbigen Kombinationssteine ist eine Mischung aus Cholesterol, Bilirubin und Kalk enthalten.
Etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung in Industrienationen bilden im Laufe ihres Lebens Gallensteine aus. Die häufigste Komplikation dieses Leidens ist die Gallenkolik (biliäre Kolik): Durch eine Verkrampfung der Wandmuskulatur entstehen plötzlich einsetzende, starke Schmerzen im Oberbauch, die auch in Rücken und Brust ausstrahlen. Zusätzlich können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Blockiert ein Stein den Abfluss der Galle, können Betroffene eine Gelbsucht (Ikterus) entwickeln – ihre Haut und die Lederhaut der Augen verfärben sich gelb. Außerdem kann sich die Gallenblase bei einem Gallenstau entzünden.
Standardtherapie der Gallensteinleiden ist die Entfernung des Organs mit minimal invasiven Methoden (Schlüsselloch-Chirurgie). Unter Umständen sind auch nicht operative Verfahren wie eine medikamentöse Behandlung oder eine elektromechanische Steinzertrümmerung erfolgreich.
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