Mehr Fragen als Antworten |
18.09.2000 00:00 Uhr |
Obwohl rheumatische Erkrankungen zu den häufigsten chronischen Krankheiten zählen, gibt es bezüglich der Pathophysiologie noch einige offene Fragen. Während der Verlauf recht gut erforscht ist, tappen die Wissenschaftler bei der Suche nach den genauen Auslösern weiterhin im dunklen. Wie Dr. Gernot Keyßer, vom Klinikum der Universität in Halle ausführte, spielen bei den meisten Krankheitsbildern sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle.
Bei der rheumatoiden Arthtritis überwiege der Umwelteinfluss, stellte der Dozent fest. Hinzu kommen genetische Prädispositionen, die den Ausbruch der Krankheit begünstigen. An vorderster Stelle stehen hierbei die Gene des HLA (Humane Leukozyten Antigen)-Systems. Menschen mit HLA DR erkranken 2,5 mal häufiger an der Krankheit als Menschen mit einer anderen Genvariante.
Nach dem aktuellen Stand der Forschung handelt es sich bei rheumatoider Arthritis um eine Autoimmunerkrankung. Gleichzeitig werden aber auch bakterielle Infektionen als primärer Auslöser diskutiert, die sekundär Autoimmunphänomene nach sich ziehen. Keyßer stellte ein aktuelle Hypothese vor, nach der ein von TNF (Tumor Nekrose Faktor)-a dominiertes Zytokinmilieu die Dendritischen Zellen zur unselektiven Präsentation von HLA-Molekülen stimuliert. Parallel dazu könnte dasselbe Zytokinmilieu autoreaktive T-Zellen stimulieren und so eine Autoimmunreaktion anstoßen.
Im Krankheitsverlauf infiltrieren Makrophagen die Synovialmembran der Gelenke. Diese wächst von einer ursprünglichen Dicke von ein bis zwei Zelllagen auf das Zehnfache an. Zudem produzieren die Zellen der Membran eine Vielzahl inflammatorischer Stoffe wie IL (Interleukin)-1 und TNF-a. Außerdem werden Matrixmetalloproteasen gebildet, die Knorpel und Bindegewebe massiv angreifen. Verstärkt wird der Effekt durch die verminderte Bildung von Inhibitoren dieser proteolytischen Enzyme.
HLA-Gene sind auch an der Entstehung einer weiteren rheumatischen Erkrankung beteiligt. Wie Keyßer erläuterte, haben Menschen mit HLA B27 ein erheblich erhöhtes Risiko an einer seronegativen Spondylarthropathie zu erkranken. Alleiniger Auslöser sei das Gen aber sicherlich nicht, den die Mehrzahl der Genträger erkrankt nicht an der auch als Morbus Bechterew bekannten Krankheit. Welche Rolle HLA B27 exakt spielt, ist noch unbekannt.
Neben HLA B27 ist die Anwesenheit bestimmter Darmbakterien notwendig. So kann eine Salmonellen-Infektion der Startpunkt des Morbus Bechterew sein. Diskutiert wird, dass Salmonellen die HLA B27-Proteine verändern und diese modifizierten Proteine dann von Immunzellen angegriffen werden. Eine andere Hypothese besagt, dass HLA B27-Proteine falsch gefaltet werden, sich in der Zelle anreichern und diese überladenen Zellen vom Immunsystem angegriffen werden.
Wie Keyßer weiter erklärte spekulieren Forscher heute immer noch über den exakten Mechanismus, wie Zellen zum Opfer ihres eigenen Immunsystems werden, wie die Toleranz abgeschaltet wird. Bei zwei Hypothesen steht eine Störung des programmierte Zelltods, Apoptose, im Mittelpunkt. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten der Theorien.
Der eine Erklärungsansatz geht von einer verminderten Apoptose im Thymus aus. Im gesunden Immunsystem werden autoreaktive T-Zellen im Thymus aussortiert und mittels Apoptose eliminiert. Bei geringer apoptotischen Aktivität funktioniert die Elimination nicht mehr einwandfrei. Einige autoreaktive Zellen entgehen der Qualitätsentkontrolle und gelangen in andere Teile des Körpers.
Anhänger der zweiten Theorie vermuten dagegen eine erhöhte Apoptoseaktivität.
Dadurch entstehen in den betroffenen Regionen des Körpers große Mengen an apoptotischen
Autoantigenen, die vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Die Zellen, die diese
Autoantigene auf der Oberfläche tragen werden vom Immunsystem angegriffen.
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