Bildgebende Verfahren sollen erste Anzeichen entdecken |
02.12.2002 00:00 Uhr |
von Christina Hohmann, Frankfurt am Main
Jahrzehnte bevor sich die ersten klinischen Symptome bemerkbar machen, treten bereits krankhafte Veränderungen des Nervengewebes auf. Neue bildgebende Verfahren könnten in Zukunft diese biochemische Veränderungen sichtbar machen und somit helfen, die Pathophysiologie genauer aufzuklären und die Wirksamkeit neuer Antidementiva zu testen.
„Morbus Alzheimer stellt eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft dar“, erklärte Professor Dr. Heiko Braak vom Institut für Klinische Neuroanatomie, Frankfurt am Main, während eines Symposiums anlässlich der Berufung von Professor Dr. Norbert Schuff auf die Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. „Die Ursachen der Demenz-Erkrankung sind ebenso wenig bekannt wie überzeugende Strategien, die Progression aufzuhalten.“ Die degenerative Erkrankung nimmt allerdings einen absehbaren Verlauf, da bestimmte Strukturen im Gehirn für Schädigungen durch Amyloid-Plaques und Tau-Protein-Ablagerungen besonders empfänglich sind.
Der Neocortex, der phylogenetisch jüngste Teil der Hirnrinde, ist die alles beherrschende Struktur des Gehirns, so Braak. Er ist in Primärfelder wie Seh- oder Hörrinde gegliedert, die die Signale der verschiedenen Sinnesorgane direkt empfangen. Von diesen hoch differenzierten Primärfeldern werden die Impulse weitergeleitet an umgebende Sekundärfelder, die sie vorläufig verarbeiten und dann an Assoziationsfelder weitergeben, die keinem bestimmten Sinnesorgan zugeordnet sind. Zwischen diesen verschiedenen Regionen der Hirnrinde besteht ein deutliches Differenzierungsgefälle, erklärte der Referent. Während die Primärfelder hoch differenziert sind, haben die Assoziationsfelder höherer Ordnung eine eher primitive Struktur.
Dies zeigt sich auch in der Myelinisierung der Neuronen: Nach der Geburt des Kindes bilden als erstes die Nervenzellen der Primärfelder eine Markscheide aus. Dann setzt sich die Myelinisierung, die bis ins junge Erwachsenenalter andauern kann, in den Sekundärfeldern und den Assoziationsgebieten höherer Ordnung fort.
Dieses Differenzierungsgefälle birgt Risiken, denn nicht alle Neuronen sind gleich anfällig, die für Alzheimer typische Pathophysiologie zu entwickeln. Besonders gefährdet sind Nervenzellen mit langen, dünnen Axonen, umgeben von einer schwachen Myelinhülle. Daher treten die ersten krankhaften Veränderungen in den schlecht myelinisierten, wenig differenzierten Assoziationsfeldern auf, die die „höchste Entscheidungsebene“ des Menschen darstellen, so Braak. In den betroffenen Neuronen lagern sich Tau-Proteine zu nicht mehr abbaubaren Aggregaten zusammen. Das Protein bindet in seiner nicht-phosphorylierten Form an Mikrotubuli und stabilisiert diese Strukturen. Liegt es in abnorm phosphorylierter Form vor, kann das Tau-Protein nicht mehr an Mikrotubuli binden und bildet die berüchtigten fadenförmigen Aggregate, die schließlich zum Absterben der Nervenzellen führen.
Die ersten Spuren der Erkrankung – einzelne betroffene Neurone – treten ausgesprochen früh in der Entwicklung auf. „Zum Teil bereits nach der Pubertät“, erklärte Braak. Allerdings hat die Erkrankung eine enorm lange präklinische Phase: „Von den ersten veränderten Neuronen bis zum Auftreten von klinischen Symptomen vergehen etwa 50 Jahre.“
Verlässliche Methoden für eine frühe Diagnose existieren allerdings noch nicht. Eine Alzheimer-Erkrankung wird im Wesentlichen anhand der Anamnese, körperlicher Befunde und den Ergebnissen von Fragebögen zu kognitiven Leistungen diagnostiziert. Vor allem die Abnahme von Lang- und Kurzzeitgedächtnis sind deutliche Symptome. Außerdem sind weitere kognitive Funktionen wie Denken, Planen, Organisationsfähigkeit und Alltagskompetenz beeinträchtigt, erklärte Professor Dr. Lutz Frölich von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Frankfurt. All diese Störungen lassen sich in spezifischen psychologischen Tests nachweisen. Neben den kognitiven Defiziten treten meist auch psychopathologische Symptome auf: Etwa 80 Prozent der Patienten entwickelt paranoide Ideen wie Verfolgungswahn oder starke Eifersucht. Auch diese wahnhaften Störungen sind in Tests abfragbar. Wichtig für die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung ist vor allem der Test auf Gedächtnisleistungen, bei dem Patienten Erlerntes zeitlich verzögert wiedergeben müssen.
