Ferien von der Therapie |
05.03.2001 00:00 Uhr |
HIV-INFEKTION
"Drug holidays" von der aggressiven antiretroviralen Therapie: Das ist ein Wunsch, den inzwischen viele HIV-Patienten äußern. Doch welche Auswirkungen haben Therapiepausen auf den Verlauf der Erkrankung? Experten sind sich bislang nicht darüber einig. Manche Ärzte wollen die Patienten während der Therapiepausen wenigstens beratend begleiten. "Denn viele setzen die Medikamente sowieso eigenständig ab." Pro und contra diskutierten Fachleute während einer Veranstaltung von GlaxoSmithKline.
Die HIV-Infektion entwickelt sich zumindest für Patienten in industrialisierten Staaten zu einer chronischen Erkrankung. Die neuen antiretroviralen Therapien halten das Virus unter Kontrolle, lassen die Titer bei vielen Patienten bis unter die Nachweisgrenze sinken. Zudem steigt die Zahl der CD4-Zellen, die ohne Behandlung vom Virus zerstört werden, unter antiretroviraler Therapie stetig an. Für die Patienten treten damit die Nebenwirkungen der Therapie stärker in den Vordergrund als die tödliche Infektion selbst, und sie äußern immer häufiger den Wunsch, ein Wochenende oder vier Wochen Urlaub ohne ständige Tabletteneinnahme zu verbringen.
Pro und contra
Die Meinungen der Experten dazu gehen weit auseinander. So lehnte Dr. Peter Löw vom Universitätsklinikum Erlangen/Nürnberg Therapiepausen bei chronisch infizierten Patienten, die die Therapie relativ gut vertragen, strikt ab. Dr. Hans Jäger aus München, glaubt hingegen nicht an Nachteile durch Therapiepausen. Er verspricht sich von den eingesparten Medikamenten weniger Nebenwirkungen und damit Vorteile für die Patienten.
Allerdings müssten die Therapiepausen strukturiert sein, das heißt die HIV-Infizierten sollten nur unter Kontrolle eines Arztes für einen definierten Zeitraum die Medikamente absetzen, auch unter Berücksichtigung der Halbwertszeiten einzelner Substanzen. Setzen die Patienten die Therapie einfach ab, wird das Virus mit geringen Mengen einzelner Wirkstoffe mit langer Halbwertszeit konfrontiert, gegen die es dann leicht Resistenzen entwickelt.
Wiedereinstieg fällt schwer
"Jede Therapiepause führt zu einem Verlust von CD4-Zellen und zu einem Anstieg der Viruslast", sagte Löw. Von einer HIV-spezifischen Immunantwort, wie sie während Therapiepausen oft auftritt, hält er nicht viel. Diese verschwinde nach einiger Zeit wieder. Zudem sei die Viruspopulation um so verschiedenartiger, je häufiger die Therapie zuvor umgestellt worden sei. "Eine solch diverse Viruspopulation ist schwierig vom Immunsystem zu kontrollieren", so Löw. Außerdem könnten sich durch Therapiepausen vermehrt Resistenzen bilden. Und ein weiteres Argument gegen Ferien von den Pillen: "Nach jeder Therapiepause tun sich die Patienten schwerer, wieder mit der Therapie zu beginnen."
Nebenwirkungen vermindern
"Therapiepausen bei chronisch infizierten Patienten sind sinnvoll", sagte hingegen Jäger. Ziel sei hier, Medikamente einzusparen. Wenn die Wirksamkeit der Therapie dann immer noch mit einer kontinuierlichen Medikation vergleichbar sei, wäre das ein Erfolg.
In den Pausen zeigten sich eindeutig positive Effekte auf den durch die Medikamente arg gebeutelten Stoffwechsel. Die unter der antiretroviralen Therapie oft deutlich erhöhten Lipidwerte sinken wieder, sogar über die Pause hinaus, sagte Jäger.
