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Bei neuen Arzneistoffen die Spreu vom Weizen trennen

02.06.2003  00:00 Uhr
Pharmacon Meran 2003

Bei neuen Arzneistoffen die Spreu vom Weizen trennen

Von den 27 neuen Arzneistoffen, die im letzten Jahr auf den deutschen Markt kamen, können nur vier als echte Innovationen eingestuft werden. Dazu zählte Professor Dr. Hartmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, in Meran die Stoffe Anakinra, Bosentan, Caspofungin und Ezetimib. Insgesamt stellte er zwölf Wirkstoffe vor.

Eine neue Option für Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) bietet der rekombinante humane Interleukin-(IL)-1-Rezeptorantagonist Anakinra (Kineret®). Das proinflammatorische Zytokin IL-1 spielt eine zentrale Rolle bei der Zerstörung von Knorpel und Knochen sowie für Schwellung und Schmerzen im Gelenk. Im gesunden Gelenk verhindert ein endogener IL-1-Antagonist, dass IL-1 an seinen Rezeptor binden und seine zerstörerische Potenz entfalten kann. Diese Balance ist bei RA-Patienten gestört und soll durch das rekombinante Protein wieder hergestellt werden, erklärte Morck. Anakinra linderte bei täglicher subkutaner Injektion die Beschwerden und reduzierte Entzündungsparameter. Möglicherweise kann die Gelenkdestruktion sogar aufgehalten oder gebessert werden. Der Wirkstoff bietet – bei vergleichbar hohem Preis - eine Alternative zu Etanercept und Infliximab. Wegen Blutbildveränderungen wird die Kombination mit den TNF-a-Antagonisten Etanercept und Infliximab nicht empfohlen.

Einen ganz neuen Wirkmechanismus und erstmals eine gezielte Intervention bei der Pulmonalen Arteriellen Hypertonie (PAH) bietet Bosentan (Tracleer®). Der peroral verfügbare Wirkstoff blockiert spezifisch Endothelin-1-Rezeptoren vom Typ A und B auf Endothel- und glatten Muskelzellen. Das Peptid Endothelin vermittelt eine Dauervasokonstriktion, wodurch der Blutdruck im kleinen Kreislauf ansteigt. Außerdem kommt es zu entzündlichen Prozessen und einem Remodelling der Gefäße. Jährlich erkranken 120 bis 150 vor allem junge Menschen in Deutschland neu an PAH. Die seltene Krankheit führt innerhalb weniger Jahre zum Tod. Bosentan konnte in zwei Studien die körperliche Belastbarkeit der Patienten deutlich erhöhen und die Dyspnöe reduzieren. In den vorliegenden Studien konnte noch keine Lebensverlängerung durch das Orphan drug nachgewiesen werden, bemerkte Morck. Dazu seien Langzeitstudien notwendig, die zurzeit laufen.

In eine neue Substanzgruppe ist Ezetimib (Ezetrol®) einzuordnen, das die Resorption von Nahrungscholesterol aus dem Darm hemmt. Dies geschieht vermutlich über die Blockade von Transportersystemen in der Darmwand. Da Ezetimib und sein Glucuronid einem enterohepatischen Kreislauf unterliegen, können beide Verbindungen hier mehrfach angreifen. Mit einer Monotherapie kann man die LDL-Spiegel allerdings nur um etwa 17 Prozent senken. Dieser mäßige Effekt ist leicht verständlich: Die endogene Cholesterolsynthese, die etwa zwei Drittel zum Gesamtpool beisteuert, wird nicht beeinflusst. Der eigentliche Vorteil dürfte in der Kombination mit einem CSE-Hemmer liegen, der dann sehr niedrig dosiert wird. Welchen Stellenwert Ezetimib in der Langzeittherapie von Lipidstörungen haben wird, bleibt laut Morck abzuwarten.

Für schwer kranke Patienten mit invasiver Aspergillus-Infektion ist Caspofungin (Caspofungin MSD®) zugelassen. Eine Indikationserweiterung auf Candidosen steht bevor. Das halbsynthetische Lipopeptid (Echinocandin) blockiert die Synthese von Glucanen, die Hauptbestandteil der Pilzzellwand sind. Da Glucane in Säugetierzellen nicht vorkommen, beschädigt das Antimykotikum menschliche Zellwände nicht. Die Arzneistofflösung wird einmal täglich infundiert und kann mit Azolen kombiniert werden.

Ein Antimykotikum, das auf den ersten Blick wie ein Me-too-Produkt zu Fluconazol erscheint, bietet tatsächlich neue Chancen. Voriconazol (Vfend®) ist zugelassen zur Behandlung Fluconazol-resistenter, invasiver Candida-Infektionen sowie bei Aspergillosen und anderen Pilzinfektionen. Da der Wirkstoff therapeutische Konzentrationen im Liquor erreicht, kann damit erstmals eine Mykose im ZNS bekämpft werden. In Kasuistiken überlebte die Hälfte der Patienten die dramatische Infektion.

Einen gewissen Fortschritt gegenüber dem ersten Neuraminidase-Hemmer Zanamivir bringt das peroral verfügbare Oseltamivir (Tamiflu®), das auch für Kinder und zur Prophylaxe einer Influenza-Infektion zugelassen ist. Morck dämpfte überzogene Erwartungen: Das Mittel wirkt nur bei sehr frühem Einsatz und kann eine Infektion nicht verhindern. Da es nur die Ausbreitung neu gebildeter Viren stoppen kann, müsse man korrekt von einer „Postinfektionsprophylaxe“ sprechen. Wichtig: Beide Wirkstoffe können eine Grippe-Impfung nicht ersetzen.

Viel versprechend erscheint Fondaparinux-Natrium (Arixtra®), ein chemisch definiertes Pentasaccharid, das selektiv Antithrombin-III blockiert und damit Thrombinbildung und Thrombuswachstum blockiert. Auf Grund der langen Halbwertszeit wird es nur einmal täglich gespritzt. Postoperativ darf man es frühestens nach sechs Stunden geben, da sonst die Blutungsgefahr höher ist als bei Heparinen.

Ein unspektakuläres Molekül bereichert die photodynamische Therapie von aktinischen Keratosen sowie oberflächlichen Basaliomen. Methyl-(5-amino-4-oxopentanoat), kurz MALA (Metvix®), wird auf die Läsion aufgetragen und dort zu ALA gespalten, das in Porphyrine eingebaut wird. Das entstehende Protoporphyrin IX ist ein starker Photosensibilisator, was man bei der anschließenden Bestrahlung nutzt. Bei der ersten Sitzung gingen 68 Prozent, bei der zweiten 90 Prozent der Keratosen in eine komplette Remission über.

Keine Fortschritte bringen nach Morcks Einschätzung das nicht steroidale Antirheumatikum Oxaprozin, der injizierbare COX-2-Inhibitor Parecoxib und das Migränemedikament Eletriptan. Frovatriptan bietet außer der geringeren Rate an Wiederkehrkopfschmerz auch keine deutlichen Vorteile gegenüber bisherigen Triptanen.

 

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