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Die Risiken der Krebsfrüherkennung

15.09.2003  00:00 Uhr

Die Risiken der Krebsfrüherkennung

von Gudrun Heyn, Berlin

Massenuntersuchungen der Bevölkerung sind nützlich, so lautet die allgemeine Einschätzung zur Krebsfrüherkennung. Doch was bringen die Untersuchungen wirklich? Auf dem vierten Kongress der European Federation of Internal Medicine (EFIM) sprachen sich Internisten dafür aus, derzeitige Screening-Verfahren noch einmal zu überdenken.

„Über die Risiken einer Krebsfrüherkennung wird kaum gesprochen“, sagte Professor Dr. Jürgen Windeler vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, Essen. Sicher ist, dass Fehlklassifikationen auftreten. Falsch positive wie auch falsch negative Diagnosen sind möglich.

Zweifellos ist etwa ein positives Mammogramm keine gute Nachricht. Doch die Mehrzahl der Frauen, bei denen der Test positiv ausfällt, hat gar keinen Brustkrebs. Dies legen jedenfalls die statistischen Daten nahe, die Professor Dr. Peter Gotzsche vom Cochrane Zentrum in Kopenhagen vor den Kongressteilnehmern aus 48 Ländern in Berlin vorstellte. Er betonte, dass von 1000 untersuchten Frauen durch die rechtzeitige Diagnose nur bei einer der Krebstod verhindert werden kann. Jedoch hätten fünf weitere eine überflüssige Krebsdiagnose, drei eine überflüssige Tumorektomie und zweien würde unnötigerweise die Brust abgenommen. Zudem würden über hundert Frauen bedeutende psychische Qualen erleiden.

Zudem bergen die Früherkennungsuntersuchungen selbst Risiken. So kann zum Beispiel eine Endoskopie gesundheitliche Folgen haben. Hinzu kommen die Risiken, die sich durch die Behandlung ergeben. „Ein gesundheitlicher Nutzen für den Patienten ist hingegen nur möglich“, betonte Windeler.

Prognose unverändert

Das Hauptargument der Kritiker an den praktizierten Screening-Verfahren ist, dass sich die Prognose für den Patienten nicht ändert. Egal ob eine Krebserkrankung zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert oder durch Früherkennung bekannt wird, die Überlebenszeit des einzelnen Menschen bleibt gleich. „Früherkennung heißt nicht länger leben, sondern länger Leben mit dem Wissen um Krebs“, sagte der Kongresspräsident der EFIM Professor Dr. Johannes Köbberling vom Zentrum für Innere Medizin der Kliniken St. Antonius in Wuppertal.

Speziell das Wissen um die Möglichkeit einer Überdiagnose bereitet den Internisten Sorge. Überdiagnose bedeutet die Identifikation eines Karzinoms bei Patienten, die ohne Screening niemals in ihrem Leben davon erfahren hätten, niemals davon beeinträchtigt gewesen wären und an dem Tumor nicht verstorben wären.

Bekannt ist dies etwa vom Neuroblastom. Bei dieser bösartigen Krebserkrankung im Kindesalter kommt es häufig zu Spontanremissionen. In internationalen Studien stellten sich die Folgen einer frühzeitigen Behandlung als viel gravierender heraus als der Nutzen der Maßnahme.

Reif für die Vorsorge?

Bekannt ist Überdiagnose auch beim Melanom. Oft werden bei der Krebs-Früherkennung prämaligne, das heißt noch nicht bösartige Stadien erfasst. Überdiagnose gibt es aber auch beim Prostatakarzinom. Etwa die Hälfte aller Tumoren, die bei Männern im Alter zwischen 55 und 67 Jahren durch ein jährliches PSA-Screening entdeckt werden, führen unentdeckt nicht zum Tode. „PSA-Screening ist wie russisches Roulett“, sagte Professor Dr. Fritz H. Schröder von der Erasmus Universität in Rotterdam. Erst im Oktober sollen die Ergebnisse der europäischen Prostata-Studie ERSPC veröffentlicht werden, von der sich die Mediziner mehr Klarheit versprechen. „Im Moment wissen wir nicht einmal welche Methode das beste Testverfahren ist, welches Alter die Männer haben sollen und wo der richtige Cut-Off-Wert des PSA-Tests liegt“, betonte Schröder. „Screening-Verfahren sind momentan noch nicht reif für die Gesundheitsfürsorge.“

Beim Prostatakarzinom ist die präklinische Phase besonders lang. In Hochrisikogruppen kann jedoch eine radikale Prostatektomie das Überleben verlängern und die Metastasenbildung verhindern oder reduzieren.

In der Konsequenz sei es daher wichtig, „für zukünftige Untersuchungsverfahren die Risikogruppen genau zu kennen“, meinte Köbberling. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese herauszuarbeiten. Nur so verlieren die Aussagen „Krebs-Screening schadet“ und „für die Nützlichkeit eines Krebs-Screenings in der gesunden Bevölkerung gibt es keine positive Evidenz„ ihre Berechtigung. Top

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