Rätselhafte Lungenkrankheit |
17.03.2003 00:00 Uhr |
„Wir sind sicher, dass es SARS ist“, sagte der Leiter der Frankfurter Isolierstation, Hans-Reinhard Brodt, am Dienstag. Der Arzt aus Singapur habe alle von der Weltgesundheitsorganisation angegebenen Symptome für die Erkrankung, die von einem bislang unbekannten Erreger verursacht wird. Er war während eines Zwischenstopps seines Fluges von New York nach Singapur am Frankfurter Flughafen angekommen und wurde wegen seiner schweren Erkrankung in die Frankfurter Isolierstation eingeliefert. In Singapur hatte er Kontakt zu an SARS erkrankten Patienten, die er ohne Mundschutz behandelte. Inzwischen lägen auch „charakteristische Laborbefunde“ vor.
Von November 2002 bis Februar 2003 waren nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) in der Provinz Guandong in China etwa 300 Menschen an Atemwegserkrankungen und Lungenentzündung erkrankt, deren Ursache nicht identifiziert werden konnte. Ob diese Erkrankungswelle etwas mit dem jetzigen Atemwegssyndrom zu tun hat, ist nicht bekannt. Seit zwei Wochen sind ähnliche Erkrankungen vor allem bei Krankenhauspersonal in Hongkong und Vietnam aufgetreten. In den vergangenen Tagen meldeten auch andere Länder wie Taiwan und Kanada ähnliche Erkrankungen, wobei die Patienten aber weder vorher im fernen Osten waren oder mit einem an dem Syndrom erkrankten Menschen Kontakt hatten, der sich vor der Erkrankung in den betroffenen Ländern Asiens aufgehalten hatte. Bislang konnte noch keine Ursache dieser Erkrankungen gefunden werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sprach von rund 170 Infektions- und vier Todesfällen weltweit. Sie schätzt die Krankheit als weltweite Bedrohung ein und rät vor allem Asien-Reisenden, auf Anzeichen wie Fieber, Muskelschmerzen, Heiserkeit, Atemnot und Husten zu achten. Die Organisation sieht aber keinen Anlass, Reisebeschränkungen nach Asien zu empfehlen. SARS sei nur in direktem Kontakt übertragbar. Das würde erklären, warum bislang nur medizinisches Personal und engste Angehörige erkrankten. Auch Privatdozent Dr. Tomas Jelinek, Leiter des Instituts für Tropenmedizin der Humboldt-Universität Berlin, sieht keine größere Gefahr für die Bevölkerung, sich zum Beispiel bei der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln anzustecken. Wahrscheinlich verbreitet sich der Erreger über Tröpfcheninfektion. Erschwerend kommt hinzu, dass sich in Asien derzeit auch eine Grippewelle ausbreitet, so dass es sich bei den Symptomen auch um eine weniger gefährliche Grippe handeln kann.
Falldefinition SARS
Quelle: RKI
Seit der Nacht zum Dienstag liegt auch die schwangere Frau des Arztes aus Singapur in Frankfurt auf der Isolierstation. Am Montag hatte sie zunächst Fieber bekommen und dann weitere Symptome gezeigt. Wegen ihrer Schwangerschaft in der 13. Woche sei sie besonders schwer zu behandeln, sagte Brodt. Ihr Mann hatte am Dienstag erstmals kein Fieber mehr und wird die Krankheit nach Einschätzung seiner Ärzte überstehen. Die Schwiegermutter des Patienten war am Dienstag ebenfalls auf dem Weg der Besserung. Bei ihr sei nicht sicher, ob sie überhaupt mit dem SARS-Erreger infiziert worden sei.
Um eine mögliche Weiterverbreitung zu verhindern beziehungsweise frühzeitig zu erkennen, sind die in Deutschland lebenden Passagiere vom zuständigen Gesundheitsamt in Frankfurt angewiesen worden, keine öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen und vorläufig ihre Wohnung nicht zu verlassen. Bei Auftreten von Atemwegserkrankungen oder Fieber sollen sie das örtliche Gesundheitsamt verständigen. Die Passagiere mit anderen ausländischen Zielorten sind nach Rücksprache mit den Behörden der Zielländer inzwischen weitergeflogen.
Der mit Verdacht auf SARS in der Seuchenstation des Berliner Virchow-Klinikums Berlin liegende Patient wird weiter untersucht. Er leide unter hohem Fieber, Halsschmerzen und Husten, teilte das Virchow-Klinikum mit. Eine Infektion sei sehr wahrscheinlich, sagte der leitende Arzt Professor Dr. Norbert Suttorp. Der 28-jährige Berliner hatte sich neun Tage in Shanghai aufgehalten. Nach bisherigen Erkenntnissen handele es sich nicht um einen dramatischen Fall, betonte die Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung, Roswitha Steinbrenner. Der Patient befindet sich nach Angaben der Ärzte in gutem Zustand, der Verlauf der Erkrankung sei milde. Das Röntgenbild zeige keinerlei Zeichen einer viralen Lungenentzündung, trotzdem entsprechen die Symptome denen des SARS. In Sachsen gaben Mediziner Entwarnung. Weder die Verdachtsfälle in Leipzig noch der in Dresden hätten sich bestätigt.
Paramyxoviren unter Verdacht
Bei dem Erreger kann es sich nach ersten Vermutungen der Frankfurter Ärzte um ein Virus aus der Gruppe der Paramyxoviren handeln. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem auch die Erreger von Masern, Mumps und Hundestaupe sowie der einer Lungenentzündung bei Mäusen. „Wir wissen, dass Paramyxoviren Lungenkrankheiten verursachen können“ sagte Professor Dr. Hans-Wilhelm Doerr, Leiter der Virologie am Frankfurter Universitätsklinikum. Es handle sich zwar nur um einen Verdacht, „aber wir haben eine erste Spur aufgenommen.“ Dr. Walter Haas vom Robert-Koch-Institut vermutet hingegen eher einem dem Hühnergrippevirus ähnlichen Erreger. Auch Chlamydien sind als Ursache der Lungenentzündungen in der Diskussion.
Auch in den USA und Großbritannien sind Menschen möglicherweise an SARS erkrankt. Die Gesundheitsbehörde in Los Angeles gab am Montag einen Verdachtsfall bekannt. Der Zustand des Erkrankten wurde als nicht lebensgefährlich beschrieben. Nach Angaben der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) werden in den USA derzeit vier Verdachtsfälle auf SARS untersucht. Auch ein Brite, der am vergangenen Wochenende auf zwei Flügen Passagier der niederländischen Fluggesellschaft KLM war, ist möglicherweise an SARS erkrankt. Er liegt in einem Krankenhaus in Manchester. Er war von Hongkong nach Amsterdam und dann weiter nach Manchester geflogen. Die Möglichkeit, dass er andere Passagiere angesteckt haben könnte, sei aber gering, sagte ein KLM-Sprecher.
Mit einem Flugblatt informiert das hessische Sozialministerium
Fluggäste aus Asien über die Symptome der asiatischen Lungenentzündung.
Der signalgelbe Zettel werde an der Passkontrolle auf dem
Rhein-Main-Flughafen verteilt, kündigte das Ministerium am Dienstag in
Frankfurt an. „Wenn Sie innerhalb einer Woche nach Rückkehr aus oben
genannten Ländern grippeähnliche Beschwerden entwickeln, sollten Sie
Kontakt mit einem Arzt aufnehmen», heißt es dort. Die genannten Länder
sind China, Hongkong, Singapur, Thailand, Vietnam und auch Kanada.
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