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1500 Kinder kommen pro Jahr mit Schäden zur Welt

07.05.2001  00:00 Uhr
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite Toxoplasmose.

TOXOPLASMOSE

1500 Kinder kommen pro Jahr mit Schäden zur Welt

von Ulrike Wagner, Leipzig

In Deutschland hat sich etwa jeder Zweite irgendwann mit Toxoplasma gondii infiziert. Eigentlich unproblematisch, denn die Infektion verläuft meist symptomlos. Der Parasit ruht anschließend in Zysten im Gehirn oder in quergestreiften Muskeln und verursacht zumindest bei Menschen mit intaktem Immunsystem keine Beschwerden. Infiziert sich jedoch eine schwangere Frau, kann dies beim Neugeborenen zu schweren Fehlbildungen wie Wasserkopf und Erblinden führen. Über die Toxoplasmose informierten Experten während des 6. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin am 5. Mai in Leipzig.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) habe seit zehn Jahren versucht, ein Toxoplasmose-Screening in der Schwangerschaft zu etablieren. "Das ist aus politischen Gründen nicht geglückt", bedauerte Professor Dr. Klaus Friese von der Universitätsfrauenklinik Rostock, Mitglied der Kommission Toxoplasmose und Schwangerschaft am RKI. In den neuen Bundesländern war ein solches Screening zu DDR-Zeiten Routine. Nach Schätzungen des RKI kommt es pro Jahr zu 1500 Schädigungen durch pränatale Infektionen mit Toxoplasma gondii. Laut Bundesseuchengesetz ist die Toxoplasmose meldepflichtig.

Die Krankenkassen zahlen heutzutage den Test nur dann, wenn der Arzt einen begründeten Verdacht auf Toxoplasmose hat. Besteht der Verdacht nicht, kann die Schwangere die Untersuchung vom Arzt zwar fordern, die Kosten muss sie jedoch selbst tragen. Friese empfahl eine Untersuchung zu Beginn der Schwangerschaft, danach Kontrollen nach acht bis zwölf Wochen.

Das Screening kann jedoch auch negative Folgen haben, gab Privatdozent Dr. Lothar Schrod von der Kinderklinik der Städtischen Klinken in Frankfurt/Höchst zu bedenken. In Frankreich gebe es seit 1978 ein Screening-Programm, das nach dem Auftreten Toxoplasma-spezifischer Antikörper monatliche Kontrollen vorsieht. Es sei dort häufig zu Schwangerschaftsabbrüchen gekommen, ohne dass das Ungeborene tatsächlich infiziert war.

Katzenkot und rohes Fleisch

Der eigentliche Endwirt von Toxoplasma gondii ist die Katze. Nur dort findet die sexuelle Vermehrung des Parasiten statt. Die Infektion des Menschen erfolgt auf zwei Wegen. Katzen scheiden über ihren Kot Oozysten aus, die der Mensch vor allem über Garten- oder Ackerboden peroral aufnehmen kann. Die zweite Möglichkeit, sich zu infizieren, ist der Verzehr von rohem oder ungenügend gekochtem Fleisch, vor allem von Schwein und Schaf, erklärte Privatdozent Dr. Oliver Liesenfeld vom Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin.

Nur selten führt eine Infektion mit Toxoplasma gondii zur Erkrankung, der Toxoplasmose. Dabei können Fieber, Müdigkeit, Mattigkeit, Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen sowie gelegentlich Durchfälle auftreten. Bei Immunsupprimierten - zum Beispiel nach einer Organtransplantation - verläuft die Erstinfektion jedoch häufig tödlich. Bei HIV-Patienten kommt es oft zur Reaktivierung der Zysten im Gewebe, am häufigsten ist hier das Gehirn betroffen.

