Defibrillieren kann jeder |
01.10.2001 00:00 Uhr |
von Stephanie Czajka, Berlin
Ein/Aus - Shock: Zwei Tasten zu bedienen ist nicht schwer. Einen Defibrillator einzusetzen, kann einfacher sein, als an so manchem Automaten Fahrkarten zu kaufen. Moderne Geräte wurden so entwickelt, dass sie von Laien sicher bedient werden können. Der Grund: Steht plötzlich ein Herz still, muss Hilfe schneller kommen als die Feuerwehr. Beatmung und Herzdruckmassage sind besser als nichts, reichen allein aber nicht aus. Ein Symposium in Berlin beschäftigte sich vergangenen Samstag mit der Defibrillation durch Nicht-Ärzte. Verkehrsbetriebe oder Kaufhauskonzerne erwägen ebenso wie manche Apotheker, sich Defibrillatoren anzuschaffen.
Täglich sterben in Deutschland rund 250 Menschen am plötzlichen Herztod, einen von tausend trifft es pro Jahr. Zu 80 bis 90 Prozent ist Kammerflimmern die Ursache, also das "elektrische Chaos am Herzen", wie Dr. Richard Arntz vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin, formulierte. Das Herz pumpt so unkontrolliert, dass kein Blut weiter transportiert wird. Der Kreislaufstillstand führt in wenigen Minuten zum Tod, erhält der Patient nicht sofort Herzdruckmassage und Beatmung. Aber auch damit ist die Ursache des Kammerflimmerns nicht beseitigt, das gelingt nur durch Elektroschock-Behandlung (Defibrillation).
Die Effizienz der Defibrillation und damit die Überlebenschance sinkt pro verstrichener Minute um bis zu 10 Prozent. Nach neun Minuten sei der Patient schon fast nicht mehr zu retten, sagte Arntz. Ein Notarzt schafft es nur selten, früher zur Stelle zu sein. Wie also kann die Zeitspanne weiter verkürzt werden? "Es geht nur mit Laien", sagte Siegfried Steiger, Präsident der Björn-Steiger-Stiftung. "Wir brauchen Leute, die in den ersten drei Minuten vor Ort sind, Menschen also, die man nicht rufen muss."
Polizei vor Feuerwehr am Unfallort
Ist allerdings kein Defibrillator vorhanden, kann auch kein Ersthelfer oder Laie ihn einsetzen. In Deutschland gibt es ungefähr 5000 automatische Defibrillatoren. Deutlich zu wenig, fanden die Notfallmediziner. Aber wie und wo sollten Defibrillatoren am sinnvollsten deponiert werden? Die Frühdefibrillation durch nicht-ärztliche Rettungskräfte wie Feuerwehr gehört in Berlin bereits seit 1988 zur Routine. Jetzt wird überlegt, die Polizei mit Defibrillatoren auszustatten, da sie im Durchschnitt fünf Minuten vor der Feuerwehr am Unfallort eintrifft.
Eine holländische Studie mit Polizisten kam zu dem Ergebnis, dass 24 Prozent der Patienten die Herzattacke überlebten und aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten, während in der Kontrollgruppe nur 21 Prozent überlebten. Den nur geringen Unterschied führte Dr. Anouk van Alem vom Academic Medical Center der Universität Amsterdam vor allem darauf zurück, dass die Polizei in den Niederlanden nur zweieinhalb Minuten vor dem Krankenwagen eintrifft.
Wenn also um jede Minute gerungen wird, wäre die Hilfe durch Umstehende am schnellsten. Um das zu erreichen, sind Phantasie und Eigeninitiative kaum Grenzen gesetzt: In Las Vegas wurde das Wachpersonal von Spielcasinos, darunter einige Analphabeten, an Defibrillatoren ausgebildet. Über 70 Prozent der Patienten wurden gerettet, berichtete Arntz. In der Münchner U-Bahn hängen einige Defibrillatoren in verschlossenen Kästen. Wird der Notruf betätigt, kann von der Leitstelle aus ferngesteuert der Kasten geöffnet werden, erklärte Dr. Kai-Georg Kanz, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Auf den Infoscreens der Bahnsteige (Projektionsflächen für Werbung und Unterhaltung) werden die Geräte erklärt. Außerdem wurden Schaffner und Wachpersonal geschult. Vertreter der Berliner Siemenswerke und des KaDeWe (Kaufhaus des Westens) kündigten an, betriebseigene Geräte anzuschaffen und einen Teil der Mitarbeiter auszubilden. Der Münchner Oberbürgermeister, Dauerbesucher von Großveranstaltungen, hat einen automatischen Defibrillator in seinem Auto deponiert.
Defi in der Apotheke
Auch Apotheker machen sich über die Anschaffung von Defibrillatoren Gedanken, zum Beispiel der Arbeitskreis Gießener Apotheker - AGA. Albrecht Broemme, Chef der Berliner Feuerwehr, hielt dies für eine "großartige Idee". Das dichte Apotheken-Netz ermögliche eine breite Verteilung und das "hohe Qualitätsbewusstsein" der Apotheker garantiere die sichere Lagerung der Geräte. Kauften sich nur einzelne Apotheken einen Defibrillator, sei das allerdings nur für den eher seltenen Notfall in der Apotheke hilfreich, sagten Broemme und auch Arntz. "Sinnvoll wäre es", so Arntz, "wenn alle Apotheker einer Region mitziehen". Die unmittelbare Nachbarschaft, zum Beispiel in einem Einkaufszentrum, sollte dann entsprechend unterrichtet werden.