Bildgebende Verfahren
Zur verlässlichen Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung gehört auch die Untersuchung des Gehirns mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie (CT) oder der Magnetresonanz-Tomographie (MRT). Da zu Beginn der Erkrankung die Ergebnisse von CT oder MRT noch normal sein können, dienen die beiden Methoden weniger dazu, Alzheimer nachzuweisen, als vielmehr andere Ursachen der Demenz wie Hirntumore oder Schlaganfälle auszuschließen. Vor allem die MRT ist ein Standardverfahren in der Alzheimer-Diagnostik. Sie dient auch dazu, die einzelnen Demenzformen voneinander zu unterscheiden, erklärte Professor Dr. Friedhelm Zanella von der Universität Frankfurt.
Das Verfahren beruht darauf, dass Atomkerne mit ungerader Protonen- und/oder Neutronenzahl wie Wasserstoff in einem starken Magnetfeld ihren Kernspin unter Abgabe oder Absorption von Energie umorientieren. In der Bildgebung wird das homogene Magnetfeld noch von einem zweiten, schwächeren, sich räumlich ändernden Magnetfeld, dem so genannten Feldgradienten, überlagert. Das gemessene Energiespektrum bildet dann die räumliche Verteilung der magnetischen Momente ab und stellt somit eine „Spektroskopie der Form und Dichte“ des untersuchten Körpers dar.
Neben der bekannten Anwendung der Magnetresonanz in der Bildgebung kann die Methode auch für bestimmte biochemische Untersuchungen in vivo genutzt werden. Gewebe muss hierfür nicht entnommen werden. Das als MR-Spektroskopie (MRS) bezeichnete Verfahren beruht auf denselben physikalischen Prinzipien und kann auch an denselben Geräten durchgeführt werden wie die MRT. Im Gegensatz zur MR-Tomographie wird allerdings kein zweites, sich räumlich änderndes Magnetfeld angelegt.
Das bei der MRS aufgezeichnete Energiespektrum bildet die Feldänderungen innerhalb eines Moleküls ab. Da diese durch Wechselwirkungen des Kernspins mit der Elektronenhülle und benachbarten Spins verursacht wird, sind sie charakteristisch für die chemische Bindung, in der sich ein Atom befindet. Ein Spektrum stellt daher eine Art „Fingerabdruck“ der beobachteten Moleküle dar – die einzelnen Peaks des Spektrums geben die Konzentrationen der entsprechenden Moleküle an. Für bestimmte ausgewählte Quader im Gehirn kann auf diese Weise die biochemische Zusammensetzung ermittelt werden. Durch Kombination mit bildgebenden Verfahren kann man so eine Karte der Metabolitenverteilung im Gehirn erstellen, erklärte Zanella.
Die wichtigsten Moleküle, die mit Hilfe der MRS im ZNS ermittelt werden können, sind N-Acetyl-Aspartat (NAA), Kreatin, Cholin und Myoinositol. NAA kommt im Gehirn in relativ hoher Konzentration vor und wird allgemein als „neuronaler Marker“ betrachtet, der die Neuronendichte und -integrität anzeigt, so Zanella. Kreatin spielt als Energiespeicher im Energiemetabolismus eine Rolle. Cholin wird für die Synthese von Acetylcholin und den Membranbestandteil Phosphatidylcholin benötigt. Daher zeigen Veränderungen der Cholinkonzentration einen erhöhten Umsatz der Zellmembran an. Die Funktionen des Markers Myoinositol (mI) sind noch nicht vollständig geklärt, berichtete Zanella. Bislang nimmt man an, dass er für das Zellwachstum wichtig ist. Außerdem gilt er als Marker für die Vermehrung von Gliazellen.