Hat sich eine Schwangere bereits vor der Schwangerschaft infiziert, droht ihrem Kind keine Gefahr. Denn die Immunität der Mutter schützt auch das Ungeborene. Problematisch ist die Infektion während der Schwangerschaft. Je früher sich die Frau infiziert, desto seltener wird der Erreger auf das Ungeborene übertragen. Wenn dies allerdings geschieht - im ersten Trimenon bei etwa 15 Prozent der Infektionen - sind die Folgen besonders schwer, erklärte Liesenfeld. Im dritten Trimenon ist die Infektionsrate mit etwa 60 Prozent wesentlich höher, durch den deutlich erhöhten Blutfluss über die Plazenta. Aber zu diesem Zeitpunkt richtet der Erreger meist nicht mehr ganz so großen Schaden an.

Spätschäden möglich

Auch wenn das Neugeborene zunächst völlig gesund erscheint, können sich nach vielen Monaten oder Jahren Schäden einstellen, die besonders das Zentralnervensystem und die Augen betreffen. Die Kinder bleiben dann geistig zurück oder erblinden.

Bei Schwangeren ist wichtig, herauszufinden, ob sie sich während der Schwangerschaft infiziert haben oder die Infektion bereits davor erfolgte und damit keine Gefahr für das Ungeborene besteht. Hat die Patientin sich erst nach Beginn der Schwangerschaft infiziert, ist eine medikamentöse Therapie möglich, um zu verhindern, dass sich das Ungeborene mit den Parasiten infiziert.

Für die Diagnostik stehen drei verschiedene Methoden zur Verfügung: der Antikörper-Nachweis, die Polymeraseketten-Reaktion (PCR) und die Histologie. Der Antikörpernachweis auf spezifische IgG-Antikörper liefert nur die Information, ob die Schwangere in Kontakt mit dem Parasiten gekommen ist. Wann dieser Kontakt erfolgte, ob vor oder während der Schwangerschaft, lässt sich mit diesem Test nicht klären. Die Aussagekraft des Tests ist bei positivem Ergebnis somit begrenzt. Fällt die Untersuchung jedoch negativ aus, ist die Schwangere tatsächlich noch nicht mit dem Parasiten in Kontakt gekommen und sollte sich vor einer Infektion mit Toxoplasma gondii schützen (siehe Kasten). Außerdem sollte im Abstand von acht bis maximal zwölf Wochen bis zum Ende der Schwangerschaft kontrolliert werden, ob sie sich infiziert hat.

Schwierige Diagnostik

Fällt ein IgG-Test positiv aus, können zusätzliche Untersuchungen Informationen über den Zeitpunkt der Infektion liefern. So lässt sich zum Beispiel das Verhältnis von Toxoplasma-spezifischen IgM-Antikörpern, die früh in der Infektion auftreten, zu IgG-Antikörpern, die später auftreten, bestimmen. Aber auch hier sind die Tests nur bei einem negativen Ergebnis aussagekräftig. Denn dann liegt die Infektion wahrscheinlich lange zurück, und für das Ungeborene besteht keine Gefahr. Ist der IgM-Nachweis positiv, so kann die Infektion trotzdem bereits vor der Schwangerschaft erfolgt sein, da diese Antikörper bis zu einem Jahr im Körper zirkulieren, erklärte Liesenfeld.

Eine Möglichkeit, den Zeitpunkt der Infektion dann weiter einzugrenzen, ist, die Affinität der Antikörper zu ihrem Antigen (Avidität) zu bestimmen, erklärte Liesenfeld. Zu Beginn der Infektion binden die körpereigenen Antikörper nicht sehr gut an Toxoplasma-Antigen. Das ändert sich mit der Zeit: Die Avidität steigt. Eine hohe Avidität schließt damit eine frische Infektion aus. Aber auch hier hat nur dieses Ergebnis Aussagekraft. Denn ist die Avidität niedrig, spricht dies umgekehrt nicht unbedingt für eine frische Infektion, denn die dafür verantwortlichen Antikörper können ebenfalls lange im Blut zirkulieren.