Er präsentierte Ergebnisse einer Studie, in der er 140 Patienten mit kontinuierlicher Therapie mit 110 Patienten verglich, die Therapiepausen eingelegt hatten. Innerhalb eines Jahres waren in beiden Gruppen keine Unterschiede bei den Aids-definierenden Erkrankungen aufgetreten. Während eines so kurzen Zeitraums kein Wunder, kritisierten seine Gegner. Und auch die Beobachtung, dass die Zahl der CD4-Zellen nicht im gleichen Maß anstieg wie unter kontinuierlicher Therapie, löste Kritik aus. Das könnte sich negativ auf den weiteren Verlauf der Erkrankung auswirken, sagte Dr. Schlomo Staszewski vom Universitätsklinikum in Frankfurt am Main.
Pause nur als letzte Alternative
Staszewski riet wie Löw von Therapiepausen bei Patienten mit medikamentös gut kontrollierter chronischer Infektion ab. Er sieht die einzige Indikation bei Patienten, die die kombinierten Medikamente wegen starker Nebenwirkungen nicht mehr vertragen und deren HI-Viren inzwischen multiresistent geworden sind. "Therapiepausen können bei diesen Patienten die Bedingungen für den erneuten Einsatz von Medikamenten schaffen", sagte er.
Staszewski zeigte Daten von HIV-Infizierten, die seit mehr als zehn Jahren unter teilweise völlig konzeptloser antiretroviraler Therapie standen. Die HI-Viren hatten inzwischen Resistenzen gegen fast alle Medikamentengruppen gebildet, und unter der Kombination von bis zu acht verschiedenen Substanzen litten die Patienten unter so starken Nebenwirkungen, dass die Ärzte die Therapie wegen der Toxizität absetzten, allerdings unter ständiger Kontrolle.
Während der Therapiepausen nahm die Zahl der CD4-Zellen zwar gefährlich stark ab, aber nach einiger Zeit hatten die Viren ohne den Selektionsdruck der Medikamente ihre Resistenzen verloren. Damit konnten wieder Medikamente eingesetzt werden, die zuvor ihre Wirkung verloren hatten. Inzwischen erhalten diese HIV-Infizierten einfache Therapien mit wenigen Medikamenten, zum Beispiel die Kombination aus zwei Protease-Inhibitoren. Allerdings müsse man die Viruslast bis unter die Nachweisgrenze reduzieren, sonst tauchten die Resistenzen wieder auf, sagte Staszewski. Er betonte, dass es sich hierbei um erste Versuche einer solchen Salvage-Therapie bei wenigen Patienten handele.
Späterer Therapiebeginn
Während noch vor zwei Jahren Fachleute dazu rieten, die antiretrovirale Therapie bereits ab 5.000 bis 10.000 Virus-RNA-Kopien pro Milliliter Blut zu starten, empfehlen Experten heute, später mit der Therapie zu beginnen. 30.000 RNA-Kopien pro Milliliter Blut und weniger als 350 CD4-Zellen sind heute die Werte, bei denen eine Therapie einsetzen sollte, erklärte Privatdozent Dr. Jürgen Rockstroh von der Universitätsklinik in Bonn.
Frauen und HIVDer Kinderwunsch von HIV-Infizierten ist immer häufiger Thema in der Praxis, sagte Dr. Annette Haberl vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Allein in Frankfurt seien seit Januar 1999 fast 70 HIV-positive Frauen schwanger geworden "und wöchentlich kommen mehr dazu".
Vor allem steige die Zahl der schwangeren Patientinnen, die "in einem katastrophalen immunologischen Zustand schwanger werden und dann HIV-positiv getestet werden", so Haberl. Bei den meisten dieser Frauen handele es sich um Migrantinnen. Auch heute noch komme es zur Übertragung des Virus von der Mutter auf das Kind, vor allem wenn die Frauen nicht in spezialisierten Zentren behandelt werden. Den Kinderwunsch sollten Ärzte bei HIV-Patientinnen frühzeitig ansprechen, um eine Schwangerschaft noch vor Beginn der anitretroviralen Therapie zu planen.
Haberl forderte, einen HIV-Test in der Schwangerschaft als Screening-Untersuchung. Frauenspezifische Forschung müsse stärker gefördert werden und Frauenthemen sollte mehr Raum gegeben werden, auch auf Konferenzen. "Eine Frau mit zwei kleinen Kindern kann nicht an Studien mit engmaschigen Kontrollen teilnehmen", mahnte Haberl.
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