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Molekulare Ursachen inzwischen bekannt

30.06.2003  00:00 Uhr
Zystennieren

Molekulare Ursachen inzwischen bekannt

von Gudrun Heyn, Berlin

Seit den 80er-Jahren sind Forscher den molekulargenetischen Ursachen der polyzystischen Nierendegenration auf der Spur. Heute ist der Krankheitsmechanismus der autosomal dominanten Erkrankung weitgehend entschlüsselt.

„Wir kennen inzwischen nicht nur die verantwortlichen Gene, sondern auch die in den Zellen ablaufenden Prozesse“, sagte Professor Dr. Jared Grantham von der University of Kansas, USA auf dem Weltkongress für Nierenheilkunde 2003 in Berlin. Zystennieren beruhen auf einem Gendefekt und sind monogen vererblich. 25 Prozent der Kranken haben ihre Zystennieren allerdings durch Spontanmutationen erworben. Die Gene PKD1, PKD2 (PKD = Polycystic Kidney Disease) und PKHD1 liegen nicht auf den Geschlechtschromosomen, sondern wurden im autosomalen Bereich des Chromosomensatzes identifiziert. Daher wird die Erkrankung auch nicht geschlechtsspezifisch weitergegeben.

Während ein Defekt in den Genen PKD1 oder PKD2 dominant vererbt wird (Autosomal Dominant Polycystic Kidney Disease, ADPKD), wird die rezessive Form der Krankheit durch einen Defekt im PKHD1-Gen ausgelöst. „Dies ist allerdings sehr selten“, sagte Grantham. Vornehmlich sind davon kleine Kinder betroffen.

In der Regel wird eine Zystenniere erst entdeckt, wenn die Menschen bereits 40 oder 50 Jahre alt sind. Dann treten Bluthochdruck, Blut im Urin, Bauchschmerzen oder erste Zeichen des Nierenversagens auf. Die Zysten sind jedoch schon von Geburt an als Mikrozysten vorhanden. Der Krankheitsprozess beginnt im Mutterleib. Die Nephrone als kleinste funktionelle Einheiten der Niere, die der Harnbildung und Harnkonzentration dienen, werden durch Zysten verdrängt. Es sind Hunderte zunächst kleiner, flüssigkeitsgefüllter Aussackungen im Nierengewebe. Im Laufe der Krankheit werden sie immer größer bis sie schließlich auch das noch verbliebene normale Nierengewebe verdrängen. Es kommt zur Niereninsuffizienz und zur Urämie. Immer sind beide Nieren betroffen. Zysten können außerdem in der Bauchspeicheldrüse, in der Leber und im Gehirn auftreten. „Es ist eine Systemerkrankung, die ihre schlimmsten Auswirkungen in den Nieren hat“, sagte Grantham. Eigentlich handele es sich dabei um gutartige Tumore, die nicht mit Zellen, sondern mit Flüssigkeit gefüllt sind und die keine Tochtergeschwülste ansiedeln.

Calciumeinstrom

In Deutschland sind etwa 80.000 Menschen, weltweit annähernd 12 Millionen von autosomal dominanten Zystennieren betroffen. Durch die Kenntnis der Gene ist nun prinzipiell eine Diagnosestellung auf molekularer Ebene möglich, ebenso wie eine Therapieanpassung, denn je nach mutiertem Gen sind in der Regel auch Unterschiede im Krankheitsverlauf festzustellen.

Inzwischen ist der molekularbiologische Krankheitsmechanismus von ADPKD weitgehend entschlüsselt. Die Gene PKD1 und PKD2 codieren für die Proteine Polycystin-1 und Polycystin-2. Die beiden relativ großen Proteine können in den meisten Zellen des Körpers nachgewiesen werden. Dabei findet sich Polycystin-1 in den Zellmembranen. Polycystin-2 ist sowohl in den Zellmembranen als auch im Endoplasmatischen Retikulum nachweisbar. In der Niere sitzen die Proteine auf so genannten Cilien, die antennenartig von den Tubuluszellen ins Innere des Röhrensystems ragen. Die Cilien detektieren die Veränderungen der Durchflussrate und die Zusammensetzung des Urins. Über calciumvermittelte Signale geben sie diese Informationen an andere Strukturen der Zelle weiter. Bei mutierten Polycystinen ist dieser Informationsfluss gestört.

Durch die Interaktion beider Proteine kommt es zur Freisetzung von Calcium aus Speichern innerhalb der Zelle sowie zum Einstrom von Calcium aus dem Blut in die Zellen. Sobald Calcium ins Zellinnere gelangt, beeinflusst es die Aktivität anderer Enzyme, wodurch die Zelle verwundbarer und empfänglicher für zahlreiche unterschiedliche Wachstumsreize wird.

Dennoch löst nicht jede Mutation in den codierenden Genen diesen Mechanismus aus. Außerdem verursachen die genetischen Veränderungen, die zur Erkrankung führen, offenbar in nur wenigen Zellen krankhafte Zustände. Der exakte Auslöser für die Wechselwirkungen beider Proteine und der Calciumfreisetzung ist noch nicht eindeutig identifiziert. Grantham vermutet hier die Stimulation über externe Reize.

Zellteilung wird angeregt

Bei Mutationen des PKD1- oder PKD2-Gens sind auch die wachstumsregulierenden Prozesse der Zellen krankhaft verändert. Normalerweise hemmt cyclisches AMP als Botenstoff das Wachstum der Epithelzellen in der Niere. Ist jedoch ein Polycystin mutiert, so wirkt AMP stark wachstumssteigernd. Über die Aktivierung der so genannten Mitogen-aktivierenden-Proteinkinase (MAPK) setzt es eine Kaskade von Signalen in Gang und löst damit eine ungewöhnlich hohe Zellteilungsrate aus. „Außerdem kann eben dieses zyklische AMP auch die Transportrichtung von Chloridionen umkehren und dadurch die Sekretion von Flüssigkeit in die Zysten stimulieren“, sagte Grantham. Die Größenzunahme der flüssigkeitsgefüllten Zysten wird also durch zwei verschiedene Mechanismen induziert, die Wachstumsstimulation und die Ansammlung von Flüssigkeit.

Für die Zukunft sagt der amerikanische Wissenschaftler die Existenz von Designer-Molekülen voraus, die die, von zyklischem AMP und von MAPK ausgelösten Kaskaden hemmen. „In den nächsten zehn Jahren wird es soweit sein“, sagte Grantham. Für seine hervorragenden Arbeiten zur Behandlung der polyzystischen Nierenerkrankungen wurde Professor Grantham auf dem World Congress of Nephrology 2003 mit dem Lillian Jean Kaplan International Prize for Advancement in the Understanding of Polycystic Kidney Disease ausgezeichnet. Top

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