Ein Duft lockt Spermien zum Ei |
07.04.2003 00:00 Uhr |
Auf ihrem Weg zur Eizelle folgen Spermien ihrer „Nase“: Die menschlichen Samenzellen besitzen funktionstüchtige Geruchsrezeptoren, wie ein deutsch-amerikanisches Forscherteam nun das erste Mal nachweisen konnte, und folgen einem Maiglöckchen-ähnlichen Duft zum Ei.
Ob Menschen zueinander finden hängt auch davon ab, ob sie „sich riechen können“. Was im Großen funktioniert scheint auch im Mikrokosmos der Zellen ein bedeutsames Prinzip zu sein. Denn anscheinend spielen Düfte auch eine entscheidende Rolle bei der Befruchtung. Spermien, so haben die beiden Zellphysiologen Professor Dr. Hanns Hatt und Dr. Marc Spehr von der Ruhr-Universität Bochum herausgefunden, erschnüffeln sich ihren Weg zur Eizelle. Dabei folgen sie einem Maiglöckchen-ähnlichen Duft. In der Fachzeitschrift Science spekulieren die Bochumer Wissenschaftler nun, ob sich auf der Basis ihrer Entdeckung, die Methoden der künstlichen Befruchtung verbessern und neue, hormonfreie Empfängnisverhütungs-Konzepte entwickeln lassen.
Am Eizellen-Marathon nehmen gewöhnlich rund 300 Millionen Spermien teil. Erschöpfung, Unbeweglichkeit und Hindernisse wie der Muttermund und die Gebärmutter dezimieren die Schar dabei so stark, dass letztlich nur noch knapp 300 den Eileiter erreichen. Aus der Sicht der nur 0,05 mm langen Spermien – sie gehören zu den kleinsten menschlichen Zellen überhaupt – wirkt der Eileiter wie ein riesiger, unendlich langer Tunnel, in dem man sich allzu leicht verlieren und verirren kann. Nun hätte die Evolution schlechte Arbeit geleistet, hätte sie das Zusammentreffen von Samen- und Eizelle dem Zufall überlassen. Denn die Chancen, dass sich beide in den Weiten des Eileiters treffen, sind äußerst gering. Es müsste also eine Art Leitsystem für Spermien geben, über das die Wissenschaft dann auch lange Zeit spekuliert hat. Als plausibel schien die Möglichkeit, dass bestimmte von der Eizelle abgesonderte Duftstoffe die Samenzellen auf den richtigen Weg führen. Dazu aber müssten Spermien „Nasen“ besitzen.
Schon vor zehn Jahren identifizierte Hatt im Anfangsteil des Spermienschwanzes Ionenkanäle, die auch in Riechzellen der Nase vorkommen. Ein erstes Indiz dafür, dass die Duftstoff-Theorie möglicherweise stimmen könnte. „Offen blieb aber die Frage, wie diese Kanäle aktiviert werden“, sagt Hatt. Seine Gruppe konnte jetzt in Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen einen bestimmten Duftrezeptors in der Membran von Samenzellen nachweisen, der sich auch in Riechzellen befindet.
Das Protein, das auch als Helional-Rezeptor oder hOR17-4 (humaner olfaktorischer Rezeptor) bekannt ist, funktioniert wie ein Schalter, der von bestimmten Duftstoffen aktiviert wird (siehe Kasten). Besonders stark reagierte der Rezeptor auf Bourgeonal und Zyklamal, zwei synthetische Substanzen, die von der Industrie genutzt werden, um den Duft von Maiglöckchen nachzuahmen. Haben Spermien also einen Riecher für Maiglöckchenduft? Offensichtlich ja. Denn, so haben die Bochumer Forscher herausgefunden, wird der Schalter betätigt, steigt im Innern der Samenzellen die Calciumkonzentration. Die Folge ist, dass sie ihre Richtung ändern und ihre Schwimmgeschwindigkeit erhöhen. Und noch eine wesentliche Entdeckung machten die Zellphysiologen. Wird der Rezeptor 17-4 durch die Substanz Undekanal blockiert, schwimmen die Samenzellen ziellos umher.
Geruchsrezeptoren Geruchsrezeptoren gehören zur Familie der G-Protein gekoppelten Transmembranproteine. Lagert sich ein Duftstoff an den Rezeptor wird über ein bestimmtes GTP-bindendes Protein (Golf) das Enzym Adenylatzyklase aktiviert. Dieses synthetisiert aus Adenosintriphosphat (ATP) den zellulären Botenstoff: das zyklische Adenosinmonophosphat (cAMP). Durch den Anstieg der cAMP-Konzentration in der Zelle öffnen sich cAMP-gesteuerte Calciuminonenkanäle, wodurch die Calciumkonzentration in den Zellen ansteigt. Das wiederum führt zur Aktivierung von Calcium-gesteuerten Chloridkanälen, die Chloridionen herausschleusen. Durch die depolarisierende Wirkung von Kationeneinstrom und Anionenausstrom depolarisiert die Zelle und feuert Aktionspotentiale.
„Mit diesen Ergebnissen“, so Hatt, „ist es erstmals gelungen, chemische Substanzen zu identifizieren, die gezielt Spermienbewegungen steuern können“. Jetzt wollen die Forscher herausfinden, ob von der Eizelle selbst ähnliche Duftmoleküle abgesondert werden, oder ob sich solche in der sie umgebenden Follikel-Flüssigkeit nachweisen lassen. „Dann wäre der erste biologisch aktive Lockstoff für Spermien gefunden“, meint Hatt. Dies hätte dann möglicherweise weit reichende Konsequenzen für Verfahren der künstlichen Befruchtung. Durch Zugabe der Duftstoffe fänden Spermien leichter den Weg zur Eizelle. Aber auch die Empfängnisverhütung würde um einen neuen Ansatz erweitet, der zudem nicht belasten würde und völlig hormonfrei wäre. Hatt: „Wir müssten im Prinzip den Spermien lediglich die Nase zuhalten, damit sie die Eizelle nicht finden“.
Quelle: Spehr, M., et al., Identification of a
Testicular Odorant Receptor Mediating Human Sperm Chemotaxis. Science 299
(2003) 2054 - 2058.
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