Die Frage nach der Schulungsdauer ist umstritten. Reicht es, nur die Bedienungsanleitung zu lesen, oder braucht man, wie einige Rettungsdienste vorschlagen, acht Stunden Fortbildung? Der Mittelweg scheint richtig zu sein. "Der Korb darf nicht so hoch gehängt werden", warnte Arntz. Für Betriebe sind Schulungsstunden eine finanzielle Größe, Privatpersonen lassen sich leichter für einen Abend als für einen ganzen Tag Fortbildung gewinnen. Münchner Feuerwehrleute konnten einer Untersuchung von Kanz zufolge das Gerät nach einer Stunde Schulung ebenso gut bedienen wie nach vier Stunden.
Im Grunde stellt sich die Frage, wie viele Kenntnisse in Erster Hilfe zusätzlich vermittelt werden sollen. Letztlich hat die Schulung zudem den Zweck, dem Helfer die Angst vor dem Einsatz zu nehmen. Die Erfahrung zeige immer wieder, dass Helfer eher richtig als falsch handeln, sagte Broemme. Defibrillatoren sind den Experten zufolge absolut sicher. Sie erkennen zu 99,9 Prozent, wann kein Schock gegeben werden darf. Rechtlich besteht ebenfalls kein Grund, Defibrillatoren nicht in die Hände von Laien zu geben, auch wenn einige Ärzte das anders sehen. Kanz erhielt vom Bundesministerium des Inneren die Auskunft, dass Laien, die mit automatischen Defibrillatoren Nothilfe leisten durch die bestehende Rechtslage abgesichert sind.
Der Arzt im Kasten
Fällt ein Mensch plötzlich um, muss in jedem Fall als erstes der Rettungsdienst verständigt werden. Ist der Patient bewusstlos, atmet er nicht und sind Mund und Rachen frei, wird der Defibrillator angesetzt. Dazu werden zwei große Elektroden auf die nackte Brust geklebt, die Position ist auf jeder Elektrode aufgezeichnet. Die Elektroden sind bereits am Gerät befestigt, das Gerät wird angeschaltet und teilt dem Helfer über Sprachkommandos alle weiteren Schritte mit. Das bedeutet zunächst warten, bis der Computer analysiert hat, ob der Patient überhaupt defibrilliert werden kann. Bradykardie oder kompletter Herzstillstand sind nicht defibrillationsfähig.
Hat das Gerät Kammerflimmern erkannt, berechnet es die benötigte Stromstärke (unter anderem abhängig von der Dicke des Brustgewebes) und gibt dann den Befehl, den Schock auszulösen. Das geht aus Sicherheitsgründen nicht automatisch. Die Helfer müssen die Hände vom Patienten nehmen, um nicht selbst einen Stromschlag zu erleiden. Der Patient zuckt unter dem Schock, das ist nicht angenehm anzuschauen, aber normal.
Das Gerät prüft daraufhin erneut die Herzfrequenz und befiehlt bei Bedarf, einen weiteren Stromstoß auszulösen. Ungefähr nach drei Schocks wird das Gerät eine Pause mit Wiederbelebungsmaßnahmen fordern. Bestenfalls ist dann bereits der Rettungsdienst eingetroffen. Nicht defibrilliert werden darf in explosionsgefährdeten oder sehr feuchten Räumen (Schwimmbäder). Der gesamte Vorgang wird vom Gerät nachvollziehbar dokumentiert.
Moderne Geräte werden von manchen als halbautomatische, von anderen als automatische externe Defibrillatoren (AED) bezeichnet. Es gibt auch implantierbare Defibrillatoren für Risikopatienten. Dass ein Mensch im Vorfeld als Risikopatient erkannt werde, sei aber eher selten, sagte Arntz. 1956 wurde zum ersten Mal extern defibrilliert, die Defibrillatoren wurden seitdem immer kleiner und handlicher, nicht zuletzt weil so genannte biphasische Geräte (die Richtung des Stromflusses ändert sich während des Schocks) mit geringerer Stromstärke auskommen. Ein Koffer mit Defibrillator ist etwas dicker als ein mittlerer Laptop. Er kostet auf dem freien Markt ungefähr 5000 Mark (siehe Kasten).
Defibrillatoren im Sonderangebot Für 3200 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer kann jeder bei der Björn-Steiger-Stiftung einen automatischen Defibrillator kaufen. Der Preis liegt deutlich unter dem Marktwert. Abnahmegarantien und eine Ausfallbürgschaft von drei Millionen Mark ermöglichten der Stiftung, die Preise so stark zu senken. Voraussetzung ist, "dass nachgewiesen wird, dass ausgebildete Mitarbeiter für den Einsatz der Geräte zur Verfügung stehen", heißt es auf der Internet-Seite der Stiftung (www.steiger-stiftung.de). Mit der Aktion "Kampf dem Herztod" will die Stiftung in den kommenden Monaten "Behörden, Firmen, Institutionen und Vereine motivieren, Defibrillationsgeräte zu kaufen und Mitarbeiter ausbilden zu lassen".
Die Björn-Steiger-Stiftung ist der größte private Notrufträger Europas. Sie geht auf die Initiative des Stiftungspräsidenten zurück. Sein Sohn verblutete vor 30 Jahren nach einem Autounfall, weil die Rettungskräfte nicht schnell genug zur Unfallstelle kamen.
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