Neue Methoden zur Prävention |
28.07.2003 00:00 Uhr |
Wege aus der Krise bietet das Früherkennungs- und Therapie-Zentrum für beginnende Psychosen Berlin-Brandenburg (FETZ). Die Initiatoren Charité und Landesklinik Teupitz haben ein lokales Netzwerk mit Ansprechpartnern in der Region gegründet, das sie vergangene Woche in Berlin vorstellten.
„Wir wollen möglichst noch vor Ausbruch der eigentlichen Erkrankung den Menschen dezentrale Hilfe anbieten“, sagte der Leiter des FETZ, Dr. Georg Juckel, von der Charité. Partner im Netzwerk sind daher neben Kliniken und Nervenarztpraxen zum Beispiel auch Jugendzentren und Kinderärzte.
„Schizophrenie fängt oft schon in einem Alter zwischen 15 und 25 Jahren an“, sagte Juckel. Und dort, wo die jungen Leute hinkommen, wollen die Ansprechpartner des Netzwerkes in Zukunft präsent sein.
Schizophrenie ist keine bestimmte Erkrankung, sondern eine Gruppe von Krankheiten, charakterisiert durch gemeinsame Symptome. „Wir sprechen deshalb auch von Schizophrenien“, sagte Professor Dr. Andreas Heinz von der Charité. Eines der Hauptkennzeichen schizophrener Psychosen ist der Verlust an alltäglicher Selbstverständlichkeit. Die Grenzen zwischen Realität und individueller Wahrnehmung verwischen. Die Patienten halluzinieren, hören Stimmen. Dass sie eine andere Person sind, glauben Schizophrene jedoch nicht. Als Ursache der Erkrankung gilt heute die genetische Disposition, gepaart mit psychosozialem Stress.
Selten leiden die Patienten ständig unter den Symptomen leiden. In der Regel verläuft die Krankheit in akuten Schüben. Diese bestimmen das weitere Leben der Betroffenen in kürzeren oder längeren Abständen. Nur bei etwa einem Drittel der Erkrankten tritt ein Schub nur einmalig auf. Als lang und chronisch beschreiben die Ärzte den Leidensweg.
Behandlung beginnt zu spät
„Derzeit beginnt die Behandlung von Patienten erst dann, wenn die Schizophrenie einen großen Teil ihres progredienten Verlaufs hinter sich hat“, sagte Juckel. Die aktuellen Behandlungsstrategien verbessern zwar die psychotische Symptomatik und mindern das Rückfallrisiko, sie beeinflussen aber bereits eingetretene Konsequenzen nur in einem sehr begrenzten Maß. Neurobiologische Veränderungen wie der Verlust der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen sind inzwischen als gesundheitliche Folgeschäden der Schizophrenie bekannt.
Das Scheitern der Partnerbeziehung, Kinderlosigkeit und ein Leben am Rand der Gesellschaft gehören zu den sozialen Folgen. Etwa 80 Prozent der Erkrankten sind ohne Arbeit oder arbeiten nur in Teilzeit. Eine Frührente beziehen rund 15 Prozent aller Schizophrenen unter 40 Jahren. „Allein in Deutschland schätzen Experten die direkten und indirekten Kosten der Krankheit auf über vier Milliarden Euro pro Jahr“, sagte Juckel.
In Studien konnte nachgewiesen werden, dass zwischen der Dauer der unbehandelten Erkrankung und den gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden ein deutlicher Zusammenhang besteht. Je später der Behandlungsbeginn, desto unvollständiger ist die Remission der Symptomatik. Gleichzeitig erhöhen sich das Risiko für einen Rückfall, für Depressionen und die Suizidgefahr. Substanzmissbrauch und delinquentes Verhalten steigen, die Compliance sinkt. Ein später Therapiebeginn verlängert außerdem die Dauer stationärer Aufenthalte und zieht deutlich höhere Behandlungskosten nach sich. Andererseits verbessert sich die Prognose für den mittel- und längerfristigen Krankheitsverlauf umso mehr, je früher mit einer Behandlung begonnen wird.
Patienten früh erkennen
Als Konsequenz dieser Erkenntnisse entstehen in Deutschland immer mehr Spezialambulanzen zur Früherkennung und Behandlung von beginnenden Psychosen. Nach Köln, Bonn, Düsseldorf und München ist das FETZ Berlin-Brandenburg das erste Zentrum in den neuen Bundesländern. Seit November 2002 können es die etwa sechs Millionen Einwohner Berlins und Brandenburgs nutzen. Die Ärzte rechnen damit, dass dort allein 45 000 Menschen an Schizophrenie erkrankt sind und jährlich weitere 800 Patienten hinzukommen.
Das FETZ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erkrankung schon vor ihrem Ausbruch anhand von Vorboten zu identifizieren und zu behandeln. Inzwischen ist bekannt, dass dem Höhepunkt der ersten psychotischen Episode ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren vorangeht, in der bereits das Vollbild der Psychose vorhanden ist. In dieser psychotischen Vorphase werden die Symptome als solche noch nicht wahrgenommen, und eine Behandlung bleibt aus.
In Studien konnte ebenso gezeigt werden, dass etwa zwei Drittel der Betroffenen vor dieser Vorphase eine so genannte Prodromalphase durchleben. Diese dauert vom Auftreten des ersten Störungszeichens bis zum echten Erkrankungsbeginn in der Regel fünf bis sechs Jahre. Die ersten Symptome können dabei ganz unspezifisch sein, etwa Konzentrationsstörungen oder sozialer Rückzug. Allerdings deuten sie nicht zwingend auf eine beginnende Schizophrenie. Zu den Basis-Symptomen zählen die Mediziner dagegen kognitive Störungen wie Gedankenblockaden, Gedankeninterferenzen und Gedankendrängen, sowie die Störung der Sprache und verstärkte Eigenbeziehungstendenzen. Außerdem kann bereits eine so genannte Positivsymptomatik bemerkbar sein. Hierzu zählen ungewöhnliche Wahrnehmungsveränderungen, Verfolgungsideen und unrealistische Überzeugungen, wie etwa fliegen zu können.
Mit ihrem Netzwerk, das von dem Pharmaunternehmen Janssen-Cilag finanziell unterstützt wird, suchen die Ärzte nun nach möglicherweise Betroffenen. Zeitungsanzeigen und Postwurfsendungen sind geplant. Außerdem gibt es Schulungs- und Weiterbildungsprogramme für Fachleute und Lehrer. Teil des Angebots ist auch die anonyme Beratung ohne Krankenschein für interessierte Gefährdete. Die Untersuchung soll Vertrauen schaffen. Dabei wird auch auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass Drogen wie Cannabis oder Ecstasy bei einer Schizophrenie wie ein Verstärker wirken können. Als Ersttherapie sind Kurse zur Entspannung oder zur Stressbewältigung im Alltag vorgesehen. „Das schadet auch Gesunden nicht“, stellte Dr. Martin Heinze von der Landesklinik Teupitz fest.
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