"MS ist wie umsteigen von ICE auf S-Bahn" |
05.03.2001 00:00 Uhr |
SELBSTHILFEGRUPPEN
Neue Forschungsergebnisse und Behandlungsoptionen geben Anlass zur Hoffnung, auch wenn sie bislang als unheilbar gilt: die Multiple Sklerose. Wahllos und an ganz unterschiedlichen Stellen in Gehirn und Rückenmark kommt es bei der Erkrankung, an der in Deutschland mehr als 120.000 Menschen leiden, zu Entzündungen der Axone sowie zur Zerstörung der sie umgebenden Myelinschichten. Verantwortlich für diese Prozesse sind vermutlich Autoimmunreaktionen. An den betroffenen Stellen entstehen Narben aus sklerosiertem Gewebe. Die Nervenbahnen sind nicht mehr in der Lage, Signale weiterzuleiten. Ihre Funktion ist dauerhaft gestört.
"Je mehr die Leitungsgeschwindigkeit der Nervenfasern reduziert wird, desto größer ist die Behinderung", sagt Dorothea Pitschnau, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Hannover. "Elektrische Messungen zeigen, dass MS wie Umsteigen von ICE auf S-Bahn ist".
Gewebeveränderungen bei MS lassen sich mit Hilfe der Magnetresonanzspektroskopie (MRT) sichtbar machen. Dabei zeigen sich etwa zehnmal mehr Zeichen der Krankheitsaktivität als sich klinisch manifestieren. Die Symptome sind nur die "Spitze des Eisberges". Es sind Störungen des Geh-, Seh- und Sprachvermögens, der Bewegungsabläufe von Händen und Armen, Taubheitsgefühle, Missempfindungen, vor allem aber große Müdigkeit mit seelischer, geistiger und körperlicher Erschöpfung, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigen.
Interferone senken Schubrate
Ob schubförmig remittierend, mit Residuen, sekundär oder primär chronisch progredient: Unterschiedliche Formen der Erkrankung werden unterschieden. MS muss jedoch nicht zwangsläufig mit schweren Symptomen einhergehen. Bei 30 bis 35 Prozent der Patienten zeigt sie einen eher gutartigen Verlauf. "Auch wenn zu Beginn der Erkrankung nicht sicher prognostiziert werden kann, um welche Erscheinungsform der MS es sich handelt, sollte so früh wie möglich therapiert werden, umso günstiger sind die Aussichten", so Pitschnau. Sie verweist auf Studien der letzten fünf Jahre, die eine deutliche Verbesserung der Prognose, eine Senkung der Schubrate und Verringerung des Fortschreitens der Gewebeveränderungen durch ß-Interferone belegen.
Die Ergebnisse machen Mut. Mut, den die Betroffenen brauchen. Multiple Sklerose geht nicht nur mit körperlichen, sondern auch mit erheblichen psychischen Belastungen einher. Pitschnau: "In unserer Lifestyle- und leistungsorientierten Zeit ist die Gefahr groß, durch Krankheit und die damit oftmals auch verbundenen finanziellen Einbußen an den Rand der Gesellschaft gedrückt zu werden. Depressive Verstimmungen als Reaktion darauf sind mehr als verständlich."
Hier setzt die Arbeit des Bundesverbandes der DMSG e. V. (Vahrenwalder Straße 205 bis 207, 30165 Hannover, Tel.: 05 11/96 83 40) an, indem er MS-Erkrankten und ihren Angehörigen in medizinischen, beruflichen und rechtlichen Fragen zur Seite steht und auch soziale Unterstützung bietet. In 16 Landesverbänden sind 441 hauptamtlich und 4500 ehrenamtlich tätige Mitarbeiter organisiert, die bundesweit ein Netz von knapp 900 Kontakt- und Selbsthilfegruppen mit Mobilitätstraining, Gesprächskreisen oder auch Hilfs- und Fahrdiensten für die 42.000 Mitglieder aufgebaut haben. Jedoch nicht nur die Betreuung der MS-Patienten steht im Zentrum der Arbeit. Pitschnau: "Zu den wichtigsten Aufgaben des Bundesverbandes zählt die Förderung der Forschung, damit die MS eines Tages heilbar wird."
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