Die Grundlagen des Geruchssinns |
11.10.2004 00:00 Uhr |
Den Medizin-Nobelpreis erhielten in diesem Jahr die amerikanischen Biochemiker Richard Axel (58) und Linda Buck (57). Die beiden Forscher hätten erstmals die genaue Funktionsweise des Geruchssinns beschrieben, begründete das Karolinska Institut in Stockholm die Wahl.
Während das Sehen und das Gehör schon lange gut untersucht sind, behandelten Wissenschaftler den Geruchssinn lange Zeit stiefmütterlich. Erst Anfang der 90er-Jahre legten Axel vom Howard Hughes Medical Institute der Columbia University in New York und Buck vom Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum in Seattle den Grundstein für die Entschlüsselung der Funktionsweise des Geruchssinns. In einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten gelang es ihnen, beim Menschen eine Familie von mehr als 1000 Riechgene zu identifizieren. Hierfür erhielten die beiden nicht nur die höchste medizinische Auszeichnung, sondern auch 1,1 Millionen Euro Preisgeld. Buck ist in der Geschichte der Medizin-Nobelpreise seit 1901 erst die siebte Frau, die diese Auszeichnung in Empfang nimmt.
Die von den beiden Forschern entdeckte Genfamilie von Riechrezeptoren beansprucht 3 Prozent des gesamten Erbgutes des Menschen. Jedoch sind nicht alle 1000 Riechgene aktiv, wie die Wissenschaftler feststellten. Im Laufe der Evolution verlor die Mehrzahl der Gene ihre Funktion. Für „Homo sapiens“ war der Geruch nicht mehr die entscheidende Funktion für die Anpassung an die Umwelt oder zum Überleben. Daher sind mittlerweile nur noch 350 der Riechgene aktiv, die jeweils für einen Riech-Rezeptor codieren. Mit diesen Rezeptoren und der folgenden Signalweiterleitung beziehungsweise -verarbeitung kann der Mensch mehr als 10.000 Gerüche unterscheiden und sich an viele erinnern.
Gelangen Geruchsmoleküle mit der eingeatmeten Luft in die Nase des Menschen binden sie an Riechrezeptoren in der Zellmembran der Riechsinneszellen, die in der Nasenschleimhaut lokalisiert sind. Jede Sinneszelle besitzt dabei nur einen einzelnen Typ von Riechrezeptor. Die Duftstoffe docken nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Rezeptoren an, die daraufhin ihre Gestalt verändern und ein G-Protein an der Innenseite der Zellmembran aktivieren. Dadurch wird die Aktivität des Enzyms Adenylatcyclase gesteigert, das vermehrt cAMP bildet. Dieser „second messenger“ öffnet Ionen-Kanäle für Natrium- und Calcium-Ionen in der Zellmembran. Die Ionen strömen vermehrt in die Sinneszelle ein und verändern dadurch das Membranpotenzial. Dieses Signal wird dann in Form von Aktionspotenzialen über den Riechnerv an das Gehirn weitergeleitet.
Axel und Buck konnten nachweisen, dass so genannte Zellknäuel (Glomeruli olfactorii) im Riechkolben (Bulbus olfactorius) diese Weiterleitung ermöglichen. In den Schaltstellen werden gleichartige Signale gesammelt und an die nächste Ebene von Neuronen, den Mitralzellen, weitergegeben. Ein einzelne Mitralzelle erhält dabei nur Informationen aus einem einzigen Glomerulus. Die Mitralzellen leiten die Signale schließlich an spezifische Mikroregionen in der Hirnrinde, wo aus der Kombination der Geruchseindrücke ein spezifisches und immer wieder abzurufendes Geruchsmuster entsteht.
Auf diese Weise können sich Menschen ein Leben lang an bestimmte Gerüche, die immer eine komplexe Kombination verschiedener Duftstoffe darstellen, erinnern – sei es der Duft von Rosen oder der Gestank fauler Eier. Jeder Riechrezeptor in den Sinneszellen reagiert dabei auf mehrere Duftstoffe, und umgekehrt aktiviert jeder Duftstoff mehrere Arten von Rezeptoren. Dadurch ergibt sich für die Weiterleitung einer Geruchsinformation eine Vielzahl von Möglichkeiten. Auf diesem Weg kann das Gehirn viel mehr verschiedene Gerüche wahrnehmen als es Rezeptoren gibt.
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