Marker des Neuronenverlustes
Was die MR-Spektren über die Alzheimer-Pathophysiologie verraten erklärte Professor Dr. Norbert Schuff vom Veterans Affairs Medical Center in San Francisco, der vor wenigen Wochen die von der Firma Merz gestiftete Gastprofessur am Institut für Neuroradiologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt antrat. Wenn Neuronen auf Grund von Amyloid-Ablagerungen ihre Funktion verlieren und schließlich absterben, nimmt die NAA-Konzentration ab. Steigt die Menge an Cholin an und sinkt gleichzeitig die NAA-Konzentration, zeigt dies den Verlust von cholinergen Nervenzellen an.
Verschiedene Studien ergaben, dass die NAA-Konzentration bei Alzheimer-Patienten vor allem im temporalen und parietalen Cortex sehr niedrig ist, so Schuff. Das erste Anzeichen für eine beginnende Alzheimer-Erkrankung scheint allerdings ein Anstieg der Myoinositol-Konzentration zu sein, erklärte der Referent weiter. Bei Patienten mit milder kognitiver Störung war der mI-Menge deutlich erhöht, während sich die NAA-Konzentration noch nicht verändert hatte. „Obwohl N-Acetyl-Aspartat eigentlich als neuronaler Marker gilt“, sagte Schuff.
Ein Marker allein sage insgesamt wenig aus. Hilfereicher sei es, die Veränderungen verschiedener Marker – vor allem Myoinositol und N-Acetyl-Aspartat – gemeinsam zu betrachten. Die Magnetresonanz-Spektroskopie könnte in Zukunft helfen, zwischen symptomatischer und ursächlicher Therapie zu unterscheiden. So wurde die MRS bereits in verschiedenen klinischen Studien eingesetzt, um das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung unter medikamentöser Behandlung zu ermitteln. Das Verfahren ist ohnehin besser geeignet, einen zeitlichen Verlauf darzustellen als eine Alzheimer-Erkrankung zu diagnostizieren, da die Konzentrationen der einzelnen Marker von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Ob sich die Methode für eine frühe Diagnose der Demenzerkrankung eignet, ist daher noch unklar, so Schuff. Ein Vergleich mit bildgebenden Verfahren hatte gezeigt, dass eine Reduktion der NAA-Konzentration mit den zu beobachteten Gewebeveränderungen – dem Verlust von Neuronen – korreliert.
Gammastrahlen detektieren
Ein weiteres Verfahren, das in Zukunft eine größere Rolle in der Diagnostik spielen könnte, ist die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), über die Dr. Henry Zengler von der Universität Uppsala, Schweden, berichtete. Um mit diesem Verfahren Alzheimer diagnostizieren zu können, entwickelte Zengler mit seiner Arbeitsgruppe einen für Amyloid-Plaques spezifischen Marker: [N-methyl-11C]2-[4’-(methylamino)-phenyl]6-hydroxybenzothiazol, genannt PIB.
Das Benzothiazol-Anilin-Derivat enthält ein 11C-Atom, das unter Ausstrahlung eines Positrons zerfällt. Wenn dieses Teilchen auf ein Elektron trifft, zerstrahlen beide Teilchen in Energie, wobei sie Gammastrahlen aussenden, die von einer Kamera detektiert werden. Auf diese Weise lässt sich ermitteln, in welchen Regionen des Gehirns sich der Positronenstrahler PIB anreichert. In ersten Untersuchungen am Menschen erwies sich die Substanz als ZNS-gängig und sicher. Da sie spezifisch an Amyloid-Plaques bindet, zeigt sie deren Verteilung im Gehirn und könnte somit in Zukunft als Amyloid-Marker zur frühen Diagnose von Morbus Alzheimer dienen.
Die Methode wird allerdings ebenso wie die Magnetresonanz-Spektroskopie bislang nur in großen Zentren in klinischen Studien eingesetzt. Sowohl PET als auch MRS seien noch nicht weit genug entwickelt, als dass sie routinemäßig in der Diagnostik eingesetzt werden könnten, erklärte Zanella.
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