Ist das Ergebnis dadurch immer noch unklar, empfiehlt Liesenfeld den Erregernachweis über PCR kombiniert mit engmaschigen Ultraschallkontrollen und sorgfältigen Untersuchungen des Neugeborenen nach der Geburt. Eine Infektion mit Toxoplasma gondii hat nicht automatisch Schäden zur Folge. "Bis zu 85 Prozent der Neugeborenen kommen ohne Symptome auf die Welt." Hat das Kind Antikörper gegen Toxoplasma gondii, sollten die Titer regelmäßig kontrolliert werden. Entwarnung könne man geben, wenn die Antikörperspiegel sinken. Erst wenn Symptome auftreten, sollten weitere diagnostische Methoden zum Einsatz kommen wie die Spiegelung des Augenhintergrundes und eine Computertomographie.

Therapie

Friese und Schrod plädierten für die medikamentöse Therapie der Schwangeren, auch wenn einige Studien Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Behandlung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich wirksam ist. Friese zitierte eine Brüsseler Studie, nach der die in der Schwangerschaft behandelten Kinder seltener unter Komplikationen litten als die unbehandelten. Und auch Schrod präsentierte Daten, die auf die Notwendigkeit der pränatalen Behandlung hinweisen.

Das RKI empfiehlt zur Therapie während der Schwangerschaft bis zum Ende der 15. Schwangerschaftswoche 3 g Spiramycin pro Tag in drei Teildosen, auch wenn die Experten sich einig waren, dass dieses Medikament eigentlich nur zweite Wahl ist, da es die Plazenta kaum überwindet. Anschließend folgt die vierwöchige Therapie mit einer Kombination aus Sulfadiazin, Pyrimethamin und Folinsäure. Friese empfahl in der 17. bis 20. Schwangerschaftswoche eine Fruchtwasseruntersuchung auf die Parasiten mit PCR. Zuvor sollte eine einwöchige Therapiepause eingelegt werden. Ist die PCR negativ, behandelt Friese die Frauen nicht weiter; ist sie positiv, wird die Therapie bis zum Ende der Schwangerschaft fortgesetzt.

Dieselbe Kombinationstherapie erhalten Neugeborene bei gesicherter, wahrscheinlicher oder möglicher pränataler Infektion. Zusätzlich kommen Corticosteroide zum Einsatz, wenn zentralnervöse Symptome oder Schäden an den Augen bereits nachweisbar sind.

Und wie steht es um eine Impfung? Ein inaktivierter Impfstoff für Tiere ist bereits seit längerem auf dem Markt. "Für den Menschen ist derzeit nichts in der Pipeline", sagte Liesenfeld.

 

Wie schützt man sich vor einer Infektion mit Toxoplasmen?

Kein rohes oder nicht völlig durchgekochtes oder durchgebratenes Fleisch essen. 20-minütiges Erhitzen auf mindestens 50 Grad Celsius tötet die Parasiten ab. Schwangere sollten darauf achten, dass Fleisch auch im Kern genügend erhitzt wurde und seine rote Fleischfarbe verloren hat. Sicher sind auch alle gepökelten Rohdauerwaren, zum Beispiel roher Schinken und Salami.

Rohes Gemüse und Früchte vor dem Verzehr waschen.

Die Hände nach dem Zubereiten von rohem Fleisch, nach Garten-, Feld- oder anderen Erdarbeiten, nach dem Besuch von Sandspielplätzen und vor dem Essen mit Seife und Bürste waschen.

Wird eine Katze gehalten, so muss sie nicht aus der Umgebung der Schwangeren entfernt werden. Das Tier sollte sich dann jedoch ausschließlich im Haus aufhalten und mit Dosen- oder Trockenfutter ernährt werden. Das Katzenklo sollte eine andere Person täglich mit heißem Wasser reinigen.

 

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